Von vielen Patienten lange herbeigesehnt, haben sich zahlreiche Länder auf der ganzen Welt dazu entschieden den Anbau, Vertrieb und Konsum von Medizinalcannabis und teilweise auch von Rauchware zu legalisieren. Durch die Legalisierung und das prognostizierte, finanzielle Milliardenpotenzial wurde der Pharmaindustrie eine Tür geöffnet, die zurzeit von Investoren, Start-ups aber auch etablierten Firmen genutzt wird.
Hierbei geraten wichtige regulatorische Vorgaben wie die EU-Good Manufacturing Practice (EU-GMP) von der European Medicines Agency häufig ins Hintertreffen. Für den Anbau von Medizinalcannabis gilt dann zusätzlich noch der Anhang sieben (Annex 7), der der EU-GMP untergeordnet ist. Unsere europaweite Erfahrung und Analyse von mehreren Produktionsstätten zeigen, dass diese Vorgaben beim Bau von neuen Anbau- und auch Produktionsstätten in der Regel nicht bedacht werden. Dadurch wird der klassische, in der Pharmaindustrie altbekannte Weg, vom Produkt über den Prozess hin zum Design zumeist in umgekehrter Reihenfolge angegangen. Meiner Meinung nach ist das höchst kritisch, da durch die Abweichung von diesem Weg mögliche Patientenrisiken nicht ausreichend berücksichtigt oder sogar falsch eingestuft werden. Des Weiteren werden Produktionsausstattungen gekauft, ohne die eigenen Anforderungen an das Produkt oder die Prozesse zu kennen. Spätestens hier müssten die Punkte Qualifizierung und Validierung auf der Tagesordnung stehen. Das tun sie aber “leider“ nicht. Zudem sind für Neueinsteiger im Pharmageschäft, Equipmentlieferanten irreführend, weil sie von sich behaupten, GMP-bereit oder gar zertifiziert zu sein, ohne dass dies der Fall ist.
Dabei stellt sich meinen Kollegen und mir die Frage, wie die Zukunft des Medizinalcannabis aussehen wird?
Eines steht fest: Sollte sowohl bei den Anbauern wie auch den heutigen Zulieferern kein Umdenken in Richtung Produkt und regulatorische Vorgaben stattfinden, könnte dies zu einem vielfältigen Investitionsverlust führen, da die neuen Standorte den regulatorischen Vorgaben nicht standhalten können. Ein hektisches und planloses Agieren gefördert durch z. B. Großinvestoren aus dem nicht europäischen Raum ist meiner Meinung nach nicht zielführend.
Um einen gangbaren Weg aus dieser Sackgasse zu finden, haben wir u. a. zusammen mit der Universität Hohenheim ein vom Bundeswirtschaftsministerium gefördertes Netzwerk für Medizinalcannabis mit dem Namen “Medizinisch phytocannabinoidreiches (PCR) Cannabis“ gegründet. In diesem Netzwerk werden die Pflanze selbst erforscht sowie neue Technologien für den gesamten Lifecycle des Cannabisanbaus unter Einhaltung der regulatorischen Vorgaben entwickelt.
Final sagen wir, dass es wichtig ist sowohl die Anbauer, als auch die Zulieferer für das Thema Regularien zu sensibilisieren. Nur mit einem durchdachten Ansatz können stabile und reproduzierbare Prozesse etabliert werden, die auch den zukünftigen Behörden- und Abnehmeraudits standhalten können. Eine damit sichergestellte nachhaltige Versorgung bildet dann die Basis für eine pharmazeutische Forschung und somit eine gerichtete Produktentwicklung.
„Anbauer und Zulieferer von Medizinalcannabis müssen für das Thema Regularien sensibilisiert werden. Nur mit einem durchdachten Ansatz können stabile und reproduzierbare Prozesse, entsprechend den GMP-Vorschriften, etabliert werden.“