Startseite » Chemie » Anlagenbau (Chemie) »

Wie ist der aktuelle Stand in der PFAS-Diskussion?

Fluorpolymere zwischen Innovation und Regulierung
Wie ist der aktuelle Stand in der PFAS-Diskussion?

Per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS) sind momentan in aller Munde. Die Medien berichten über Emissionen überall in Europa. Auch in den Vereinigten Staaten sind PFAS keine Unbekannte. Doch was macht die sogenannten Ewigkeitschemikalien zu einem Problem? Julia Kletschke, Manager Kompetenz und Strategie bei der meweo GmbH, gibt einen Überblick über die aktuelle Situation.

 

Die Antwort liegt bereits in dieser Frage. PFAS sind bekannt für ihre Wasser-, Fett- und Schmutzabweisung sowie ihre hohe chemische und thermische Stabilität, weshalb sie besonders langlebig sind und sich in der Umwelt verteilen. Diese Gruppe von Verbindungen umfasst Schätzungen zufolge mehr als 10 000 verschiedene Stoffe und wurde erstmals in den späten 1940er Jahren hergestellt und eingesetzt. Chemisch betrachtet bestehen sie aus organischen Verbindungen mit Kohlenstoffketten unterschiedlicher Länge, bei denen Wasserstoffatome entweder vollständig (perfluoriert) oder teilweise (polyfluoriert) durch Fluoratome ersetzt sind.

Allgemeines PFAS-Verbot

Die EU hat im Jahr 2020 ihre Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit veröffentlicht, wonach Bürger und Umwelt besser geschützt und Innovation von nachhaltigen Chemikalien gefördert werden sollen. Teil dieser Strategie ist die Abschaffung aller PFAS, die durch das PFAS-Restriktionsdossier eingeleitet wurde. Die Behörden in Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und Schweden haben dieses ausgearbeitet und am 13. Januar 2023 bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht. Es beinhaltet ein allgemeines Verbot von allen PFAS, inklusive Fluorpolymeren, mit Ausnahmeregelungen für bestimmte Anwendungen.

Ausweitung der Ausnahmeregelungen möglich?

Das Problem des Dossiers für die Dichtungsindustrie und insbesondere den Mittelstand ist die Alternativlosigkeit von gewissen Fluorpolymeren und vor allem die Umsetzbarkeit des Verbots entlang komplexer Lieferketten. Aktuell werden über 5600 Kommentare, die in der 6-monatigen Konsultationsphase bei der ECHA eingereicht wurden, ausgewertet, bevor die Europäische Kommission unter Einbeziehung der Mitgliedstaaten eine Entscheidung trifft. Erst kürzlich hat die Europäische Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, in einem Schreiben an eine Gruppe Parlamentarier deutlich gemacht, dass „im Einklang mit dem geltenden Verfahren die wissenschaftlichen Ausschüsse ihre Stellungnahmen fertigstellen müssen, bevor die Kommission über den Umfang dieser PFAS-Beschränkung entscheiden kann.“ Gleichermaßen betont sie jedoch, dass die Kommission bestrebt ist „Ausnahmeregelungen für Verwendungen vorzuschlagen, die für den digitalen und ökologischen Wandel und die strategische Autonomie der EU erforderlich sind.“ Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.

Das überschwängliche Interesse an der öffentlichen ECHA-Konsultation zeigt die immensen Auswirkungen, die das geplante Verbot auf die Industrie haben wird. Bereits jetzt spürt man die Unruhe im Markt und vor allem Polymerhersteller positionieren sich. So hat beispielsweise Dyneon 3M angekündigt sich aus dem Markt zurückzuziehen, während andere Hersteller weniger radikal auf das geplante Verbot reagieren und versuchen eine Ausnahme für Fluorpolymere zu erwirken.

Großzahl der Eingaben zu Fluorpolymeren

Damit stehen sie nicht allein da. Die Großzahl der Eingaben in die öffentliche Konsultation befassen sich mit Fluorpolymeren. Diese sind weit verbreitet und kommen in einer Vielzahl von Sektoren, wie der Chemie-, Halbleiter-, oder Lebensmittelindustrie zur Anwendung. Fluorpolymere bestehen aus starken Kohlenstoff-Fluor-Verbindungen, dem stärksten Einfachbindungstyp in der organischen Chemie, was sie äußerst stabil macht. Die Beschränkung der Verwendung von Fluorpolymeren ohne gleichwertige Alternativen würde nicht nur technologische Fortschritte behindern, Produktinnovationen einschränken und die Gesamtwettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrien beeinträchtigen, sondern auch die Sicherheit für Mensch und Umwelt bei komplexen Produktionsverfahren kompromittieren.

