Die Covid-19-Pandemie bedeutet nicht nur für die Bevölkerung und Gesundheitssysteme eine Herausforderung, sondern auch für die Wertschöpfungsketten in der Pharmaindustrie. Auf der einen Seite kommt es zu Personalknappheit und Materialengpässen, und Schwachstellen in der bestehenden Infrastruktur treten zutage. Auf der anderen Seite nimmt die Nachfrage nach Arzneimitteln und medizinischen Produkten enorm zu. Gerade die Wertschöpfungsketten der meist noch jungen Biotech-Unternehmen sind in dieser Situation überfordert.
Die Wertschöpfungsketten von Biotech-Unternehmen unterscheiden sich deutlich von traditionellen Wertschöpfungsketten in der Pharmaindustrie. Ihre Besonderheiten bringen spezifische Herausforderungen mit sich, die das Geschäftsmodell von Biotech-Unternehmen zunehmend unter Druck setzen und höhere Risiken zur Folge haben:
- Bedarf an erheblichen Kapitalinvestitionen bei einer hohen Nachfrageunsicherheit
- Variable und unzuverlässige Prozesse, die ein exzellentes Risikomanagement erfordern
- Asset-light-Wertschöpfungsketten mit einem komplexen Ökosystem externer Partner und vielfältigen innovativen Partnerschaftsansätzen
- Erhebliche Herausforderungen in Bezug auf die Qualität, die oft mit der Leistung externer Lieferanten verbunden sind
- Notwendigkeit von permanenten
Markteinführungen sowie Transformation von einem wissenschaftlich geprägten Umfeld hin zu einer reibungslosen Integration von Wissenschaft und kommerzieller Produktion
Das richtige Betriebsmodell finden
Um diesen Herausforderungen auch in schwierigen Zeiten wie der aktuellen Covid-19-Pandemie erfolgreich begegnen zu können, benötigen Biotech-Unternehmen ein neues Betriebsmodell für ihre Wertschöpfungsketten. Camelot Management Consultants ist Beratungsspezialist für das Management von Wertschöpfungsketten in der Lifesciences- und Biotech-Branche. Als projekterfahrener Partner unterstützt Camelot Unternehmen dabei, ihre Fähigkeiten in der Wertschöpfungs- und Lieferkette zu stärken – von der Verbesserung und Umsetzung der Geschäftsmodelle über das strategische Lieferkettendesign bis hin zur Optimierung operativer Prozesse. Viele Beratungsprojekte haben gezeigt, dass folgende zehn Fähigkeiten essenziell für Biotech-Unternehmen sind, um das Potenzial ihrer Wertschöpfungsketten voll ausschöpfen zu können:
1. Flexible und fließende Szenarioplanung: Biotech-Unternehmen müssen verschiedene Szenarien für eine Markteinführung dynamisch beurteilen können, unter anderem auf der Grundlage von Erwägungen bezüglich Vorschriften, Preisgestaltung und Kostenerstattung sowie Steuern. Die Unternehmen agieren in einer sehr dynamischen und volatilen Umgebung, die von technologischen Fortschritten und der starken Abhängigkeit von klinischen Studienergebnissen geprägt ist. Daher sind äußerst flexible und fließende Ansätze für die Szenarioplanung erforderlich, die Änderungen von Annahmen ständig erfassen und Planungen für verschiedene Pfade in die Zukunft erstellen, jeweils transparent in Bezug auf Wertbeitrag, Gesamtkosten und Erfolgswahrscheinlichkeit.
2. Planung für strategische Versorgungsflexibilität: Neben der Szenarioplanung auf der Nachfrageseite benötigen Biotech-Unternehmen einen soliden Ansatz für die Planung strategischer Bereitschaft und Flexibilität auf der Liefer-/Kapazitätsseite. Die strategische Lieferflexibilität ist unerlässlich, um sich strategische Optionen für die Vermarktung einer Pipeline offenzuhalten oder sich bei Verhandlungen über Produktions- und Vertriebspartnerschaften eine stärkere Position zu bewahren.
3. Risikoorientierte Planung und Sicherung der Verfügbarkeit: Für viele Biotech-Unternehmen liegen die größten Vorteile in der Vermeidung von Nachteilen, daher hat die Vermeidung von Risiken im Voraus hohe Priorität. Bei der Planung von Liefernetzwerken müssen Versorgungsrisiken systematisch einbezogen werden, von der Verfügbarkeit der Rohstoffe, der Instabilität von Prozessen bis hin zu Abweichungen bei der Produktion.
