Wir alle kennen das: Wenn man etwas haben will, aber nicht kaufen kann – nicht jeder ist gerade flüssig genug für teure Anschaffungen –, dann mietet man es. Das kann eine Wohnung sein, aber auch eine sündhaft teure Luxuskarosse. Im Falle der Mietwohnung schließt man in der Regel einen unbefristeten Mietvertrag ab, beim Luxuswagen ist es ein zeitlich begrenzter Mietvertrag, ein sogenannter Leasingvertrag, schließlich möchte man ja gerade kein altes Auto fahren. Beide Fälle haben aber eines gemeinsam: Man bezahlt nur für die Nutzung. D.h., am Ende der Nutzung gehört einem weder die Wohnung noch das Auto. Warum das Ganze? Man muss sein schwer verdientes Geld nicht in eine Immobilie oder ein Fahrzeug investieren, sondern kann sein Erspartes für etwas anderes nutzen.
Was kann man alles leasen?
Die Antwort: fast alles. Hauptsache es ist fungibel. Noch nie gehört? Dann sind Sie wie ich Naturwissenschaftler und kein Betriebswirt. Fungibilität ist ein ausschlaggebendes Kriterium für die Leasingfähigkeit eines Wirtschaftsgutes. Wow! Was für ein Satz! Aber was heißt das jetzt? Im Prinzip bedeutet es, dass das Objekt der Begierde – also das Heiligs Blechle aus Zuffenhausen oder Untertürkheim – nach Ablauf der vereinbarten Mietzeit noch durch Weitervermietung oder Verkauf verwertbar ist. Sprich, ein Restwert muss vorhanden und das Wirtschaftsgut muss gleichwertig ersetzbar sein.
Zu den fungiblen Waren gehören somit materielle Güter wie Maschinen, Produktionsanlagen, IT-Anlagen, fliegendes und fahrendes Equipment, Gold und vieles mehr. Es gibt auch immaterielle fungible Güter, wie Geld, Wertpapiere und Devisen. Übrigens: Kunstwerke mit Sammler- oder Liebhaberwert gehören nicht dazu. Sie können somit leider keinen Monét für vier Jahre leasen und ins Wohnzimmer hängen.
Leasing von Chemikalien
Der Fungibilität der Wirtschaftswissenschaftler entspricht gemäß §91 BGB der rechtliche Begriff der Vertretbarkeit. Eine Sache ist vertretbar, wenn Sie beweglich ist und nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt wird. Da dies auf Chemikalien zutrifft, kann man sie also rein theoretisch leasen.
Der Begriff Chemiekalienleasing wurde durch den Österreicher Dr. Thomas Jakl, einen der Urväter dieses Models, geprägt. Dr. Christopher Blum, Experte für nachhaltige Chemie beim Umweltbundesamt (UBA) kennt sich mit Chemikalienleasing aus: „Chemikalienleasing ist ein toller und eingängiger Begriff, passt aber nicht unbedingt zu den Geschäftsmodellen. Besser ist eigentlich der Begriff Chemicals-as-a-Service.“
Dass der Begriff des Chemikalienleasings hinkt, weiß auch Dr. Henrik Meincke, Chefvolkswirt des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). Er sieht Chemikalienleasing als Ergänzung zum Standardgeschäft: „Zusätzliche Wertschöpfungspotenziale können sich für die Unternehmen durch neue Chemicals-as-a-Service-Geschäftsmodelle ergeben. Das Spektrum reicht von einfachen Rücknahmesystemen über die Übernahme chemieintensiver Prozesse beim Kunden (z.B. Paint-Shops) bis hin zu Geschäftsmodellen, um neue, innovative Lösungen innerhalb komplexer Netzwerke zu erbringen. Dazu zählt beispielsweise das sogenannte Precision Farming. Diesen Geschäftsmodellen ist gemein, dass der Anteil des Umsatzes aus dem Verkauf des Materials sinkt, während der Anteil aus zusätzlichen Dienstleistungen zunimmt.“
Wie funktioniert nun Chemikalienleasing?
Im Prinzip ist es ganz einfach: Statt der klassischen mengenbezogenen Bezahlung – also Euro pro Tonne – wird die Bezahlung der Chemikalien durch eine nutzenorientierte Bezahlung ersetzt. Das kann die Nutzung von Lösemitteln zur Teilereinigung sein, aber auch die Lackierung von Automobilen. Die abzurechnende Einheit wäre im letzteren Fall die lackierte Fläche – also Euro pro Quadratmeter. Nun leuchtet auch ein, warum der Begriff des Chemikalienleasing nicht ganz zutrifft: Kein Mensch kratzt am Ende der Autonutzung den Lack vom Blech, um ihn dem Hersteller zurückzugeben, wie es ein Leasingmodell eigentlich fordert.
