Die Transformation Richtung Klimaneutralität und die Digitalisierung werden den zukünftigen Rohstoffbedarf Deutschlands und Europas wesentlich prägen, aber auch verändern. Gleichzeitig hat der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine vor Augen geführt, dass trotz gegenseitiger Abhängigkeiten und wirtschaftlicher Verflechtungen Rohstoffe als politisches Druckmittel eingesetzt werden können. In einer neuen Analyse hat sich KfW Research vor diesem Hintergrund mit den großen Herausforderungen befasst, die sich hinsichtlich der Rohstoffbeschaffung und -sicherung ergeben.
Bei zahlreichen notwendigen Rohstoffen wie Kupfer, Lithium oder Seltenen Erden besteht eine große Importabhängigkeit. Bei einigen sind sowohl bei Abbau als auch Weiterverarbeitung Länderkonzentrationen zu verzeichnen, die noch höher sind als bei der Öl- und Gasproduktion. Für die Positionierung europäischer Unternehmen im Bereich strategischer Technologien wie Lithium-Ionen-Batterien oder Solartechnik stellen die hohe Marktmacht Chinas in der Weiterverarbeitung der Rohstoffe aber auch andere potenzielle Flaschenhälse wie zu geringe Bergbaukapazitäten eine Herausforderung bei der Versorgung und für den Technologiestandort Europa dar.
Nachfrage nach Massenmetallen und Spezialmetallen steigt
Die Analyse zeigt: Während die Bedeutung fossiler Energierohstoffe abnimmt, wird die Nachfrage nach Massenmetallen wie Kupfer und Spezialmetallen wie Lithium, Seltenen Erden oder Kobalt stark steigen. Diese mineralischen Rohstoffe stehen im engen Zusammenhang mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, der Entwicklung von Antriebstechnologien und Batterien für E-Mobilität sowie Robotik, 3-D-Druck und anderen digitalen Technologien. Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW fasst zusammen: „Die „grüne Transformation“ unserer globalen Wirtschaft mit dem Ziel, den globalen Temperaturanstieg gemäß dem Pariser Klimaabkommen auf 1,5 Grad zu begrenzen, geht voraussichtlich bis 2040 mit einer Versechsfachung des gegenwärtigen Bedarfs an mineralischen Rohstoffen für klimafreundliche Energietechnologien weltweit einher. Die globalen Digitalisierungsbestrebungen werden die Nachfrage zusätzlich erhöhen.“
Deutschland und Europa auf Import angewiesen
Deutschland und Europa sind in hohem Maße auf den Import von Metallen und einzelnen Industriemineralien angewiesen. Aus der Liste der 30 kritischen Rohstoffe ist die EU nur bei drei Metallen – Strontium, Indium und Hafnium – nicht auf Importe von außerhalb der EU angewiesen. Bei rund einem Dutzend strategisch wichtigen Rohstoffe, zum Beispiel Titan, Wismut und Seltene Erden, liegt die Importabhängigkeit sogar bei 100%. Deutschland und Europa stehen dabei zunehmend im Spannungsfeld zweier Tendenzen. Erstens wird die globale Nachfrage drastisch steigen. Zweitens, könnte sich die schon jetzt hohe geografische Konzentration der globalen Rohstoffproduktion und -weiterverarbeitung vor dem Hintergrund des gesteigerten Wettbewerbs weiter zuspitzen.
Bemerkenswert ist bei vielen Rohstoffen die exponierte Stellung Chinas sowohl beim Rohstoffabbau als auch bei der Weiterverarbeitung. Dies gilt insbesondere für Gallium, Grafit, Wismut, Wolfram und Magnesium. Aber auch andere Länder nehmen bei einzelnen Rohstoffen eine herausragende Rolle ein: Die Demokratische Republik Kongo beherbergt etwa 70% der weltweiten Kobaltförderung und knapp 46% der global identifizierten Vorkommen. Bei Platin besteht eine hohe Abhängigkeit von Südafrika, bei Lithium von Australien und Chile und bei Niob von Brasilien. Es zeichnet sich bereits ab, dass die Entwicklung der globalen Bergbaukapazitäten nicht mit dem künftigen weltweiten Rohstoffbedarf Schritt hält.
Wege zu höherer Rohstoffscherheit
Die EU und Deutschland haben mit ihren Rohstoffstrategien bereits wichtige Akzente für eine höhere Rohstoffsicherheit gesetzt. Jetzt gilt es, die verankerten Maßnahmen zu konkretisieren und in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zügig umzusetzen. Neben demVorantreiben der Kreislaufwirtschaft und dem Ausbau der europäischen Rohstoffgewinnung ist insbesondere die Diversifizierung der Rohstoffbezugsquellen – auch durch Ausgestaltung neuer strategischer Allianzen mit rohstoffreichen Ländern – ein zentraler Ansatzpunkt. Dennoch ist absehbar, dass bei vielen Rohstoffen eine hohe Importabhängigkeit weiter bestehen bleibt. Daher spielt auch der Aufbau von strategischen Reserven in kritischen Bereichen eine große Rolle.