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Schachmatt für Bakterien

Klaus Tschira Preis für Chemie
Schachmatt für Bakterien

Schachmatt für Bakterien
Thomas Böttcher kämpft mit völlig neuen Waffen gegen resistente Keime, die tödliche Infektionen hervorrufen können. Bild: Volker Steger
Die Suche nach neuen Angriffszielen im Kampf gegen krankheitserregende Bakterien ist der zentrale Ansatzpunkt meiner Forschung. Eine der größten Gruppen von Antibiotika sind Beta-Lactame wie das bekannte Penizillin. Während diese Verbindungen seit Alexander Fleming im Rampenlicht stehen, fristen ihre Verwandten, die Beta-Lactone, ein Schattendasein. Durch ein neues Verfahren konnte ich nach Angriffszielen der Beta-Lactone in den Bakterien suchen. Als Angriffsziele kommen Enzyme infrage, die in der Zelle Stoffwechselvorgänge beschleunigen. Je nach Strukturvariation der Beta-Lactone sollten bestimmte Enzyme diese irrtümlich für ihre natürlichen Substrate halten. Statt sie jedoch wie gewohnt umzuwandeln und wieder freizusetzen, würden sich die Enzyme an ihnen die Zähne ausbeißen – so die Hypothese. Denn das aktive Zentrum der Enzyme sollte sich fest mit den reaktiven Beta-Lactonen verbinden und somit keine Reaktionen mehr katalysieren können. Nach genau diesem Mechanismus funktionieren auch Antibiotika.

Es galt herauszufinden, ob sich die Beta-Lactone wirklich mit Enzymen verbinden können. Meine Strategie bestand darin, die proteingebundenen Beta-Lactone mit einem Fluoreszenzfarbstoff zu markieren und die vielen verschiedenen Proteine ihrer Größe nach aufzutrennen. Das Ergebnis war ein Volltreffer, es wurden Proteine durch die Beta-Lactone markiert! Unter den vielen interessanten Funden stach ein Protein besonders hervor: Es trägt den kurzen Namen ClpP und ist eine Protease, ein Enzym, das andere Proteine spaltet. In den Bakterien funktioniert es wie eine Art Aktenvernichter: Von der Zelle nicht mehr benötigte Proteine werden entfaltet und von ClpP zerstückelt. Unter den Proteinen, die von ClpP abgebaut werden, befinden sich auch solche, die den Angriff von krankheitserregenden Bakterien auf den Menschen steuern.
So auch bei Staphylococcus aureus, einem Erreger, der durch seine zunehmende Resistenz gegen Antibiotika und seine Aggressivität immer wieder Schlagzeilen macht: Das Bakterium versteckt sich vor dem Immunsystem und wartet auf seine Chance. Ist der menschliche Organismus angeschlagen oder gelangt das Bakterium in eine Wunde, beginnt es, sich zu vermehren. Es sendet Signalstoffe aus und lauscht. Erst wenn genügend Bakterien antworten, ist garantiert, dass sie gegen den Menschen eine Chance haben. Nun beginnt der koordinierte, gleichzeitige Angriff von Millionen von Bakterien. Und genau hier springt die Protease ClpP ein. Sie baut ein Protein ab, das auf den Genen für die Angriffswaffen von S. aureus liegt und normalerweise verhindert, dass diese Gene abgelesen werden. Erst wenn die Blockade der Gene durch das Eingreifen von ClpP aufgehoben ist, kann das Hochrüsten der Bakterien beginnen.
Wenn also die Beta-Lactone ClpP ausschalten würden, könnten die Bakterien nicht mehr angreifen und man hätte einen aussichtsreichen Prototyp für ein neuartiges Medikament. Zunächst hatte ich nur die Markierung in den Extrakten toter Bakterien nachgewiesen. Es galt also zu überprüfen, ob einige der Beta-Lactone die schützende Zellwand und Zellmembran überwinden und an ClpP in den lebenden Zellen binden können. Was sich zeigte, war erstaunlich: Für drei Beta-Lactone aus der Bibliothek von Strukturvarianten wurde jeweils nur eine einzige intensiv fluoreszierende Bande erhalten. Die Analyse machte es eindeutig: Es handelte sich um ClpP. Diese Lactone konnten also in die Zelle eindringen und banden überraschenderweise durch ihre spezielle Struktur unter allen vorhandenen Proteinen nur an ClpP als Hauptziel in der lebenden Zelle – optimale Voraussetzungen für einen Arzneistoff. Ein Medikament, basierend auf diesem neuen Konzept, hätte entscheidende Vorteile: Die Bakterien werden entwaffnet, können dem Menschen nicht mehr schaden und werden durch das Immunsystem beseitigt. Zugleich entfallen die typischen Nebenwirkungen von Antibiotika, die sich auch gegen jene Bakterien richten, auf die wir angewiesen sind, und somit unsere Magen- und Darmflora zerstören.
Thomas Böttcher
Der hier in Auszügen veröffentlichte Bericht aus bild der wissenschaftplus erhielt 2010 den Klaus Tschira Preis für verständliche Wissenschaft im Fach Chemie.
Internet
Die vollständige Dissertation:
Edoc.ub.uni-muenchen.de/11018/1Boettcher_Thomas.pdf
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