Aus welchem Mehl unser Brot in ein paar Jahrzehnten gebacken wird, kann derzeit niemand sicher sagen. An der Universität Hohenheim beschäftigen sich Forscher aus unterschiedlichen Fachbereichen mit diesem Thema.
Das Projekt Betterwheat startete im Winter 2019/20 an der Universität Hohenheim in Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin Mainz und den Züchtungsfirmen DSV, Limagrain, KWS und WvB. Es gehört mit einem Fördervolumen von rund 1 Mio. Euro weltweit zu den größeren Projekten mit dem Fokus auf der Qualität von Weizen.
Rund 300 verschiedene Weizensorten werden im Rahmen des Projekts in jeweils vier bis acht unterschiedlichen Anbauregionen kultiviert und genauestens unter die Lupe genommen: Neben Kriterien wie Ertrag, Krankheitsresistenz, Teig- und Backeigenschaften wird auch analysiert, welche Sorten das beste Profil für die menschliche Ernährung bieten.
Der springende Punkt: Alle genannten Kriterien unterliegen je nach Umwelteinflüssen und Sortenwahl erheblichen Schwankungen. Aber nur die Merkmale, die hauptsächlich von der Sorte und weniger von der Umwelt beeinflusst werden, kann man erfolgreich in der Wertschöpfungskette beeinflussen.
„Betterwheat ist eine der ersten Studien, die bei so vielen Merkmalen den Einfluss von Sorte und Umwelt abgrenzt“, erklärt Projektleiter apl. Prof. Dr. Friedrich Longin von der Landessaatzuchtanstalt an der Universität Hohenheim. „Hier leisten wir Pionierarbeit, die für die heimische Weizenzüchtung und die Entwicklung neuer Weizenprodukte hochrelevant ist und zudem unser allgemeines Verständnis für den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Getreidequalität verbessert. Dazu kombinieren wir modernste Verfahren der Genomik, der Proteomik, der Spektrometrie sowie Klimadaten.“
Wettlauf gegen die Zeit: Kann die Digitalisierung helfen?
Im Zusammenhang mit dem Klimawandel beschäftigt Züchter unter anderem auch der Faktor Hitze- und Trockenstress. Denn Dürreperioden, wie wir sie seit einigen Jahren bereits erleben, werden häufiger und extremer.
Das Problem: Die Züchtung neuer Getreidesorten ist traditionell ein langsames Geschäft, das sich über viele Jahre hinzieht. Doch die Uhr tickt – und mit klassischen Methoden wird der Wettlauf gegen den Klimawandel womöglich kaum noch zu gewinnen sein.
Hilfe verspricht unter anderem die Digitalisierung: „Wir arbeiten daran mit Hilfe von DNA-Datenbanken und biostatistischen Methoden die Suche nach den erfolgversprechendsten ‚Eltern‘ für eine Kreuzung zu optimieren – und so den Züchtungsprozess erheblich zu beschleunigen“, so Prof. Dr. Karl Schmid, Leiter des Fachgebiets Nutzpflanzenbiodiversität und Züchtungsinformatik.
Ein wichtiges Ziel der Züchtungsforschung ist es auch, die Verarmung des Gen-Pools zu stoppen. Denn nur eine breite genetische Grundlage ermöglicht es, auch in Zukunft, schnell anpassungsfähige Getreidesorten hervorzubringen, die beispielsweise mit extremeren Wetterbindungen und Dürreperioden zurechtkommen, und somit die Ernährung künftiger Generationen sicherzustellen.
Vielfalt: Welches Potential bieten alte Arten?
Mehr Vielfalt wünschen sich auch Verbraucherinnen und Verbraucher. Hoch im Kurs stehen zum Beispiel alte Arten wie Einkorn, Emmer und Dinkel. Denn sie überzeugen durch Geschmack und innere Werte wie einen hohen Mineralstoffgehalt.
Doch: Sowohl beim Anbau als auch bei der Verarbeitung der Sorten, die beinahe in Vergessenheit geraten wären, gibt es zahlreiche Besonderheiten. An der Universität Hohenheim lief dazu in den vergangenen zwei Jahren der wahrscheinlich weltgrößte Feldversuch mit Urgetreide.
