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Wo steht Deutschland mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft?

Boost für den Wasserstoff
Wo steht Deutschland mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft?

Wasserstoff soll künftig für Mobilität sorgen, als Energiespeicher für erneuerbare Energien dienen und in der Prozessindustrie zu E-Fuels oder Chemieprodukten verarbeitet werden. Um das alles zu realisieren sind große Investitionen notwendig, insbesondere in Elektrolyseanlagen und Infrastruktur. Wo steht Deutschland aktuell mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft und was bringt das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz?

 

Aktuell sind in Deutschland und Europa viele Projekte im Gange. Die im Jahr 2023 fortgeschriebene Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) der Bundesregierung hat als Ziel für die heimische Elektrolysekapazität im Jahr 2030 mindestens 10 GW festgeschrieben. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Aktuell beträgt die installierte Elektrolyseleistung 153,7 MW und es werden bis 2030 Elektrolyseprojekte mit insgesamt 13,4 GW angekündigt (Quelle: https://www.wasserstoff-kompass.de/elektrolyse-monitor). Für Gesamteuropa finden sich in der Wasserstoffprojektdatenbank des Wasserstoff-Kompasses aktuell Wasserstofferzeugungsprojekte mit einer angekündigten Gesamtkapazität von 49 GW bis 2030. Davon entfallen 42 GW auf Elektrolyse. Lediglich 697 MW befinden sich bislang im Bau oder im Betrieb.

Wasserstoff-Kompass gibt Orientierung für mögliche Wege ins Wasserstoff-Zeitalter

Lubmin wird zum Wasserstoffzentrum

Ein Vorzeigebeispiel ist Lubmin. Das Seebad an der Ostsee befindet sich auf dem Weg zu einem Zentrum für die Wasserstoffproduktion in Deutschland. Zentral zwischen den beiden großen Ostseeinseln Rügen und Usedom und nahe der Hansestädte Greifswald und Stralsund gelegen, bietet Lubmin mehr als Strandidylle. Hier befinden sich große Flächen des stillgelegten und im Rückbau befindlichen Kernkraftwerks Greifswald, auf denen aktuell mehrere Firmen Elektrolyseanlagen planen, sowie ein Umspannwerk, das Strom von Offshore-Windparks in der Ostsee und damit große Mengen grünen Stroms bezieht. Außerdem treffen sich in Lubmin, dem ehemaligen Endpunkt der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, mehrere Gas-Pipelines, die teilweise für den Wasserstofftransport umgerüstet werden sollen. All diese Faktoren machen Lubmin zu einem zukünftigen Wasserstoff-Hub. Aktuell sind folgende Projekte geplant oder im Bau:

  • Das Projekt des französischen Unternehmens Lhyfe befindet sich derzeit in der Entwicklungsphase und soll bis 2029 mit einer Elektrolysekapazität von 800 MW und einer Produktionskapazität von bis zu 330 Tonnen grünem Wasserstoff pro Tag in Betrieb gehen.
  • Die Apex Group hat eine Vereinbarung zum Erwerb von drei Grundstücken in Lubmin von der EWN Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH unterzeichnet. Auf dem Areal will Apex künftig mit bis zu 600 MW installierter Elektrolyseleistung Wasserstoff herstellen. Die Fertigstellung der ersten Ausbaustufe ist für 2027 geplant.
  • Der Wasserstoffspezialist HH2E plant ebenfalls den Bau einer Großelektrolyseanlage in Lubmin und will ab 2026 mit der Produktion von grünem Wasserstoff starten. Das Projekt soll in der ersten Ausbaustufe 100 MW Leistung bringen. In einer zweiten Ausbaustufe ist eine Leistung von über 1 GW geplant, wodurch mehr als 60 000 t grüner Wasserstoff pro Jahr produziert werden können.
  • Die Deutsche ReGas will 2026 zunächst mit 200 MW an den Start gehen und in einer zweiten Ausbaustufe ab 2028 um weitere 300 MW erhöhen. Die Firma betreibt aktuell in Lubmin ein Importterminal für Flüssigerdgas (LNG).

Neben der geplanten Elektrolyseleistung soll an dem Ostseehafen Lubmin auch ein Wasserstoffterminal entstehen. Deutsche ReGas und Höegh-LNG entwickeln das weltweit erste schwimmende Importterminal für die großtechnische Umwandlung von grünem Ammoniak zu grünem Wasserstoff. Das Terminal soll ab Anfang 2026 in Betrieb gehen und ein schwimmender Cracker für grünes Ammoniak sein, der rund 30 000 t/a Wasserstoff produziert, die über den bestehenden Einspeisepunkt am Deutsche ReGas-Terminal im Hafen Lubmin in das Wasserstoff-Kernnetz eingespeist werden. Die grüne Ammoniak-Cracker-Technologie wurde von Höegh LNG entwickelt.

