Die Nachfrage nach Lithium-Ionen-Batterien (LIB) steigt rasant. Im Jahr 2040 soll der jährliche Bedarf laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI bereits auf 6000 GWh pro Jahr ansteigen. Um diesen enormen Bedarf an Batteriespeicherkapazität bzw. Batteriezellen decken zu können, erfordert es nicht nur eine Vielzahl von Batteriezellfabriken, sondern auch eine gesicherte, wirtschaftliche und nachhaltige Rohstoffversorgung. Angesichts der hohen Nachfrage nach Lithium und der damit verbundenen Herausforderungen der Beschaffung ist die Frage nach alternativen Batterietechnologien äußerst relevant.
Suche nach Alternativen endet beim Gruppennachbar
Auf der Suche nach Alternativen zu Lithium ist vor allem der Gruppennachbar Natrium in den Fokus der Forscher gerückt. Im Herbst wurde ein Umfeldbericht veröffentlicht, der in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT, dem Lehrstuhl PEM der RWTH Aachen und dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI entstanden ist. Er beantwortet einige grundlegende Fragen und beschäftigt sich mit dem Potenzial von Natrium-Ionen-Batterien (NIB). Diese zeichnen sich durch eine gute Ressourcenverfügbarkeit, Sicherheit und Tiefentladefähigkeit aus. Mit Blick auf die Materialien ist Natrium in Deutschland nahezu unbegrenzt verfügbar. Natrium verfügt allerdings nicht über eine so hohe Energiedichte wie Lithium. Das heißt, die NIB-Zelle kann weniger Energie zur Verfügung stellen als eine vergleichbare LIB-Zelle. Folglich wird derzeit vor allem daran geforscht, die Energiedichte zu erhöhen.
Der Schlüssel liegt vor unserer Tür
Der notwendige Moment für den Hochlauf nachhaltiger Batterietechnologien sei gestern gewesen. Das sagen Prof. Dr. Michael Stelter vom Fraunhofer IKTS und Prof. Dr. Martin Oschatz vom Institut für Technische Chemie und Umweltchemie an der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) in Jena. Der Schlüssel zum Erfolg liege vor der Tür: Natrium. „Dank ihrer einzigartigen Eigenschaften lässt sich mit einer Natrium-Ionen-Batterie sozusagen der Reset-Knopf für die herkömmliche Denk- und Einsatzweise von Batterien drücken. Bei Natrium-Batterien können wir uns plötzlich einer einheimischen Rohstoffbasis bedienen, die unabhängig von strategischen, ja kritischen Importen ist. Auch die benötigte technologische Infrastruktur ist vorhanden. Das ist die Chance für Wertschöpfung in Deutschland“, sagt Prof. Michael Stelter.
Wertschöpfung entlang der Via Regia
Deutschland hat in den vergangenen Jahren bedeutende Leuchttürme der Batterietechnik geschaffen. „Wenn wir allein nach Thüringen und Sachsen schauen: Diese Länder haben enorm vorgearbeitet und investiert. Alle einzelnen Wertschöpfungsschritte für die Entwicklung und Fertigung von Batterien sind von Westthüringen bis nach Ostsachsen entlang der Autobahn A4 bereits abgebildet.“ Im Mittelalter verlief hier die Via Regia – eine Straße, die für die technologische und wirtschaftliche Erschließung der Region zentral war. „Heute kann man von einer Neuen Via Regia der Batterien sprechen“, sagt Michael Stelter. „Dieses Potenzial muss zwischen Industrie und Forschung nur noch strategisch koordiniert werden. Kluge Köpfe, exzellente Materialentwicklung und Zellforschung, herstellende Betriebe und Produktion, Maschinenbau und vor allem die Rohstoffe – alles ist schon lange und vollumfänglich da.“
Dringender Ausbau der F&E-Aktivitäten