„Wir haben auf unseren Versuchsfeldern in kleinen Parzellen je 150 Sorten Einkorn und Emmer sowie ca. 100 Sorten Dinkel angebaut. Im Fokus standen dabei unter anderem die Krankheitsanfälligkeit, der Ertrag sowie Teig- und Backeigenschaften. Unser Fazit: Eine erfolgreiche Reetablierung alter Arten ist möglich, hängt aber unter anderem davon ab, ob eine stabile Wertschöpfungskette geschaffen werden kann“, berichtet apl. Prof. Dr. Longin.
Bessere Backeigenschaften – weniger Düngung: Was macht gutes Getreide aus?
Auch die Kriterien, mit denen die Qualität von Getreide bemessen wird, gehören dringend auf den Prüfstand, so die Einschätzung von Hohenheimer Experten.
„Bislang gilt vor allem der Eiweißgehalt des Getreides als ausschlaggebend. Denn Speicherproteine, auch Glutene genannt, machen den Teig durch ein Netz an winzigen Luftblasen elastisch und geschmeidig. Große Handelsketten machen deshalb genaue Vorgaben zum Proteingehalt von Mehl, welcher somit zum bestimmenden Faktor für den Getreidepreis wird“, erklärt Prof. Dr. Christian Zörb vom Fachgebiet Qualität pflanzlicher Erzeugnisse.
Erreicht wird der hohe Proteingehalt neben der Züchtung entsprechender Hochleistungssorten vor allem durch Düngung. Die Faustregel lautet: Je mehr Stickstoff auf dem Acker, desto mehr Protein im Weizen. Das kann jedoch zu gravierenden Umweltproblemen führen, etwa zu einer Belastung des oberflächennahen Grundwassers. Außerdem neigen sich die weltweiten Phosphorvorräte dem Ende – und sind global höchst ungleich verteilt. Die Politik reagierte 2020 mit einer neuen Düngemittelverordnung, die die Landwirte aber zum Teil vor große Herausforderungen stellt.
„Wir wollen dem Zusammenhang von Proteingehalt und Backqualität deshalb genauer auf den Grund gehen“, so Prof. Dr. Zörb. „Erste Versuchsergebnisse belegen, dass weniger die Proteinmenge insgesamt, sondern vor allem die Zusammensetzung und die Qualität der Proteine entscheidend ist. Wir schätzen, dass genauere Erkenntnisse darüber, welche Sorten und wie viel Düngung tatsächlich die gewünschten Eigenschaften hervorbringen, helfen können, weltweit bis zu einem Viertel der Stickstoffdüngung beim Anbau von Weizen einzusparen.“
Mehlqualität: Können innovative Technologien helfen?
Soll die Qualität von Getreide künftig nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Mühlen- und Getreidewirtschaft detaillierter bestimmt werden, sind dafür neue Technologien erforderlich, die praktikabel und kostengünstig eingesetzt werden können. Am Fachgebiet für Prozessanalytik und Getreidewissenschaft arbeitet man deshalb daran, ein Spektroskopie-Verfahren zu etablieren: Ziel ist es, neben den Konzentrationen von Eiweiß und Stärke insbesondere die Backeigenschaft vorherzusagen, die bislang nur über aufwändige Backversuche sicher bestimmt werden kann.
Um natürliche Schwankungen im Proteingehalt auszugleichen und die Knetfähigkeit von glutenarmem bzw. -freiem Mehl zu verbessern, sind darüber hinaus weitere innovative Strategien gefragt. Eine Möglichkeit könnte in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Behandlung des Mehls mit kaltem Plasma oder Ozon sein.
„Das kalte Plasma sowie das Ozon bewirken durch Oxidation eine Stärkung des Proteinnetzwerks im Mehl, was den Teig elastisch und viskos macht. Die Behandlung ist rückstandsfrei – nur die oxidierten Moleküle verbleiben im Teig, Mehlbehandlungsmittel, die sonst die Oxidation übernehmen, sind deshalb nicht mehr erforderlich“, erklärt Prof. Dr. Bernd Hitzmann vom Fachgebiet für Prozessanalytik und Getreidewissenschaft.
Unverträglichkeiten und Reizdarmprobleme: Was macht Brot bekömmlich?