4. Prozessrobustheit und Zuverlässigkeitsmanagement: Gemäß dem risikobasierten Ansatz der FDA stellt die Ausrichtung von Prozessen auf Robustheit eine wichtige Voraussetzung für eine konstante Versorgung mit sicheren und wirksamen Arzneimitteln dar, insbesondere im Biotech-Bereich. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist ein faktenbasiertes Verständnis der kritischen Qualitätseigenschaften (Critical Quality Attributes, CQA) und der kritischen Prozessparameter (Critical Process Parameters, CPP), insbesondere wie diese das Prozessergebnis beeinflussen (Qualität, Compliance, Kosteneffizienz), wie groß ihr Toleranzbereich ist und wie man sie am besten kontrolliert.
5. Personalisierung von Behandlungen mithilfe von Big Data: Unternehmen, die biologische Präparate herstellen, nutzen zunehmend Big Data, um ihre Behandlungen auf die Bedürfnisse der Patienten zuzuschneiden, zum Beispiel in den Bereichen Onkologie und Autoimmunerkrankungen. Die Technologien, die das möglich machen, reichen von der rechnerischen Modellierung von Tumorwachstum über die Big-Data-Analyse von standardisierten klinischen Patientendaten bis hin zur Genomik.
6. Nachverfolgung und Sichtbarkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Da bereits geringfügige Unregelmäßigkeiten die Wirksamkeit der Behandlung gefährden können, setzen Biotech-Unternehmen nicht nur auf Echtzeit-Tracking, sondern überwachen außerdem Temperatur, Ausrichtung, Feuchtigkeit, Erschütterungen von Produkten sowie zusätzlich den Status von Proben und Behandlungen bis zum Patienten.
7. Ein neues technologisches Ökosystem: Um diesen neuen Grad der Personalisierung, der Kontrolle über die Lieferkette und der Sichtbarkeit zu erreichen, müssen Biotech-Unternehmen Technologiepartnerschaften eingehen, um intelligente IT- und Systeminfrastrukturen zu errichten. Dies beinhaltet unter anderem Sensortechnologie für Behälter, Cloud-basierte digitale Sichtbarkeits- und Analyseplattformen für die Echtzeitkontrolle sowie Konnektivitäts-Layer und Trusted-Computing-Anwendungen für die sichere Vernetzung von Material- und Informationsflüssen mit Patientendaten.
8. Das richtige Modell und die richtige Strategie für externe Partnerschaften: Die Biotech-Branche treibt nicht nur die Innovation im Bereich der medikamentösen Behandlungen voran. Sie hat außerdem eine Vielzahl spezieller Modelle für externe Partnerschaften hervorgebracht. Diese stellen das Outsourcing-Paradigma traditioneller Pharmaunternehmen infrage und machen Kooperationsentscheidungen vielschichtiger und damit komplexer.
9. Umfassende Integration und Zusammenarbeit: Der hohe Grad der Abhängigkeit von externen Partnern und die geringe Fehlertoleranz erfordern bei der Integration und Zusammenarbeit mit Lieferanten eine neue Qualität und Genauigkeit, zumindest wenn es um strategische Lieferanten von Rohstoffen, Reagenzien und zentralen Entwicklungs- und Produktionsdienstleistungen geht. Eine strukturierte system- und prozessorientierte Zusammenarbeit über verschiedene Funktionen hinweg bildet die Basis für stabile Wertschöpfungsketten.
10. Exzellenz im Lieferanten-Risikomanagement: Da ein erheblicher Teil der Qualitätsprobleme und Lieferstörungen in der Biotech-Branche mit externen Lieferanten zusammenhängt, müssen Biotech-Unternehmen einige Ebenen tiefer gehen, um sich vor Lieferrisiken zu schützen. Zu den erforderlichen Maßnahmen gehören eine systematische Segmentierung der Lieferanten, das Verständnis derjenigen Bereiche mit dem höchsten strukturellen Risiko sowie die regelmäßige Überprüfungen der Risiken in der Wertschöpfungskette – inklusive der Standorte der Lieferanten und Logistikpartner, unterstützt von einem funktionsübergreifenden und erfahrenen Team.
Ein langer Weg
All das bedeutet einen langen Weg und erfordert erhebliche Anstrengungen beim Aufbau der Kompetenzen und im Veränderungsmanagement. Doch wenn es Biotech-Unternehmen gelingt, ein neues Betriebsmodell für ihre Wertschöpfungsketten zu entwickeln und umzusetzen, werden sie Stresstests wie die aktuelle Coronakrise mit Bravour bestehen.
Suchwort: Camelot
Autor: Sebastian Hild
Managing Consultant
Value Chain Transformation,
Camelot Management Consultants