Es gibt erste Lichtblicke für die chemisch-pharmazeutische Industrie. Nach einem enttäuschenden Schlussquartal konnten Produktion und Umsatz im ersten Quartal 2024 gesteigert werden. Grund dafür sind eine gestiegene Nachfrage im außereuropäischen Ausland und leere Lager in den Kundenindustrien, die zu einem erhöhten Auftragseingang führten.
Die chemisch-pharmazeutische Industrie startete besser als erwartet ins neue Jahr. Produktion und Umsatz konnten gegenüber dem Vorquartal gesteigert werden. Allerdings blieb die Industriekonjunktur in Deutschland und Europa schwach. Daher sind die weiteren Aussichten nicht ungetrübt. Eine nachhaltige Erholung der Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen zeichnet sich noch nicht ab. Zudem bremsen die strukturellen Probleme am Standort Deutschland die Entwicklung. Auftragsmangel und Kostenprobleme drücken bei den Unternehmen weiterhin auf die Stimmung.
VCI-Präsident Markus Steilemann sagt zur konjunkturellen Lage der Branche: „Wir blicken inzwischen etwas zuversichtlicher in die Zukunft, denn die Wachstumsaussichten hellen sich langsam auf. Klar ist aber auch: Es handelt sich um eine positive Momentaufnahme. Ein gutes Quartal macht die Einbrüche der Krisenjahre nicht wett. Die Lage ist insgesamt fragil. Deutschland ist und bleibt als Wirtschaftsstandort zu teuer und daran kann nur die Politik etwas ändern. Die Bundesregierung darf die Hände nicht in den Schoß legen und muss endlich die strukturellen Probleme am Standort angehen. Denn ob es langfristig zu einer kraftvollen Erholung in der Industrie kommen wird, hängt maßgeblich vom politischen Willen und Handeln ab.”
Pharmaindustrie mit solidem Wachstum
In der Chemieindustrie liegen Produktion und preisbereinigte Umsätze immer noch gut 15 % niedriger als vor der Krise. Eine Trendwende zeichnet sich noch nicht ab. Anders sieht es in der Pharmaindustrie aus: Einem soliden Wachstum von Umsatz und Produktion steht kaum etwas im Wege. Für das Gesamtjahr 2024 rechnet der VCI dank des guten Jahresstarts nun mit einem Produktionsplus von 3,5 %. Der Branchenumsatz dürfte mit 1,5 % ebenfalls zulegen. Impulse kommen vor allem aus dem Ausland.
Die Produktion konnte im Vergleich zum schwachen Vorquartal um 6,5 % ausgeweitet werden. Die Kapazitätsauslastung lag mit 78,1 % das zehnte Mal in Folge unter dem langjährigen Durchschnitt.
Der Rückwärtsgang bei den Erzeugerpreisen setzte sich im ersten Quartal 2024 mit einem Minus von 0,7 % weiter fort. Der Gesamtumsatz der Chemie- und Pharmaindustrie stieg saisonbereinigt um 1,8 % auf 56,5 Mrd. Euro, verfehlte damit aber weiterhin das Vorjahr. Die Beschäftigung blieb nur dank eines Zuwachses im Pharmabereich mit knapp 480 000 Beschäftigten auf hohem Niveau. (Quelle: VCI)
Chemiemärkte weltweit: moderate Industrienachfrage
Die Weltwirtschaft wuchs im ersten Quartal 2024 in moderatem Tempo. Die Inflation nahm in nahezu allen Ländern spürbar ab, was den Konsum stützte. Für Zinssenkungen war es aber noch zu früh. Damit blieben die Finanzierungskosten hoch. Die Dynamik in den einzelnen Regionen fiel weiterhin unterschiedlich aus. Auch zeigte sich die Industriekonjunktur weiterhin meist weniger dynamisch als die Gesamtwirtschaft.
Wirtschaftliches Schlusslicht unter den großen Regionen ist weiterhin Europa. Das BIP konnte im ersten Quartal zwar zulegen. Mit einem Plus von 0,3 % blieb die Entwicklung aber schwach. In der Industrie kam es noch nicht zu einer Trendwende. Im Gegenteil: Die Industrieproduktion ging insgesamt zurück. In den großen Industriebranchen wurde die Produktion ausnahmslos gedrosselt. Mit einem kleinen Plus beim BIP von 0,2 % gegenüber Vorquartal blieb Deutschland unter den EU-Staaten eines der schwächsten Kandidaten. Die Industrieproduktion konnte zwar insgesamt leicht ausgeweitet werden, in vielen Branchen setzte sich der Rückwärtsgang aber fort. Damit fehlte es insgesamt an Nachfrageimpulsen für chemische Erzeugnisse „made in Germany„ am Heimatmarkt Europa. Belebende könnte hier nach Aussage von Herr Eric Heymann, Analyst Branchen und Ressourcen b3ei der Deutschen Bank, könnte eine geplante Zinssenkung der EZB ab Juni 2024 wirken.
