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Die Energieversorgung wird chemischer

Die Rolle der Chemie für unser Energiesystem
Die Energieversorgung wird chemischer

Die Erschließung neuer Energiequellen und die teilweise Umstellung unseres Energiesystems von fossilen Quellen auf eine neue Basis, ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, wenn nicht sogar die größte. Zur Lösung dieses Problemkomplexes bedarf es einer abgestimmten Strategie, die von kurzfristig wirkenden Maßnahmen bis zu grundlegenden Untersuchungen alternativer Energiequellen und einer angepassten Energieinfrastruktur reicht. Aufgrund seiner hohen Bedeutung für die Zukunft unserer Gesellschaft nimmt dieses Gebiet einen prominenten Platz in der Hightech-Strategie der Bundesregierung ein.

Dr. Dana Demtröder, Prof. Dr. Ferdi Schüth

Die Bedeutung der Chemie bei der Versorgung unserer Gesellschaft mit Energie wurde bereits in einem gemeinsamen Positionspapier der Chemischen Fachgesellschaften und des VCI vom Sommer 2006 („Energieforschung: Innovative Beiträge der Chemie für die Energieversorgung der Zukunft und zur Reduzierung des Energieverbrauchs“) hervorgehoben. Mit dem aktuellen Positionspapier „Energieversorgung der Zukunft – der Beitrag der Chemie“ stellen die deutschen Chemieorganisationen Dechema – Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V., GDCh – Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V., DBG – Deutsche Bunsen-Gesellschaft für physikalische Chemie e.V., DGMK – Deutsche Wissenschaftliche Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle e.V., VDI-GVC – Gesellschaft für Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen e.V. und VCI – Verband der Chemischen Industrie e.V. die Schlüsselposition der Chemie bei der Versorgung unserer Gesellschaft mit Energie dar. Darin werden wesentliche Entwicklungspotenziale sowie der Forschungsbedarf in der Energieforschung für die nächsten Jahrzehnte aufgezeigt und beurteilt.
Der Beitrag der Chemie zur Energieversorgung der Zukunft
Analysiert man die Entwicklung unseres Energiesystems in der Vergangenheit, so wird deutlich, dass der Chemie eine immer größere Bedeutung bei der Erzeugung und Wandlung von Energie zugekommen ist und es sich mittlerweile um eine Schlüsseltechnologie auf diesem Gebiet handelt. Dieser Trend wird sich in Zukunft nicht abschwächen, sondern weiter zunehmen. Dies sei an einem Beispiel erläutert: Das in der Anfangszeit des Ölzeitalters geförderte Öl wurde bestenfalls destilliert und dann direkt verbrannt. Heute ist eine Raffinerie nicht mehr nur eine Anlage zur Destillation des Rohöls, sondern die verschiedenen Ölbestandteile werden durch zahlreiche chemische Prozesse so umgewandelt, dass der Energieinhalt des Rohöls optimal für die angestrebten Einsatzzwecke genutzt wird. Wenn sich unsere Rohstoffbasis zur Bereitstellung von Kraftstoffen mit dem Zurückgehen der Erdölvorräte verändert, wird die Bedeutung von chemischen Stoffumwandlungsprozessen noch erheblich zunehmen, da die chemischen Eigenschaften der dann verfügbaren Rohstoffe wesentlich weiter von denen der Zielprodukte entfernt sind, als es bei der Basis Rohöl der Fall war. Die Bedeutung der Chemie geht aber weiter: Neue Technologien in der Energieerzeugung erfordern fast immer entscheidende Fortschritte im Bereich der Chemie:
  • Brennstoffzellenkatalysatoren sind derzeit noch zu teuer und zu wenig effizient, thermostabile Polymermembranen für Brennstoffzellen würden den großtechnischen Einsatz solcher Systeme erheblich erleichtern.
  • Zukünftige Generationen von Solarzellen erfordern neuartige molekulare Systeme, die effizienter und kostengünstiger hergestellt werden könnten und damit die Photovoltaik wirtschaftlich konkurrenzfähig mit der Energieerzeugung aus fossilen Quellen machen würden.
  • Fortschritte in der Batterietechnik hängen entscheidend von Verbesserungen in der Chemie der Elektroden und der Elektrolyte ab.
  • Neuartige Thermoelektrika könnten eine Revolution in der Erzeugung elektrischer Energie durch direkte Nutzung von Wärmeenergie einleiten.
  • Alle Techniken zur Abscheidung von CO2 aus Abgasen von Kraftwerken oder anderen Industrieprozessen werden auf chemischen Verfahren beruhen.
  • Ein Großteil der energiesparenden Leichtbaukomponenten in Flugzeug- und Automobilbau wird spezielle Copolymere benötigen.
  • Zur Effizienzsteigerung chemischer Produktionsprozesse werden innovative Konzepte der Prozessintensivierung wie z. B. Katalyse, Mikroreaktionstechnik, neue Reaktionsmedien etc. einen wesentlichen Beitrag leisten.
