Neben dem übermäßigen Ressourcenverbrauch durch der Menschheit und dem durch uns verursachten Klimawandel ist Kunststoffabfall eines der drängensten Umweltprobleme unserer Zeit. Rund 391 Mio. t Kunststoff wurden nach Angaben des europäischen Dachverbandes der Kunststoffindustrie PlasticsEurope 2021 produziert. Davon etwa 57 Mio. t in der EU. 88 % der EU-Kunststoffe basierten auf fossilen Rohstoffen, nur 10 % wurde durch Rezyklate abgedeckt. Die restlichen 2 % sind bio-basierte Kunststoffe.
2020 wurden in der EU rund 29 Mio. t Kunststoffabfälle gesammelt. Nur etwa ein Drittel davon wurde rezykliert. Hierbei handelt es sich größtenteils um produktspezifische Kreisläufe und Sonderlösungen mit eigenen Pfandsystemen wie PVC-Fensterprofile oder PET-Flaschen. 42 % der Abfälle wurden energetisch verwertet, ein Viertel landete auf den Mülldeponien. Damit enden viel zu viele Kunststoffprodukte am Ende ihres Lebensweges im Abseits. Gefeiert als Werkstoff des 21. Jahrhunderts verursachen Kunststoffe mittlerweile mehr als nur kleine Probleme. Nichtsdestotrotz werden Kunststoffen auch in Zukunft der Treiber für viele Innovationen sein.
Paradigmenwechsel erforderlich
Die bisherige Denkweise verfolgte zumeist ein lineares Wirtschaftsmodell – Herstellen, Nutzen, Entsorgen war in der Vergangenheit das Credo. So geht es aber nicht weiter. Da sind sich alle Experten einig. Wie aber soll es weitergehen? Wie wollen wir bis 2045 Kunststoffe vollständig im Kreislauf führen? Ist das überhaupt möglich? Und wenn ja, was muss dafür getan werden? Fragen, mit denen sich ein VDI-Round Table drei Jahre lang beschäftigte. Im gemeinsamen Dialog von Experten aus Politik, Wirtschaft und Forschung entstand ein Papier mit einer klaren Aussage: Es braucht eine Rohstoffwende. Was sich so einfach anhört, zieht ähnlich große technische und strukturelle Herausforderungen wie die Energiewende nach sich. Es braucht eine komplett neue Logik des Wirtschaftens. Linear war einmal, in Zukunft muss es konsequent im Kreis gehen – ein kompletter Paradigmenwechsel. Ansätze dazu gab es schon auf der letzten K zu sehen, doch was der VDI-Round Table fordert, ist das ganz große Recycling-Rad. Es gilt Material- und Energiekreisläufe zu optimieren, Stoffe in Kreisläufen zu führen, Ressourcen zu schonen, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, regenerative Energien einzusetzen, neue Technologien zu entwickeln, die Verbraucher zu sensibilisieren und und und. Ökologisch sinnvolle Kreislaufwirtschaft wird somit zum neuen Leitmotiv unseres wirtschaftlichen und industriellen Handelns.
Chemieindustrie mitten drin
Der Kunststoffkreislauf beginnt in dieser Gesamtperspektive nicht erst beim OEM oder Verbraucher, sondern bereits in der chemischen Produktion und der Kunststofferzeugung. Die chemische Industrie spielt in diesem Szenario eine Schlüsselrolle. Ihr obliegt es, Basischemikalien und Edukte für die Kunststoffherstellung zu liefern, die nicht auf fossilen Rohstoffen beruhen, sondern aus umwelt- und klimafreundlichen Alternativen bestehen. Das können Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen sein, aber auch aus Power-to-X-Prozessen oder ähnlichem.
Die chemische Industrie kann aber noch mehr leisten. So liegt in der Entwicklung von Technologien zur Aufbereitung von Kuststoffabfällen enormes Potenzial. Kunststoffe, die bisher nicht oder nur schlecht mechanisch rezykliert werden können, lassen sich durch chemische Recyclingverfahren wieder in den Kreislauf zurückführen.
Beides, fossilfreie Produktion und chemisches Recycling, muss in großem Stil erfolgen. Dazu sind gewaltige Investitionen in der Branche notwendig. Nicht nur in die Technik, sondern auch in die Forschung, um entsprechend effiziente Verfahren zu entwickeln.