In den USA hat sich das Expansionstempo am Jahresanfang 2024 merklich abgeschwächt. Der Konsum fiel angesichts der hohen Preise und stagnierender Realeinkommen verhalten aus. Mit einem Plus von 0,4 % wuchs das BIP deutlich langsamer als in den Quartalen zuvor. Die Industrieproduktion stagnierte. Nachfrageimpulse für die deutsche Chemie aus dem US-Markt blieben damit aus.
Das stärkste Wachstum konnte zwar erneut China verbuchen. Das Land schwenkt aber auf einen für chinesische Verhältnisse moderateren Wachstumspfad ein. Damit blieben Impulse für die Weltwirtschaft, wie sie in den vorherigen Krisen zu beobachten waren, aus. Die stark gestiegene Verschuldung bei Unternehmen und Haushalten und große Überkapazitäten im Gebäudesektor verunsichern die Marktakteure und verhindern ein stärkeres Wachstum. Der Wachstumstrend bei der Industrieproduktion blieb am Jahresanfang intakt.
Plus in der Produktion
Die Produktion der Chemie- und Pharmaindustrie stieg im ersten Quartal des Jahres saisonbereinigt um 6,5 % gegenüber Vorquartal. Im Vergleich zum Vorjahr konnte die Produktion um 4,4 % ausgedehnt werden. Nach fast zwei Jahren mit negativen Quartalszahlen war dies das erste Plus. In der Chemie bescherten leere Lager den Unternehmen trotz anhaltend schwacher Industriekonjunktur wieder mehr Bestellungen. Auch die Pharmaindustrie konnte dank guter Auftragslage – vor allem mit Kunden aus dem Ausland – ihre Produktion deutlich ausweiten. Die Zuwächse bei der Produktion der Branche insgesamt dürfen aber nicht über die weiterhin schwierige Situation hinwegtäuschen. Die Kapazitätsauslastung lag mit 78,1 % nun das zehnte Quartal in Folge unter dem langjährigen Durchschnitt. Und die Einbrüche der Krisenjahre sind bei weitem noch nicht wettgemacht.
zum vollständigen Quartalsbericht Q1.2024
Tarifverhandlungen auf Anfang Juni vertagt
Die konjunkturellen Probleme nehmen auch Einfluss auf die aktuelle Tarifrunde in der chemischen und pharmazeutischen Industrie, die nach erfolglosen Verhandlungen vertagt wurde. Die Verhandlungen für 1700 Betriebe mit 585 000 Beschäftigten werden am 4. und 5. Juni in Wiesbaden fortgesetzt. Strittig sind insbesondere die Bewertung der wirtschaftlichen Lage sowie eine für beide Seiten tragfähige Lösung, um die Tarifbindung zu stärken.
„Positiv nehmen wir mit, dass die Verhandlungen grundsätzlich konstruktiv verlaufen sind. Das ist ein gutes Zeichen in einer wirtschaftlich schwierigen Situation“, sagte BAVC-Verhandlungsführer Matthias Bürk. „Dennoch liegen wir in der Sache noch weit auseinander. Die kritische Lage in vielen Betrieben wird von der IGBCE bislang nicht ausreichend berücksichtigt.“ Bürk rief die IGBCE auf, ihre Erwartungen an die Lage anzupassen. Mit Blick auf die geforderte Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern haben IGBCE und BAVC vereinbart, die Zeit bis zur nächsten Verhandlung für weitere Gespräche zu nutzen.
IGBCE und BAVC prüfen zudem, welche Änderungen am Bundesentgelttarifvertrag (BETV) grundsätzlich konsensfähig sind. „Ein umfangreicher Tarifvertrag wie der BETV lässt sich nicht ohne gründliche Prüfung und ohne seriöse Folgenabschätzung ändern. Das Thema ist komplex und auch materiell von Gewicht. Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“ Eine Reform des BETV sei daher kein Projekt, das sich in einer einzelnen Verhandlung abschließen lasse.
(Quelle: BVAC)
Daniela Held