Diese Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig, und für fast jedes fortgeschrittene Energiesystem sind Schlüsselinnovationen in der Chemie notwendig. Schließlich ist auch die Umstellung der chemischen Produktion selbst auf weniger energieintensive und effizientere Verfahren eine große Zukunftsaufgabe, zudem wird es aus Kostengründen erforderlich sein, die Rohstoffbasis von Erdöl zumindest teilweise auf andere – auch regenerative Rohstoffe – zu verlagern.
Verfügbare Potenziale
Welcher Pfad für unsere Energieversorgung schließlich eingeschlagen werden soll, ist eine gesellschaftlich-politische Entscheidung. Allerdings gibt es eine Reihe von wissenschaftlich-technischen und ökonomischen, klar definierbaren Randbedingungen, die berücksichtigt werden müssen, wie die derzeitigen und erwarteten Kosten, das nutzbare Volumen neuer Energiequellen und die Umweltverträglichkeit in der Praxis. Auch sollte man nicht vergessen, dass über Ressourcen nur einmal verfügt werden kann: Wenn die gesamte verfügbare Agrarfläche zur Produktion von Energiepflanzen genutzt werden soll, steht diese Fläche nicht mehr für die Produktion von Rohstoffen für die chemische Industrie oder für die Ernährung zur Verfügung. Der Planung eines zukünftigen Energiesystems und der Steuerung von Investitionen in Forschungsaktivitäten muss eine realistische Potenzialabschätzung zugrunde liegen.
Bei den regenerativen Energien ist das Potenzial der Solarenergie in Form von Strahlung in Deutschland erst zu einem sehr geringen Bruchteil genutzt, allerdings derzeit – außer für Heizzwecke – nicht annähernd zu wettbewerbsfähigen Kosten. Hier existieren noch sehr hohe Reserven, die durch Schlüsselinnovationen aus der Chemie, wie etwa neuen polymeren Werkstoffen für die kostengünstige Herstellung flexibler Solarzellen, erschlossen werden könnten.
Für Biomasse wird ein Gesamtpotenzial von etwa 10 % unseres derzeitigen Energieverbrauchs geschätzt, was erst zu etwa einem Drittel genutzt wird. Ein erheblicher Teil davon könnte in Form von Flüssigkraftstoff produziert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Biomasse eine der wenigen in Deutschland verfügbaren Energiequellen ist, die relativ einfach zu Flüssigkraftstoffen umgesetzt werden kann. Dies ist wesentlich, weil für diese Energieform Engpässe am ehesten befürchtet werden und die Importabhängigkeit am höchsten ist.
Kohle hat von den fossilen Energieträgern die längste prognostizierte Reichweite (155 Jahre weltweit) und ist die einzig wesentliche in Deutschland vorkommende fossile Energiequelle, neben weit geringeren Mengen an Erdöl und Erdgas. Kohle kann zur Gewinnung von elektrischer Energie genutzt werden, man kann jedoch auch Flüssigkraftstoffe aus ihr herstellen. In der Nutzung von Synergieeffekten mit anderen Energieträgern und -quellen im Mix könnten sich die üblicherweise hohen Emissionen von CO2 aus der Kohlenutzung verringern lassen, zudem ist mit chemischen Verfahren die CO2-Sequestrierung möglich, wenn auch unter Verlust an Effizienz der Kraftwerke. Andere Energiequellen, wie die Windenergie, benötigen Speichertechnologien in Form energiereicher Verbindungen, um die unstetig anfallende Leistung abzupuffern und die Potenziale optimal zu nutzen.
Schlussfolgerungen
Deutliche Fortschritte bei der Erschließung dieser Potenziale und der verbesserten Nutzung konventioneller Energieformen erfordern intensive Forschungsanstrengungen, zu einem erheblichen Teil in der Chemie als Querschnittswissenschaft auf dem Energiesektor. Unsere zukünftige Energieversorgung wird noch „chemischer“ werden und die Anpassung unseres Energiesystems auf die zukünftigen Herausforderungen wird ohne Durchbrüche aus der Chemie nicht möglich sein. Obwohl sowohl in einer Reihe von Unternehmen als auch in Hochschulen und Forschungsinstituten bereits intensiv daran gearbeitet wird, die Herausforderungen für die Chemie zu bewältigen, ist vielfach die Schlüsselrolle der Chemie für die Lösung des Energieproblems noch nicht erkannt. Da die Aufgabe eine langfristige ist, werden zudem auch zukünftige Generationen von Wissenschaftlern daran arbeiten müssen, so dass es gilt, entsprechende Inhalte in der Lehre stärker zu verankern. Daher muss die Fachöffentlichkeit für diese Fragestellung sensibilisiert werden.
In dem Positionspapier „Energieversorgung der Zukunft – der Beitrag der Chemie“ werden die wesentlichen Entwicklungslinien im Energiesektor detailliert diskutiert und in den Kontext von Innovationsschüben gestellt, die aus der Chemie erfolgen müssen. Weiterhin werden flankierende Maßnahmen aufgezeigt, die auf eine abgestimmte Förderstrategie im Bereich der chemischen Energieforschung abzielen. Das Positionspapier steht auf der Homepage der Dechema (www.dechema.de) zum Download bereit.
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