Die Herstellung von Granulaten als Basis für pharmazeutische Produkte erfolgt bisher häufig im diskontinuierlichen Batch-Verfahren. Insbesondere in der pharmazeutischen Industrie wird diese Vorgehensweise auch auf Walzenpressen übertragen, um die Nachverfolgbarkeit einer Produktionscharge zu gewährleisten. Gleichzeitig bedeutet das einen hohen Zusatzaufwand für die Unternehmen. „Die Anlagen müssen nach jeder abgearbeiteten Charge demontiert, gereinigt und neu montiert werden“, erklärt Marcus Weidemann, Ingenieur für Verfahrenstechnik bei der Alexanderwerk GmbH. „Dies erhöht die Stillstandszeiten der Maschinen und führt in der Folge zu einem Anstieg der Produktionskosten.“ Außerdem müssen Mitarbeiter mehrmals pro Charge manuell Stichproben entnehmen und diese im Labor analysieren. Da die Ergebnisse meist nach dem Abschluss eines Produktionszyklus vorliegen, können Prozessparameter bei festgestellten Qualitätsmängeln erst für die folgende Charge angepasst werden, während die bereits produzierte Menge in vielen Fällen komplett verworfen werden muss.
Um die Prozesstechnik der Walzenpressen mit den entsprechenden Messinstrumenten und der dazugehörigen Steuerungstechnik auf das Continuous Manufacturing auszulegen, erarbeiteten Parsum und Alexanderwerk in einem gemeinsamen Entwicklungsprojekt eine Lösung. Denn dieser Produktionsansatz bietet gegenüber dem Batch-Verfahren zahlreiche Vorteile: „Im Idealfall überwacht die eingesetzte Messtechnik nicht nur kritische Qualitätsattribute (critical quality attribute – cqa) in Echtzeit, sondern liefert die Ist-Werte, um bei Abweichungen automatisch gegenzusteuern“, erläutert Stefan Dietrich, Geschäftsführer der Parsum GmbH. „In der Folge muss die Produktion nicht mehr zur Neujustierung von Parametern unterbrochen werden. Die Anlagenverfügbarkeit sowie die Engmaschigkeit der Qualitätskontrolle wird deutlich erhöht, was sowohl die Produktqualität verbessert als auch die Herstellungskosten senkt.“
Von der Laboranalyse zu Inline-Messungen an der Walzenpresse
Die praktische Umsetzung eines PAT-Konzepts (Process Analytical Technology) stellte bei der Trockengranulierung eine große Herausforderung dar. Denn während sich maschinenseitige Prozessparameter, etwa die Geschwindigkeit der Förderschnecke, die Walzendrehzahl und die Walzenpresskraft, bereits online erfassen lassen, war die Überprüfung der Partikelgrößenverteilung, einer wichtigen Prozessgröße für das verarbeitete Material, bisher nur offline möglich. Grund dafür war das Fehlen einer geeigneten Kombination von Probennahmeeinrichtung (Prozess-Interface) und Messtechnik für diesen Prozess. „Kurz gesagt wird in einer Walzenpresse das sehr lose, pulverförmige Ausgangsmaterial zunächst durch mechanischen Druck zwischen zwei gegenläufig drehenden Walzen zu einem kontinuierlichen festen Band, der Schülpe, verpresst. Anschließend wird dies in einer Siebmühle, genannt Rotor-Fein-Granulator (RFG), zerkleinert, wodurch als Endprodukt kompaktes Granulat mit definierter Partikelgrößenverteilung entsteht“, erklärt Weidemann. Die Herausforderung bei der Messung ist, dass das produzierte Granulat nicht aus homogenen Partikeln besteht, sondern aus Partikeln, deren Größe innerhalb einer Probe von sehr feinen bis groben Partikeln reicht.
„Relevant für die Messungen sind die beiden entstehenden Fraktionen: der Feinanteil und der Granulatanteil. Es handelt sich dabei um eine bimodale Verteilung der Partikelgröße“, berichtet Dietrich. In der Vergangenheit wurden verschiedene Messsonden und Dispergierer getestet, die sich bereits bei anderen Granulierverfahren bewährt hatten, zum Beispiel in der Wirbelschicht- oder High-Shear-Granulierung. Im speziellen Fall des Kompaktierprozesses unterschieden sich die Inline-Messergebnisse aber oft deutlich von denjenigen der Stichproben, die offline im Labor analysiert wurden.
Gemeinsames Forschungsprojekt von Alexanderwerk, Parsum und der Technischen Universität Hamburg
Parsum und Alexanderwerk nahmen die Ursachen für die schwankenden Messergebnisse schließlich im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojektes genauer unter die Lupe. Auf Basis dieser Untersuchungen sollten eine Messsonde sowie ein Prozess-Interface für die Walzenpresse entwickelt werden. Für eine grundlegende Prozesssimulation der Walzenkompaktierung zogen sie außerdem die Expertise der Technischen Universität Hamburg (TUHH) hinzu.
Als wichtigstes kritisches Qualitätsattribut identifizierten die Projektpartner die Partikelgrößenverteilung (PGV) des Granulats. Die Aufgabe von Parsum war es deshalb, ein Instrument für die Inline-Messung zu entwickeln, das die PGV repräsentativ und in Echtzeit ermittelt, ohne größere Eingriffe in den Prozess oder die Maschinenkonstruktion vorzunehmen. Um aussagekräftige Daten als Basis für die Prozesssteuerung zu gewinnen, musste ein geeignetes „Prozess-Interface“ für die Parsum-Sonde entwickelt werden. Weiterhin kam es darauf an, den bisherigen Standardmessbereich nach unten zu erweitern, sodass auch der Feinanteil exakt gemessen werden kann.