Neue Standards für Fluorpolymerherstellung

Was tut die Industrie also, um eine Ausnahme für Fluorpolymere zu erwirken? Aus den Eingaben in die öffentliche Konsultation lässt sich herauslesen, dass die Industrie insgesamt bemüht ist PFAS zu ersetzen, wo es möglich ist, die Kreislaufwirtschaft zu fördern und Emissionen zu minimieren. Letzteres betrifft vor allem Polymerhersteller. Diese haben sich in der Fluoropolymer Product Group (FPG), einer Produktgruppe, die die führenden Hersteller von Fluorpolymeren weltweit vertritt, zusammengeschlossen und ein Fertigungsprogramm für europäische Produktionsstätten veröffentlicht. Die branchengetriebene Initiative setzt neue Standards für die Fluorpolymerherstellung und beinhaltet eine freiwillige Verpflichtung zur Reduzierung von nicht-polymeren PFAS-Emissionen aus der Fluorpolymerherstellung, eine Plattform zur Förderung der Nutzung kommerziell verfügbarer Spitzentechnologien zur Minimierung von nicht-polymeren PFAS-Emissionen in der Herstellung, sowie eine Verpflichtung, Endanwender von Fluorpolymeren über deren sichere Handhabung und Verwendung zu informieren.

Das Ergebnis sind Fluortensid-freie Werkstoffe, die auch oft als fluorosurfactent-free (FSF) bezeichnet werden. Fluortenside werden bei der Herstellung als Polymerisationshilfen genutzt, um bestimmte Eigenschaften im Fluorpolymeren hervorzurufen. Sie verbleiben jedoch in der Regel nicht im Produkt, sondern werden herausgewaschen, wodurch Emissionen in die Umwelt geraten können. Die Produktion von FSF-Polymeren, soll dem also maßgeblich entgegenwirken. Jedoch verwenden die Hersteller zur Umsetzung dieser neuen Ziele unterschiedliche Produktionsverfahren. So verwenden einige nicht fluorierte Tenside wohingegen andere Hersteller Verfahren entwickelt haben bei denen keinerlei Tenside genutzt werden.

Implikationen für die Lieferkette

Grundsätzlich ist ein positives Zeichen, dass vor allem Polymerhersteller aktiv nach Lösungen suchen, um Emissionen zu minimieren und damit letztendlich dem Gesetzgeber signalisieren, dass die Industrie Teil der Lösung des PFAS-Problems sein will. Doch die Veränderungen in der Polymerherstellung stellen Unternehmen entlang der Lieferkette vor neue Herausforderungen. So treten vermehrt Fragen nach der Vergleichbarkeit der Performance, der Verfügbarkeit und den Preisentwicklungen auf. Zu gegebenen Zeitpunkt scheint es, als sei eine serienmäßige Einführung von FSF-Werkstoffen für 2025 zu erwarten, wobei die Performance gleichbleiben soll. Die Preise werden erwartungsgemäß jedoch steigen. Außerdem ist nicht einwandfrei geklärt, wie es sich mit bestimmten Freigaben für Märkte wie zum Beispiel die Lebensmittelindustrie verhält.

Letztendlich ist es zweitrangig ob und wann ein PFAS-Verbot in Kraft tritt und ob eine Ausnahme für Fluorpolymere berücksichtigt wird. Fest steht, der Wandel im Markt ist bereits in vollem Gange und verschiedenste Akteure drehen an mehreren Stellschrauben.

meweo-Event auf der ACHEMA

meweo lädt zur Abendveranstaltung auf der ACHEMA ein. Entdecken Sie die Dienstleistung MeweKomp und diskutieren Sie mit unseren Gästen bei Speisen und ­Getränken über die neuesten Entwicklungen in der Prozesstechnik. Für die Teilnahme an der Abendveranstaltung ist ­eine ­Anmeldung erforderlich.
Wann: 11.06.2024 , 18 bis 22 Uhr
Wo: Halle 8.0, Stand D4
Anmeldung: angelina.mueller@meweo.de bis11.06., 15:00 Uhr

meweo

Halle 8.0, Stand D4

Unsere Webinar-Empfehlung
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

cav-Produktreport

Für Sie zusammengestellt

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Top-Thema: Instandhaltung 4.0

Lösungen für Chemie, Pharma und Food

Pharma-Lexikon

Online Lexikon für Pharma-Technologie

phpro-Expertenmeinung

Pharma-Experten geben Auskunft

Prozesstechnik-Kalender

Alle Termine auf einen Blick


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de