Auch Verbraucherinnen und Verbraucher interessieren sich verstärkt für die Inhaltsstoffe ihres Brots. Viele Menschen hegen etwa den Verdacht, dass bei ihnen der hohe Glutengehalt von Weizenbrot zu Unverträglichkeiten führt. Hierbei lohnt sich aus ernährungswissenschaftlicher Sicht jedoch eine genauere Betrachtung.
„Tatsächlich hat beispielsweise Dinkelbrot, das von vielen Menschen als besonders bekömmlich eingestuft wird, einen viel höheren Glutengehalt als ein typisches Weizenbrot. Ein entscheidender Faktor könnte auch hier die genaue Eiweißzusammensetzung sein. Dies untersuchen wir aktuell in einer Humanstudie“, so Prof. Dr. med. Stephan C. Bischoff vom Institut für Ernährungsmedizin.
Bei Reizdarmpatienten können hingegen eine Gruppe von Kohlenhydraten und Zuckeralkoholen, sogenannte FODMAPs, zu Beschwerden führen. Deren Gehalt im Brot hängt unter anderem von der Teiggehzeit ab.
„In einer Studie konnten wir zeigen, dass Brot, dessen Teig weniger als zwei Stunden ruhen konnte, eine besonders hohe Konzentration der problematischen FODMAPs enthält. Eine noch längere Gehzeit bewirkt allerdings keine nennenswerte weitere Reduktion. Trotzdem kann sich die lange Teigführung aber positiv auf Aroma und Qualität des Brots auswirken – und enthaltene Mineralstoffe können unter Umständen besser verfügbar gemacht werden“, so Prof. Dr. Bischoff.
Ökologischer Fußabdruck: Wie arbeiten Bäckereien effizient und nachhaltig?
Einen umfassenden Blick auf alle wichtigen Prozesse, die in einer Bäckerei ablaufen, wirft ein aktuelles Projekt am Fachgebiet Prozessanalytik und Getreidewissenschaft. Computermodelle sollen dabei helfen Abläufe so zu optimieren, dass Energieverbrauch und CO2-Ausstoß minimiert werden und möglichst keine Lebensmittelabfälle anfallen.
„Unter anderem wollen wir die Auslastung der Maschinen verbessern, indem wir einzelne Schritte ausfindig machen, die zu Verzögerungen im Betrieb führen. Gleichzeitig soll ein Prognose-Tool helfen die benötigten Mengen besser abzuschätzen. Algorithmen berechnen die potentielle Nachfrage nach bestimmten Produkten zum Beispiel anhand von Wetterdaten, typischen Urlaubszeiten und alten Verkaufsdaten“, berichtet Prof. Dr. Hitzmann.
Altbackwaren: Rohstoff für Plastik der Zukunft?
Solange sich Abfälle in Bäckereien nicht vollständig vermeiden lassen, stellt sich weiterhin die Frage nach einer möglichst nachhaltigen Verwertung: Als Non-Food-Biomasse könnten Altbackwaren künftig beispielsweise ein interessanter Ausgangsstoff sein, um in Bioraffinerien die Plattformchemikalie HFM und Bio-Kohle zu gewinnen.
„HFM dient als Ausgangsbasis für den Bio-Kunststoff PEF. Als erdölfreie Alternative zu PET kann PEF zum Beispiel für die Herstellung von Flaschen oder Synthetikfasern wie Nylon verwendet werden. Am Bioraffinerie-Technikum der Universität Hohenheim erforschen wir aktuell wie das technische Verfahren so optimiert werden kann, dass es wirtschaftlich rentabel ist. Dann haben diese Produkte auch eine Chance, fossile Produkte schnell aus dem Markt zu drängen und einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz zu leisten“, berichtet Markus Götz, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Konversionstechnologien nachwachsender Rohstoffe unter der Leitung von Prof. Dr. Andrea Kruse.
Die nährstoffreiche Lösung, die in der Bioraffinerie als Reststoff anfällt, soll wiederum durch eine Biogasanlage aufbereitet und aufs Feld zurückgeführt werden. Auch die Bio-Kohle kann als Dünger und Bodenhilfsstoff wieder ausgebracht werden. So helfen verdorbenen Altbackwaren Getreide für neue Backwaren anzubauen – ein Kreislauf im Sinn der Bioökonomie.