Ein kleines Rechenbeispiel erläutert das Modell recht anschaulich: Sagen wir mal, ein Fahrzeughersteller verbraucht für die Lackierung eines Autos mit sechs Quadratmetern zu lackierender Fläche zwei Liter Lack. Das kostet ihn 120 Euro (20 Euro pro Quadratmeter). Durch Prozessoptimierungen beim Hersteller und Weiterentwicklung der Rezeptur sinkt der Verbrauch in der Lackiererei auf 1,5 Liter für das ganze Fahrzeug bei gleichem Ergebnis. Der Chemikalienlieferant bekommt aber immer noch 120 Euro, da er ja für die lackierte Fläche bezahlt wird. Das wirtschaftliche Interesse des Chemikalienherstellers an Materialeinsparung ist bei diesem Modell einleuchtend.
Nutzen des Chemikalienleasings
Was ist nun der Nutzen des Chemikalienleasings? Dr. Meincke sieht den Vorteil vor allem beim Umweltaspekt: „Chemikalienleasing wirkt sich positiv auf die nachhaltige Entwicklung der Branche aus, da viele Geschäftsmodelle die Energie- und Materialeffizienz sowie die Profitabilität des Geschäfts erhöhen. Zudem befördern viele Geschäftsmodelle zirkuläres Wirtschaften.“ Allerdings schränkt er im gleichen Atemzug auch ein: „Der wesentliche Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung unserer Branche wird auch in Zukunft aus Produkt- und Prozessinnovationen kommen.“
Aktueller Stand beim Chemikalienleasing
„Konkrete Zahlen zur aktuellen Bedeutung des Chemikalienleasings liegen uns nicht vor. Eine systematische Erfassung über die Gesamtbranche steht noch aus“, sagt VCI-Chefvolkswirt Dr. Meincke und fährt fort: „Einzelne Unternehmen wie Safechem haben bereits heute komplett auf diese Geschäftsmodelle umgestellt. In der Mehrzahl der Fälle ergänzen jedoch die neuen Geschäftsmodelle das Kerngeschäft, ohne dass ihr Anteil in den Geschäftsberichten gesondert ausgewiesen ist.“
Auch Dr. Blum tut sich schwer mit der Bezifferung zum Stand des Chemikalienleasings: „Es ist schwer, an konkrete Daten heranzukommen. Es gibt viele nutzenorientierte Dienstleistungsmodelle, die nirgendwo ausgewiesen werden.“
Und auch die amtliche Statistik ist bisher keine große Hilfe. Für die Branche insgesamt hat der VCI vor einigen Jahren das Potenzial des Chemikalienleasings langfristig auf bis zu 10 % des Branchenumsatzes geschätzt. Nach Dr. Meincke liege der Anteil allerdings aktuell unter 1 %. Zahlen, denen auch Dr. Blum vom UBA nicht widerspricht: „Das UBA hat über viele Jahre das Chemikalienleasing gepuscht. Unsere Möglichkeiten sind weitestgehend erschöpft. Jetzt muss es der Markt regeln.“
Beispiele des Chemikalienleasings
Es gibt neben dem Lackierungsmodell noch einige Anwendungsfälle, bei denen das Chemikalienleasing gut funktioniert. Ein Klassiker ist der Einsatz von Lösemitteln in der Teileentfettung. Der Chemikalienhersteller liefert die Lösemittel, nimmt diese nach Gebrauch zurück und bereitet sie wieder auf. Der Leasingnehmer nutzt lediglich die Chemikalie und bezahlt für entfettete Teile.
Ein gleiches Modell gibt es bei Katalysatoren. Ein Hersteller kauft nicht den Katalysator, sondern nutzt nur dessen Funktionalität. Nach Gebrauch geht der Katalysator an den Hersteller zurück.
Fazit
In meinem Interview von 2009 mit Dr. Klaus Günter Steinhäuser hörte sich Chemikalienleasing als ganz tolle Sache an. Mittlerweile ist, was dieses Geschäftsmodell angeht, wohl eher Ernüchterung eingetreten. Sowohl beim VCI als auch beim UBA ist eine gewisse Ernüchterung zu spüren. An der einen oder anderen Stelle mag die nutzenorientierte Bezahlung gut funktionieren, der große Renner ist das Modell aber nicht geworden. Wird das aktuell intensivere Nachhaltigkeitsdenken etwas daran ändern? Das weiß niemand und meine Glaskugel bleibt auch trübe. Angesichts der bisherigen Entwicklung bin ich aber skeptisch, dass die prognostizierten 10 % jemals erreicht werden.
Wie ist Ihre Meinung? Hat dieses Modell noch eine Zukunft? Schreiben Sie mir eine Mail an bernd.rademacher@konradin.de oder nutzen Sie das untenstehende Formular. Ich bin auf Ihre Antworten gespannt.
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