Dr. Florian Degen, Bereichsleiter für Strategie- und Unternehmensentwicklung an der Fraunhofer FFB, weist auf den weiteren Förderbedarf und Ausbau der F&E-Aktivitäten hin, um den Einstieg in einen unabhängigen europäischen Markt zu ermöglichen: „In Deutschland und Europa sind die Voraussetzungen für den Erfolg von Natrium-Ionen-Batterien gegeben. Für den Aufbau einer NIB-Industrie wird entscheidend sein, wie sich die Preise und die Lieferkette für LIB-Materialien zukünftig entwickeln. Umso wichtiger ist es nun, die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Forschung zu fördern, damit deutsche Hersteller frühzeitig in die Produktion von Natrium-Ionen-Batterien einsteigen können und diese Technologie als Ergänzung auf dem Batteriemarkt dienen kann.“
Amorphe Kohlenstoffe aus biogenen Abfällen
„Die Zellchemie ist entscheidend für eine relevante Leistungsdichte“, sagt Martin Oschatz. „Hard Carbons haben eine besondere Affinität zu Natrium und anodenseitig hohe Plateaukapazitäten. Durch ihre innere Porosität vergrößern wir die Oberfläche und generieren maximale Speichervolumina für Natrium-Ionen. Dadurch erreicht eine Batterie eine hohe Energiedichte.“ Hard Carbons sind amorphe Kohlenstoffe. Sie ersetzen Grafit und werden durch einfache Erhitzung geeigneter Ausgangsstoffe hergestellt – insbesondere aus kohlenstoffhaltigen biogenen Abfällen, wie Nussschalen oder Biertreber. Allein davon fielen 2019 in Deutschland 1,5 Mio.t an. Kathodenseitig nutzen Forscher unter anderem Preußisch Weiß.
Preußisch Weiß in großen Mengen benötigt
„Preußisch Weiß kann als Energiespeichermaterial an der Kathode, also dem Pluspol einer Natrium-Ionen-Batterie, eingesetzt werden“, sagt Sebastian Büchele vom Institut für Angewandte Materialien des KIT und Gründer des Start-ups Litona. „Solche Batterien sind günstig und alle enthaltenen Rohstoffe sind breit verfügbar. Ich bin davon überzeugt, dass wir sie bald massenhaft in Elektrofahrzeugen und Netzspeichern verwenden können.“ Die Frage sei allerdings, wer sie produziert. Hier stehe die europäische Industrie vor einem großen Problem. „Derzeit ist es selbst für Forschungseinrichtungen schwierig, sich Preußisch Weiß in ausreichenden Mengen zu beschaffen. Kaum ein Unternehmen in Europa stellt es her“, berichtet der Wissenschaftler. Büchele hat daher beschlossen, Preußisch Weiß selbst zu synthetisieren. Bei diesen Arbeiten entstand am KIT nicht nur ein hochwertiges Kathodenmaterial, sondern auch ein innovatives Verfahren für dessen Herstellung. Besucher der Hannover Messe können sich vom 22. bis 26. April 2024 bei Litona am Stand des KIT (Halle 13, Stand C76) davon überzeugen.
Recycling wesentlich einfacher
Nach Michael Stelter sei das Recycling bei Natrium-Ionen-Batterien wesentlich einfacher als bei Lithium-Batterien, da die Zellen kein Kupfer und Cobalt enthalten. „Recycling benötigt man daher lediglich für die wenigen wertvollen metallischen Elemente der Batterie. Neben Eisen geht es hier also insbesondere um Aluminium, das wir als Stromableiter nutzen. Interessant für den ökologischen Fußabdruck im Recycling wären aber sicherlich die vorgelagerten Synthesen der Batteriematerialien mit dem Potenzial, direkt die hergestellten Materialien wieder zurückzugewinnen.“
Fazit
Deutschland hat alle Voraussetzungen für den Erfolg der Natrium-Ionen-Batterien. Jetzt entscheiden die weitere politische Förderung und die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Forschung, wie schnell die Akkus auch hier auf den Markt kommen. So oder so, sagt Martin Oschatz, setzen er und Michael Stelter alle Hebel in Bewegung, um diese Technologie voranzutreiben. „Denn wenn wir von etwas überzeugt sind, dann ist es die Natrium-Ionen-Technologie.“
Suchwort: Natrium-Ionen-Batterie
Dr. Bernd Rademacher
Redakteur