Kunststoff anders gedacht
Kunststoffrecycling fängt nicht nach der Nutzung eines Produktes an, sondern sehr viel früher. Idealerweise wird das Produkt bereits in der Entwicklungsphase nach Design-for-Recycling-Gesichtspunkten konzipiert, sodass nach der Gebrauchsphase mit möglichst wenig Verlust ein wiederverwendbares Rezyklat entsteht. Eine ganzheitliche Sichtweise berücksichtigt also die Herstellung und Materialeigenschaften genauso wie die Sensibilisierung des Konsumenten für das Produkt und seine Verwertungsmöglichkeiten am Lebensende. Nach Ansicht der Experten des VDI-Round Tables reicht es nicht, nur einen Teilschritt zu denken, es muss in Materialströmen gedacht werden.
In den Entwicklungsabteilungen der Unternehmen ist also Umdenken angesagt: Bislang richtete sich das Material vorwiegend nach der Anwendung. In Zukunft könnte sich dieser Weg andersherum gestalten: Zunächst fällt der Blick auf das zur Verfügung stehende, möglichst nachhaltige Material. Danach wird für die Anwendung das Produkt konzipiert.
Förderung von Rezyklaten
Aktuell sind die Produktionskosten für Rezyklate noch viel zu hoch. Neuware aus Erdöl ist trotz gestiegener Preise des schwarzen Goldes immer noch billiger. Solange Rezyklate mit der entsprechenden Qualität gegenüber Neuware nicht konkurrenzfähig sind, wird die Nachfrage nicht in geeigneter Weise steigen – ein klassisches „Henne-Ei-Problem“. Die sukzessive Substitution ölbasierter Kunststoffe durch Rezyklate ist aber das Ziel. Soll das Modell der zirkulären Wirtschaft wirklich funktionieren, muss die Politik in Zukunft viel stärker mit Regulierungsmaßnahmen eingreifen. Hierfür gibt es schon Pläne der Ampel-Koalition. Die Parteien haben dazu im Koalitionsvertrag eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie verankert.
Politik muss Rahmen setzen
Ein mögliches Lenkungsinstrument könnte eine gesetzlich festgelegte Mindestmenge an Rezyklaten. Einen solchen Ansatz verfolgt die EU-Einwegkunststoff-Richtlinie 2019/904, die für PET-Flaschen ab 2025 einen Mindestanteil Rezyklat von 25 % vorschreibt. Auf diese Weise wird eine Nachfragegarantie für Rezyklatanbieter geschaffen und damit auch eine Investitionssicherheit für die Recyclingwirtschaft.
Ein anderes Lenkungsinstrument beträfe direkt die Kunststofferzeugung. Mit einer material- oder polymerspezifischen Substitutionsquote würden fossile Rohstoffe durch nicht fossile Rohstoffe ersetzt. Ein solcher Eingriff würde das Preisgefüge zwischen Rezyklat und Neuware aus fossilen Rohstoffen beeinflussen und zugunsten der Rezyklate verschieben.
Ökonomische Lenkungsinstrumente setzen bei den Preisen an. Sie folgen der Logik, dass durch Steuern und Abgaben verteuerte Ressourcen weniger verwendet werden und stattdessen billigere Alternativen eingesetzt werden.
Egal, für welche Art der Lenkung sich die Politik letztendlich entscheidet, sie bietet für alle Spieler im Kunststoffkreislauf Chancen, aber auch Herausforderungen.
Handlungsempfehlungen
Drei Jahre führte der VDI-Round Table Gespräche. Herausgekommen sind drei Handlungsempfehlungen, die vor allem eins im Sinn haben: den systemischen Wandel voranzutreiben. So benötigt es nach Meinung der Experten des VDI-Round Tables eine gemeinsame Plattform aller beteiligten Akteure zur Gestaltung der Transformation einer Circular Economy für Kunststoffe. Weiterhin gilt es, Strukturen für die Kooperation von Verwertung, Rohstoffherstellung, Kunststofferzeugung und Kunststoffverarbeiter zu schaffen. Alle Kreislaufbeteiligten müssen zukunftsfähige geschlossene Kreisläufe generieren, ohne schädliche Einträge in die Umwelt und unter Einsatz regenerativer Energien. Zuletzt benötigt es einen intelligenten Mix aus ordnungspolitischen und ökonomischen Lenkungsinstrumenten durch die Politik.
Fazit
Deutschland allein wird die Welt nicht retten können. Das Kunststoffrecycling ist ein weltweites Problem, und weltweite Probleme brauchen weltweite Lösungen. Aber die Voraussetzungen in Deutschland, um eine modellhafte zirkuläre Kunststoff-Kreislaufwirtschaft zu etablieren, sind günstig. So gilt die deutsche Abfallwirtschaft mit ihrer differenzierten Sammel- und Aufbereitungsstruktur als internationales Vorbild. Auch die starke Forschungslandschaft kann dazu beitragen, die Rohstoffwende zu schaffen. Am Ende könnte eine Blaupause entstehen, die auch für andere Länder umsetzbar ist. (br)