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Ukraine-Krieg lässt die Erwartung der Branche kippen

Wirtschaftslage der chemisch-pharmazeutischen Industrie
Ukraine-Krieg lässt die Erwartung der Branche kippen

Noch im Januar waren viele Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie optimistisch, trotz gestiegener Energiepreise und Lieferkettenstörungen das Tal der Coronakrise überwunden zu haben. Rund 50% der VCI-Mitgliedsunternehmen rechneten im Februar 2022 mit steigenden Umsätzen in diesem Jahr. Durch den Kriegsausbruch in der Ukraine hat sich das Blatt nun komplett gewendet.

Bei der Umfrage seiner Mitgliedsunternehmen im März erhielt der Verband der chemischen Industrie (VCI) ein völlig anderes Bild. Nun rechnen etwa 54% der Unternehmen mit rückläufigen Umsätzen im Jahr 2022. Dabei liegt das Problem nicht im Auftragseingang, wie Christiane Kellermann, Referentin beim VCI, anlässlich eines Wirtschaftsbriefings betonte. „Die Unternehmen belasten insbesondere die hohen Energiepreise und die Störungen in der Lieferkette, insbesondere bei der Beschaffung von Rohstoffen. Bereits vor Kriegsausbruch haben sie auf die Ende letzten Jahres stark gestiegenen Rohstoffpreise mit Preisaufschlägen auf ihre Produkte, Produktionsdrosselungen oder Verlagerung der Produktion ins Ausland reagiert. Weitere Preisaufschläge weiterzugeben, wird nun aber zunehmend schwieriger und die Kapazitäten im Ausland sind weitgehend ausgeschöpft“, so Kellermann.

Zuvor hatte auch VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup vor der Presse erklärt, dass der VCI aufgrund der aktuellen Krisenlage seine bisherige Einschätzung für das Gesamtjahr 2022 zurückgezogen habe. Eine Aktualisierung könne der Chemieverband derzeit nicht vornehmen: „Jegliche Prognose wäre im hohen Maß spekulativ“, betonte Große Entrup. Die wirtschaftliche und politische Lage hat sich durch den Ukraine-Krieg für die energie- und rohstoffintensive Chemie dramatisch verändert. Die Preise für Öl und Erdgas sind explodiert. Der finanzielle Spielraum der Unternehmen schwindet immer mehr. 70 % der Unternehmen berichten über gravierende Probleme für ihr Geschäft durch die hohen Energiepreise. 85 % geben an, dass sie steigende Produktions- und Beschaffungskosten entweder gar nicht oder nur zum Teil weitergeben können.

Bedeutung Russlands für die chemisch-pharmazeutische Industrie

Die Ausfuhren in die Krisenregion Ukraine und nach Russland machen lediglich etwa 3% der Gesamtexporte an chemisch-pharmazeutischen Produkten aus. Das waren zuletzt gut 6,8 Milliarden Euro. Die wirtschaftliche Verflechtung der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie mit den Kriegsparteien ist zwar überschaubar, aber nicht unerheblich. Bei einzelnen Produktgruppen wie Klebstoffen oder Kosmetika können die Prozentzahlen deutlich höher liegen. Für einzelne Unternehmen bedeutet der Handelsstopp daher einen deutlichen Einschnitt.

Die Importe chemischer Produkte aus Russland betragen etwa 1%. Dabei werden insbesondere Basischemikalien wie Phosphor, Lithiumverbindungen, Düngemittel oder synthetische Kautschuke bezogen. Ganz anders sieht es bei den Gaslieferungen aus Russland aus. Die chemisch-pharmazeutische Industrie setzt rund 2,8 Mio. Tonnen Erdgas als Rohstoff (27 % des Gesamtverbrauchs) und 99,3 TWh Erdgas (73 %) für die Erzeugung von Dampf und Strom im Jahr ein. Seit Kriegsbeginn sind die Preise um 70% gestiegen und viele Unternehmen nehmen diese Steigerungen zunehmend als existenzbedrohend wahr. Ein Embargo der Erdgaslieferung hätte noch gravierendere Folgen für die Produktionsfähigkeit der Chemie- und Pharmaindustrie. Beim stofflichen Verbrauch ist kein Ersatz möglich. Energetisch könnte auf Öl oder Strom ausgewichen werden, sofern die entsprechenden Anlagen verfügbar sind. In den meisten Fällen ist das aber keine Lösung.  

Der VCI warnt daher vor den massiven Folgen eines Importstopps von russischem Erdgas für die Branche, die aber nicht auf sie beschränkt bleiben würden. „Tiefe Einschnitte in das Produktionsniveau der Branche wären nicht nur bei großen energieintensiven Unternehmen zu erwarten, sondern wären auch im Mittelstand und wohl über alle Sparten hinweg unvermeidlich. Über die Wertschöpfungsketten würde sich der Effekt auf die gesamte Industrie in Deutschland fortpflanzen“, betonte Große Entrup.  Nahezu alle Branchen, so der VCI, wie etwa Landwirtschaft, Ernährung, Automobil, Kosmetik und Hygiene, Bauwesen, Verpackung, Pharma oder Elektronik wären dann von einer Unterbrechung ihrer Lieferketten betroffen.  „Mit einer schweren und mehrjährigen Rezession mit einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen muss gerechnet werden. Und anders als in der Finanz- und Coronakrise würde sich bei einer Industriekrise Deutschland nicht relativ schnell wieder erholen. Dann steht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieses Landes auf dem Spiel.“

Politische Projekte in Brüssel und Berlin neu priorisieren

Der VCI hält es unter den geänderten energie- und geopolitischen Rahmenbedingungen für dringend geboten, dass Berlin und Brüssel eine Dringlichkeitsanalyse ihrer laufenden Gesetzesvorhaben vornehmen und in drei Kategorien priorisieren. Große Entrup: „Ein einfaches ‘Weiter so, wie geplant‘ ist unverantwortlich und industriepolitisch extrem gefährlich.“ Alle zeitnahen Lösungen, die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie unterstützen und so die Wirtschaft und Arbeitsplätze stabilisieren, sollten aus Sicht des VCI absoluten Vorrang haben – wie etwa die zeitnahe Abschaffung der EEG-Umlage, eine Reduzierung der Energiesteuer auf das EU-Minimum oder ein vorübergehendes Aussetzen des Ausstiegs aus der Kohleverstromung. Parallel müsse der Ausbau erneuerbarer Energien und der nötigen Infrastruktur mit aller Kraft vorangetrieben werden.

(Quelle: VCI)

Autorin: Daniela Held, Redakteurin

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