Die Kundenanforderungen in einer digitalisierten Welt sind andere als noch vor wenigen Jahren. Kunden bestellen geringere Mengen und verschiedene Ausführungen eines Produkts, was dazu führt, dass die Produktion flexibler werden und zugleich effizient bleiben muss. Die Folge: Eine Produktionsanlage wird heute und in Zukunft anders betrieben und viel häufiger umgerüstet als bislang. Dabei immer wieder wichtig: Gefährdungsbeurteilungen. Sie sind unerlässlich, bevor eine neue Tranche produziert werden kann. Erst wenn die Sicherheit durch umfassende Prüfungen gewährleistet wurde, dürfen die Anlagen wieder anlaufen. Umfassend ist hierbei aber nicht mit zeitintensiv gleichzusetzen – im Gegenteil. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Anlagenbetreiber solche Umrüstzeiten so gering wie möglich halten. Dabei hilft es, wenn sie ihre Effizienz auch in diesem Teil der Prozesskette zu steigern versuchen.
Grundlagen der Sicherheit
Inhaltliche Orientierung für ein anforderungsgerechtes Sicherheitskonzept bieten die DIN EN 61882 „HAZOP-Verfahren (HAZOP-Studien)“ sowie Vorschriften, welche sich aus den Richtlinienreihen VDI/VDE/Namur 2658 „Automatisierungstechnisches Engineering modularer Anlagen in der Prozessindustrie“ und VDI 2776 „Modulare Anlagen“ ergeben. Aus ihnen lässt sich herauslesen, was es für eine wirksame Beurteilung der Sicherheit von modularen Anlagen braucht und was dabei zugleich rechtskonform ist – ebenfalls eine unerlässliche Voraussetzung für Anlagenbetreiber.
Modular ist alternativlos
Modulare Anlagen bestehen aus sogenannten Process Equipment Assemblies (PEAs). Dabei handelt es sich um Module, die für einen Teil des End-to-End-Prozesses benötigt und entsprechend in diesen integriert werden. Technisch lassen sie sich mitunter schneller zusammenfügen als eine Sicherheitsbewertung zum neuen Prozessaufbau fertig gestellt werden kann. Denn diese muss stets vollständig sein und definierte Sicherheitsvorkehrungen enthalten, die ihren beschriebenen Zweck auch erfüllen. Das Zusammenwirken der miteinander kombinierbaren Prozessmodule und die daraus entstehenden Auswirkungen auf die Sicherheit sind bei jedem neuen Prozessaufbau zu analysieren. Dies macht die Bewertung modularer Anlagen komplexer als die Analyse statischer Anlagen. Anders gesagt: Bei modularen Anlagen ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Gleichzeitig sind diese Anlagen aufgrund der gestiegenen, weil immer individueller werdenden Kundenanforderungen alternativlos für eine zeitgemäße Produktion. Statische Anlagen werden dem nicht mehr gerecht.
Mit Interactive HAZOP ans Ziel
Ein wirksames Vorgehen in diesem Fall bietet das von TÜV Süd entwickelte Verfahren „Interactive HAZOP“ (iaHAZOP). Es bringt die althergebrachte Gefährdungsbeurteilung im Kontext modularer Anlagen effizient zur Anwendung. Dazu wird das analytische Vorgehen selbst in Module untergliedert und digitalisiert. Teile davon können damit auch automatisiert ablaufen. Die Anwendung dieser Methode ermöglicht die gleiche oder sogar eine höhere Sicherheit bei geringerem Zeitaufwand und ist dank seiner modularen Aufteilung deutlich flexibler.
Der Weg dorthin führt über zwei Ausbaustufen: In der ersten Stufe wird die Bewertungsmethode für die Sicherheit der Anlage in Blöcke unterteilt, neu gegliedert und für den aktuellen Aufbau kombiniert. In der zweiten Stufe werden die Prozessabschnitte automatisiert, die es ganz oder teilweise zulassen. Dies geschieht zum einen auf Basis von Hazard Rules, die mögliche Fehlfunktionen und Gefährdungen beschreiben und technisch definieren, zum anderen mit Safety Rules, die Sicherheitsmaßnahmen festlegen. Diese Regeln werden in der Sicherheitsvariante eines digitalen Zwillings (digital safety twin) implementiert.
Umsetzung in der Praxis
TÜV Süd und Merck haben in einem Pilotprojekt einen praxisorientierten Ansatz für die erforderliche Vorstufe in Form einer modularen HAZOP ausgestaltet, um die Sicherheit modularer Anlagen manuell zu bewerten und flexible Prozesse sicher beherrschen zu können. Untersuchungsobjekt war eine modulare Anlage bei Merck, auf der Vorprodukte für die Halbleiterfertigung hergestellt werden. Die typischen Charakteristika einer modernen Fertigung – kleine Losgrößen, häufige Produktionsumstellungen – trafen auf diese Anlage zu, weshalb sie als Anwendungsfall gut geeignet war.
Zunächst wurden die PEAs für die Teilprozesse festgelegt und dann Schritt für Schritt miteinander verknüpft, bis sie den Gesamtprozess abbildeten. Kürzere Rüstzeiten und weniger Stillstand galten als operatives Ziel des Projekts, wobei hier die gestiegenen zeitlichen Anforderungen an die Prozess- und Prüfbeschreibungen auch zu berücksichtigen waren. Außerdem fanden die Analysen der Teilprozesse zu verschiedenen Zeitpunkten mit unterschiedlichem Personal statt. Um trotzdem effizient zu sein und Missverständnisse zu vermeiden, war unter anderem eine klar definierte Sprache mit identischen Fachtermini von großer Bedeutung. Unter dem Strich konnten die beteiligten Experten von Merck auf ein Projektergebnis blicken, das schnelleres Umrüsten mit gleichzeitiger technischer und rechtlicher Sicherheit verknüpft.
TÜV Süd Industrie Service GmbH, München
Merck Electronics KGaA, Darmstadt