Gesetz beschleunigt Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft

Die vorgenannten Beispiele sind nur ein kleiner Ausschnitt aus der Vielzahl geplanter oder im Bau befindlicher Wasserstoffprojekte in Deutschland. Wichtig ist, diese Transformation schnell voranzubringen, denn davon profitiert sowohl das Klima als auch die Unternehmen, die auf den grünen Energieträger setzen. Dafür bedarf es vor allem verlässlicher gesetzlicher Rahmenbedingungen und eines überschaubaren bürokratischen Aufwands bei der Umsetzung der Projekte. Die Bundesregierung hat nun einen ersten Schritt unternommen und am 29. Mai 2024 den von dem Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz vorgelegten Entwurf eines Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes beschlossen. Sie stellt damit rechtliche Weichen für den beschleunigten Ausbau der Infrastruktur für Erzeugung sowie für Speicherung und Import von Wasserstoff. Die deutsche Wirtschaft soll Investitionen in die Errichtung von Anlagen, die Wasserstoff erzeugen und speichern bzw. dessen Derivate, wie Ammoniak, umwandeln in den kommenden Jahren zügig und rechtssicher tätigen können.

Der Nationale Wasserstoffrat (NWR) begrüßt den Entwurf des Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes (WassBG) als wichtigen Schritt zur Förderung des Wasserstoffhochlaufs in Deutschland. Der Gesetzesentwurf setze ein wichtiges Signal und beinhalte aus Sicht der Mehrheit des NWR die richtigen Schritte zur Beschleunigung der Zulassung von Wasserstoffinfrastrukturen. Es gibt aber auch Kritik seitens des NWR. Der Gesetzentwurf bliebe an vielen Stellen hinter den Erwartungen zurück und bedürfe weiterer Anpassungen, um Beschleunigungspotenziale zu heben.

Ein europäisches Pipelinenetz

Einfachere Genehmigung von Elektrolyseuren

Darüber hinaus hat das Bundeskabinett am 24.07.2024 die Änderungsverordnung zur Anpassung der Vierten Bundesimmissionsschutzverordnung (4. BImSchV) beschlossen. Damit ist die   Voraussetzung geschaffen für eine schnelle und einfachere Genehmigungen von Elektrolyseuren für die Wasserstofferzeugung, ohne dabei das Schutzniveau für die Umwelt zu beeinträchtigen. Am 4. August 2024 tritt die Änderung der europäischen Richtlinie über Industrieemissionen (IED) in Kraft. Mit der angepassten Verordnung geht das BMUV voran und hat bereits jetzt den europarechtlichen Spielraum genutzt, um den Hochlauf der Wasserstofferzeugung zu beschleunigen.

Die europäische Richtlinie über Industrieemissionen (IED) reguliert in Deutschland bereits heute über 13 000 Anlagen. Die Novelle legt u.a. einen Schwerpunkt auf die Transformation hin zu einer klimaneutralen, sauberen und kreislaufbasierten Industrie. Dazu gehört auch, dass künftig die Herstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse erst ab 50 t Wasserstofferzeugungskapazität pro Tag einem europarechtlich vorgegebene Genehmigungsverfahren zu unterziehen ist. Bisher war die europarechtliche Genehmigung für alle Elektrolyseure im industriellen Maßstab erforderlich.

Damit diese Erleichterung in Deutschland direkt zum Tragen kommt, wurde die „Dritte Verordnung zur Änderung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen“ beschlossen, um die nationale Gesetzgebung entsprechend anzupassen. Für Elektrolyseure mit einer elektrischen Nennleistung von weniger als 5 MW soll die immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht entfallen. Elektrolyseure mit einer Produktionskapazität von unter 50 t/d Wasserstoff und somit einem geringen Beeinträchtigungspotenzial für Mensch und Umwelt können in einem vereinfachten Verfahren genehmigt werden.

Wie kommt zusätzlicher Wasserstoff nach Deutschland?

