Herr Grant, warum ist die Energiesicherheit für die Pharmaindustrie ein so kritisches Thema?
Stephen Grant: Energiesicherheit ist für die Pharmaindustrie unverzichtbar, da sie stark auf eine kontinuierliche und zuverlässige Energieversorgung angewiesen ist. Viele Produktionsprozesse in dieser Branche sind energieintensiv und dürfen nicht unterbrochen werden, da dies die Qualität der Medikamente beeinträchtigen und letztlich Patienten gefährden könnte. Gerade bei der Herstellung von lebensrettenden Arzneimitteln und Impfungen sind stabile Produktionsbedingungen unerlässlich, da pharmazeutische Produkte unter strengen regulatorischen Auflagen produziert werden. Jede Unterbrechung kann weitreichende Konsequenzen haben, weshalb eine sichere Energieversorgung von enormer Bedeutung ist.
Wie hat die aktuelle geopolitische Lage die Energiestrategien der Pharmaindustrie beeinflusst?
Grant: Der Ukraine-Konflikt hat sehr deutlich gemacht, wie anfällig globale Energielieferketten sind. Besonders Europa, das in hohem Maße von russischem Gas abhängig war, musste schnell reagieren. Infolge dieser Situation haben viele Regionen ihre Energiestrategien überdacht und sich verstärkt auf alternative Energiequellen und erneuerbare Energien konzentriert. Für Pharmaunternehmen bedeutet dies, dass sie ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und unsicheren Lieferketten reduzieren mussten und weiterhin müssen. Viele setzen nun verstärkt auf die Diversifizierung ihrer Energiequellen und investieren in nachhaltige und kohlenstoffarme Lösungen, um ihre Produktion auch in Zeiten geopolitischer Unsicherheiten stabil zu halten.
Welche Strategien können Pharmaunternehmen anwenden, um ihre Energiesicherheit zu verbessern?
Grant: Es bieten sich gleich mehrere Ansätze: Der erste und vielleicht wichtigste ist die Reduzierung des Energieverbrauchs durch Effizienzsteigerungen. Dies kann durch den Einsatz energieeffizienter Technologien wie LED-Beleuchtung und Wärmerückgewinnungssysteme geschehen. Ein zweiterer wichtiger Schritt ist die Elektrifizierung von Prozessen, wobei erneuerbare Energien wie Solar- oder Windkraft eingesetzt werden. Dies reduziert die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen erheblich. Drittens können Unternehmen auch vor Ort erneuerbare Energielösungen auf dem eigenen Gelände installieren. Das können Solarpanels auf den Dächern oder je nach Standort auch geothermale Anlagen oder Biomassekessel sein. So können sie ihre eigene Energie erzeugen und sind weniger von externen Lieferanten abhängig. Diese drei Strategien sind allesamt kombinierbar und helfen nicht nur, die Energiesicherheit zu stärken, sondern unterstützen zugleich auch die Dekarbonisierung der Branche.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung dieser Maßnahmen?
Grant: Eine der größten Herausforderungen sind die anfänglichen Investitionskosten. Der Übergang zu erneuerbaren Energien und die Modernisierung der Infrastruktur erfordern beträchtliche finanzielle Mittel, was für viele Unternehmen zunächst abschreckend wirkt. Ein weiteres Hindernis sind die Platzbeschränkungen, die die Installation eigener Energiequellen erschweren, Und nicht zuletzt kann die Integration neuer Technologien in bestehende Produktionsprozesse riskant und komplex sein. Oftmals gibt es Widerstand innerhalb der Ingenieurteams, die an bestehende Systemen festhalten wollen. Es bedarf deshalb einer sorgfältige Planung und die Schaffung finanzieller Anreize, um die Umstellung praktikabel zu machen.
Wie können Pharmaunternehmen die finanziellen Hürden bei der Verbesserung der Energiesicherheit bewältigen?
Grant: Da wäre zum einen die Einführung eines internen CO2-Bepreisungsmodells, bei dem Unternehmen einen Preis auf ihre CO2-Emissionen festlegen und diesen in ihre Finanzplanung integrieren. Dadurch können Unternehmen die langfristigen Kosteneinsparungen durch Emissionsreduktionen klarer sehen, was Investitionen in kohlenstoffarme Technologien attraktiver macht.
Zum anderen können die Investitionskosten durch ein As-a-Service-Modell abgefedert werden. Dabei übernimmt der Anbieter der Energielösung die Anfangskosten, während das Pharmaunternehmen eine Servicegebühr zahlt. Dies reduziert nicht nur die finanzielle Belastung zu Beginn, sondern sorgt zugleich dafür, dass beide Parteien ein Interesse an Energieeinsparungen und CO2-Reduktionen haben.
Wie stellen Unternehmen sicher, dass diese Maßnahmen erfolgreich an mehreren Standorten umgesetzt werden können?
Stephen Grant: Der Erfolg dieser Maßnahmen hängt von drei Faktoren ab: der Einbindung aller Beteiligten, einem zentralen Projektmanagement und umfassenden Rahmenvereinbarungen. Es ist wichtig, dass alle Stakeholder, von der Unternehmensführung bis zu den lokalen Teams, die Ziele und Vorteile der Projekte verstehen und unterstützen. Ein zentrales Projektmanagement, die Prozesse und Technologien über verschiedene Standorte hinweg zu standardisieren, was die Umsetzung beschleunigt. Und schließlich: Rahmenvereinbarungen auf Unternehmensebene erleichtern die Implementierung, da sie verhindern, dass an jedem Standort individuelle Verträge verhandelt werden müssen.
Welche konkreten Handlungsempfehlungen würden Sie Pharmaunternehmen geben, um kurzfristig ihre Energiesicherheit zu verbessern?
Stephen Grant: Pharmaunternehmen sollten sofort mit der Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen beginnen, die einen schnellen und messbaren Effekt auf den Energieverbrauch haben. Dazu gehören z.B. die bereits erwähnten Technologien der LED-Beleuchtung oder Wärmerückgewinnungssysteme, die ohne größere Investitionen realisiert werden können. Parallel dazu sollten Unternehmen nach Möglichkeiten zur Elektrifizierung von Prozessen suchen, insbesondere in Bereichen, in denen erneuerbare Energiequellen leicht zugänglich sind. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Sicherstellung von Notfallplänen für Energieausfälle, die durch die verstärkte Integration von Energiespeichern oder die Diversifizierung von Energiequellen gewährleistet werden können. Diese Maßnahmen tragen dazu bei, die Widerstandsfähigkeit zu stärken, indem sie die Abhängigkeit von externen Energielieferanten verringern.