Die Transformation hin zu klimaneutraler Produktion und internationaler Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und des industriellen Mittelstandes hängt nach Überzeugung des NWR von der ausreichenden Verfügbarkeit von Wasserstoff und seinen Derivaten zu wettbewerbsfähigen Konditionen ab. Katherina Reiche ergänzte: „Unternehmen investieren nur dann, wenn sie langfristige Planungssicherheit haben. Wir müssen daher bereits jetzt über das Jahr 2030 hinausblicken. Nach Prognosen des NWR steigt der Bedarf an Wasserstoff und Wasserstoffderivaten bis zum Jahr 2045 auf 964 bis 1364 Terawattstunden. Der Inflation Reduction Act der USA und ähnliche Regelungen weltweit werden den Aufbau von umfassenden Wertschöpfungsketten in industriellem Maßstab beschleunigen – von der Produktion bis zu Anwendungen in unterschiedlichen Sektoren. Angesichts der rasanten Fortschritte anderer Staaten sollte sich die Bundesregierung davon verabschieden, ausschließlich auf Leuchtturmprojekte zu setzen. Wichtiger ist es, effektive Anreize für die schnelle Skalierung der Wasserstoffwirtschaft und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zu schaffen.“
Importe von Wasserstoff notwendig
Aus Sicht des NWR ist bereits heute klar, dass sich der Bedarf mit dem heimischen Elektrolyseziel der Bundesregierung von 10 Gigawatt nicht decken lässt. Daher ist die geplante Importstrategie der folgerichtige Schritt, um im Zusammenspiel mit der heimischen Produktion ausreichend Wasserstoff und seine Derivate zu wettbewerbsfähigen Konditionen zur Verfügung zu stellen: „Wir brauchen nachhaltige Importpartnerschaften“, sagt der stellvertretende NWR-Vorsitzende Felix Matthes, „dazu bedarf es intensiver Zusammenarbeit mit potenziellen Lieferländern, auch zur Absicherung einer umfassenden Nachhaltigkeit der Lieferungen von Wasserstoff und Wasserstoffderivaten. Wir benötigen aber auch dringend robuste Rahmenbedingungen für den Aufbau von Langfristlieferverträgen. Bis zum Jahr 2045 werden wir den größten Teil des Wasserstoffs importieren – bei Derivaten wie Methanol, Ammoniak oder synthetischen Flugtreibstoffen wahrscheinlich sogar über 80 %.“
Wasserstoffinfrastruktur ausbauen
Der NWR begrüßt mehrheitlich, dass für die Hochlaufphase auch alle klimaneutralen Wasserstoffarten zur Deckung der Bedarfe genutzt und anwendungsseitig gefördert werden sollen. Diese Maßnahme ist für die Hochlaufphase ein wichtiger Schritt, um Wasserstoff in einem ausreichenden Maße ohne entstehende Nutzungskonkurrenz sicherzustellen.
Voraussetzung für einen raschen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ist der zügige Aufbau einer entsprechend leistungsfähigen Infrastruktur – und dazu gehören sowohl die richtige Finanzierung als auch die passende Regulierung. Das Gremium unterstützt ausdrücklich, dass die Infrastruktur privatwirtschaftlich ausgebaut werden soll. Der erste Schritt sei ein überregionales Kernnetz. Doch auch die Verteilnetzbetreiber – insbesondere die Hochdrucknetze – spielen eine entscheidende Rolle als Verbindungselement zu den Wasserstoffkunden des industriellen Mittelstands. Für eine effiziente Umnutzung bestehender Gasnetzinfrastruktur muss auf europäischer Ebene sichergestellt werden, dass die Entflechtungsregelungen für Wasserstoffnetzbetreiber sich an denen der Gasnetzbetreiber orientieren.
Eine weitere Voraussetzung für den Aufbau der Infrastruktur ist aus Sicht des NWR die passende Finanzierung und damit Investitionssicherheit. Erste Netzkunden dürfen nicht durch prohibitive Netzentgelte abgeschreckt werden, es braucht ausreichend Liquidität für investierende Unternehmen – und keine benachteiligten Finanzierungs-, Netzentgelt- oder Netzzugangsbedingungen für nachgelagerte Verteilnetze.
Wasserstoffanwendungen etablieren
Der NWR unterstreicht die industrie- und technologiepolitische Bedeutung von Wasserstoff. Die traditionellen Kompetenzen der deutschen Industrie, insbesondere auch die Massenfertigung in höchster Präzision und die kontinuierliche, technisch führende Weiterentwicklung, bieten beste Voraussetzungen für die aus Kosten- und Skalierungsgründen unabdingbare Industrialisierung der Wasserstofftechnologie.
Um den Markthochlauf entlang der gesamten Wertschöpfungskette und für eine breite Hersteller- und Zuliefererindustrie hinweg anzureizen, sei ein kohärenter Förder- und Handlungsrahmen unabdingbar. Dabei bieten die traditionellen Kompetenzen der deutschen Industrie beste Voraussetzungen für die aus Kosten- und Skalierungsgründen unabdingbare Industrialisierung der Wasserstofftechnologie.
NWR befürwortet Maßnahmen
Der NWR begrüßt die Aussagen zur Rolle und Bedeutung von Wasserstoff und seinen Derivaten im Verkehr. Der Verkehrssektor, insbesondere Luft- und Schifffahrt sowie Teile des Straßengüterverkehrs, eignet sich aus Sicht des NWR vor dem Hintergrund der heutigen Kostenstruktur als Einstiegsmarkt zum Aufbau von Wertschöpfungs- und Lieferketten für Wasserstoff und Derivate in Deutschland.
Der NWR befürwortet die kommunale Wärmeplanung als entscheidendes Planungsinstrument der Wärmewende. Für eine erfolgreiche Wärmewende werden aus Sicht des NWR alle Technologieoptionen, Wärmepumpe, Wärmenetze, erneuerbare Wärme und Wasserstoff benötigt. Somit sollten alle Technologien als gleichberechtigte Erfüllungsoption im Gebäudeenergiegesetz verankert werden und beim Ausbau der Infrastruktur Berücksichtigung finden.
Der NWR befürwortet die geplante Vereinfachung und Beschleunigung bei der Errichtung von Anlagen und Infrastrukturen sowie den Abbau regulatorischer Hindernisse, um den Ausbau der Wasserstofferzeugungs-, Transport-, Tank- und Importinfrastruktur zu beschleunigen.
Ausblick bis 2035 erforderlich
Der zügige Markthochlauf erfordert aus Sicht des NWR zwingend schnell rechtskräftige und möglichst einheitliche Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungssysteme für Wasserstoff und seine Derivate in der EU, die international anschlussfähig sind. Hierzu bedarf es, wie nun mit der Fortschreibung der NWS vorgelegt, nicht nur eines Ausblicks bis 2030 – sondern bis mindestens 2035 inklusive wesentlicher Marktparameter.
Mehr Ausbildung notwendig
Der NWR teilt die Bedeutung sowohl der Forschung und Entwicklung (FuE) als auch der Fachkräfteverfügbarkeit für die Entwicklung der globalen Wasserstoffwirtschaft. Damit Deutschland seine bisherige Position in dem internationalen Wettbewerb um Innovationen und Fachkräfte halten kann, müssen die FuE-Aktivitäten auf die bereits priorisierten Themen fokussieren, die eine industrielle Umsetzung befördern. Gleichlaufend bedarf es einer stringenten Ausbildung der notwendigen Fachkräfte, sowohl auf Hochschulebene als auch im Bereich der beruflichen Bildung und Weiterbildung.