Mit einem Ausbau der Elektrolysekapazitäten allein, kann der Bedarf an grünem Wasserstoff in Deutschland langfristig jedoch nicht gedeckt werden. Es gibt nicht genügend Sonne und Wind, um grünen Strom in ausreichender Menge zu erzeugen. Deshalb wird der grüne Wasserstoff zum größten Teil – das Bundeswirtschaftsministerium geht aktuell von 50 bis 70 % aus – aus sonnen- und windreichen Ländern stammen, meist außerhalb Europas. Und hier stellt sich die Frage: Welche Lösung ist die Beste um die großen Mengen an Wasserstoff zu transportieren? Ein Importweg führt über Direktlieferungen via Pipelines aus europäischen Nachbarländern, ein weiterer über den Schiffsverkehr. Dass der Wasserstoff nicht in reiner Form auf das Schiff geladen werden muss – ein enormer Energie- und Kostenaufwand, da zur Verflüssigung der gasförmige Wasserstoff auf Temperaturen unter -252 °C gehalten werden muss – geht hier der Weg über Derivate. Wasserstoff könnte beispielsweise zum Transport in Ammoniak (NH3) umgewandelt werden. Ammoniak ist ungefährlicher und schon bei -33 °C flüssig. Am Ziel kann man den Wasserstoff durch Cracking wieder zurückgewinnen. Obwohl das Cracking ebenfalls viel Energie benötigt, hat grüner Wasserstoff mit Ammoniak als Träger bei langen Transportstrecken eine vorteilhafte CO2-Bilanz.

Ein weiteres dieser Derivate ist erneuerbares Methanol, das ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen könnte, wie das aktuelle Impulspapier der Deutschen Energie-Agentur (dena) zeigt. Bei einer Umstellung der aktuellen Produktionsrouten auf erneuerbares Methanol gehen Prognosen von einem deutschlandweiten Methanolbedarf von bis zu 23,7 Mio. t Methanol bis zum Jahr 2045 aus, das würde rund 150 TWh Wasserstoff im Jahr entsprechen. Aktuell verbraucht die chemische Industrie in Deutschland bereits rund 1,1 Mio. t Methanol – größtenteils auf fossiler Basis. 

Welche dieser Lösungen sich am Ende durchsetzen wird, ist noch nicht absehbar. Am wahrscheinlichsten scheint es, dass es ein Nebeneinander der verschiedenen Importwege für Wasserstoff geben wird, um den hohen Bedarf in Zukunft decken zu können. Der Vorteil der Derivate ist, dass diese auch direkt als Ausgangsstoffe in die verschiedensten Produktions- oder Energieerzeugungsprozesse eingeführt werden können.

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Suchwort: Grüner Wasserstoff


Im Detail:    Das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz

Das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz ist Teil der Initiative der Bundesregierung zur Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren für Wasserstoffprojekte. Der Gesetzentwurf beschleunigt, vereinfacht und digitalisiert die relevanten Planungs-, Genehmigungs- und Vergabeverfahren. Hierzu beinhaltet das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz Änderungen im Umwelt- und Vergaberecht. Flankierend kommen Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz, Fernstraßen- und Raumordnungsgesetz sowie der Verwaltungsgerichtsordnung hinzu. Der Gesetzentwurf nimmt keine Vorfestlegung für geeignete Standorte vor und erfasst auch nicht Elektrolyseure auf See, die zusammenhängend im Windenergie-auf-See-Gesetz geregelt werden.

Ergänzend zum Wasserstoffbeschleunigungsgesetz werden vereinfachte und unbürokratische Voraussetzungen für die Genehmigung von Elektrolyseuren durch eine Novelle der 4. Bundesimmissionsschutz-Verordnung (BImSchV) geschaffen. In der anstehenden Baurechtsnovelle sollen zudem Erleichterungen für Elektrolyseure im Bauplanungsrecht erfolgen.

Konkrete Beschleunigungsinstrumente sind: Bearbeitungshöchstfristen für wasserrechtliche Zulassungsverfahren, umfangreiche Vorgaben zur Digitalisierung der Verwaltungsverfahren, Erleichterungen für den vorzeitigen Maßnahmenbeginn, beschleunigte Vergabe- und Nachprüfungsverfahren, Rechtswegverkürzungen und beschleunigte Eilverfahren sowie die Verringerung des behördlichen Prüfaufwandes bei der Modernisierung von Elektrolyseuren.

Erleichterte Regelungen für das Wasserstoffkernnetz sind im Wesentlichen bereits im Energiewirtschaftsgesetz von 2023 enthalten. Das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz sieht ergänzend reine Online-Zulassungsverfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz vor. Ferner werden mit dem Gesetz der vorzeitige Maßnahmenbeginn sowie Erleichterungen im Wasser- und Vergaberecht für Wasserstoffleitungen etabliert (Quelle: BMWK).


Daniela Held

Redakteurin

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