Der Messort ist entscheidend
Für die Abbildung von Prozessänderungen ist es wichtig, eine differenzierte Auswertung der gemessenen Daten vorzunehmen. Es reicht nicht aus wie bei anderen Prozessen mit „normaler“ PGV nur den Median der Partikelgröße (x50) zu betrachten – entscheidend ist bei diesem Prozess vielmehr das Verhältnis von Fein- und Granulatanteil. „Im regulären Betrieb schwankt dieses Verhältnis allerdings“, erklärt Dietrich. „Der Feinanteil passiert unregelmäßig den Auslass der Maschine und führt auf diese Weise zu Messschwankungen.“ Besonders wichtig zur repräsentativen Probennahme ist daher die Positionierung der Messsonde: Abhängig davon, wo und wie diese unterhalb des Granuliersiebs positioniert wird, bestehen eklatante Unterschiede beim Verhältnis zwischen Fein- und Granulatanteil. Um ein optimales Verfahren für eine möglichst repräsentative Probe zu entwickeln, wurden vier unterschiedliche Ansätze geprüft. Dazu wurden unter anderem mehrere Testreihen durchgeführt, in denen zeitgleich Proben an 40 verschiedenen Positionen unter dem Granuliersieb genommen und analysiert wurden. Das daraus entwickelte Verfahren zur repräsentativen Inline-Probennahme wurde Anfang 2021 zum Patent angemeldet.
Auch die geringe Partikelgröße stellte eine Herausforderung dar: Damit diese kontinuierlich inline bestimmt werden kann, entwickelte Parsum speziell für den Einsatz in Walzenpressen eine PAT-Messsonde mit nach unten erweitertem Messbereich sowie spezielle Inline-Dispergierer, mit denen sich auch Partikel im Größenbereich von 20 bis 200 µm zuverlässig vereinzeln und damit stabil messen lassen.
Diagnose-Tool zur vollständigen Überwachung relevanter Prozessparameter in Echtzeit
Auf Basis zahlreicher Testreihen und Optimierungen bei der Messtechnik konnte schließlich eine marktreife Walzenpresse zur Trockengranulierung mit integriertem Diagnose-Tool entwickelt werden. Damit für die Qualitätssicherung keine manuellen Stichproben mehr entnommen und offline analysiert werden müssen, sondern alle Messungen und Analysen bereits inline und in Echtzeit durchführbar sind, wurde die Partikelmesssonde an einem dafür strategisch günstigen Ort in der Walzenpresse platziert. Dennoch achtete die Alexanderwerk GmbH bei der Integration auf eine platzsparende Bauweise, sodass sich die Walzenpresse im Vergleich zu Vorgängermodellen nicht vergrößert. Es werden lediglich 100 mm Bauhöhe mehr am Auslass der Walzenpresse benötigt, um die Messsonde mit Dispergiertechnik zu installieren.
„In der Maschinensteuerung werden alle relevanten Maschinenparameter wie Presskraft, Walzenspalt und Walzendrehzahl zusammengeführt und die Ist- und Soll-Werte aufgezeichnet und abgeglichen. Darüber hinaus wird jetzt auch die komplette PGV gemessen und erfasst. Die Kennwerte werden sowohl in Echtzeit grafisch aufbereitet als auch im Batch-Protokoll gespeichert“, berichtet Weidemann. Durch die so ermöglichte Online-Überwachung kann die Anlage bei größeren Abweichungen oder bei Überschreiten vorab bestimmter Grenzwerte frühzeitig gestoppt und in der Folge unnötiger und kostspieliger Materialverlust verhindert werden. Darüber hinaus lassen sich die Inline-Messdaten für eine direkte Freigabe einer produzierten Charge für den nächsten Verarbeitungsschritt nutzen.
Ausblick
Nach Abschluss der ersten Phase des Forschungsprojekts ist nun eine marktreife Lösung entstanden, die zukünftig als Option für die WP120-Pharma-Walzenpresse der Alexanderwerk GmbH angeboten werden kann und auch für andere Einsatzgebiete adaptiert werden soll. Für die Kooperationspartner ist das Projekt jedoch noch nicht abgeschlossen, denn die Entwicklung der Walzenpresse mit Inline-Messsonde stellt nur einen Teilschritt auf dem Weg zum vollständig geregelten Prozess im Sinne eines effizienten Continuous Manufacturing dar. Geplant ist bereits eine Auswertung in Echtzeit der inline gemessenen PGV, um über eine Populationsmassenbilanz Rückschlüsse auf die Schülpendichte und deren Qualität zu ziehen. Eine solche Auswertung kann genutzt werden, um – falls notwendig – über einen Regelkreis in den Kompaktierprozess einzugreifen, und so eine noch konstantere Qualität der produzierten Granulate zu erreichen. „Damit hält Industrie 4.0 immer mehr Einzug in die Prozesstechnik und erlaubt eine kontinuierliche, kosteneffiziente und fehlerfreie Fertigung“, so Weidemann abschließend.