Startseite » Chemie »

Die unsichtbare Gefahr

Gasmessung gestern bis heute
Die unsichtbare Gefahr

Nicht zu sehen, nicht zu riechen und nicht zu schmecken: Viele Gase und Dämpfe entziehen sich der menschlichen Wahrnehmung und sind auch für die Umwelt gefährlich. Heutige Gasmesstechnik bestimmt ihre Art und Menge – mit Röhrchen oder elektronischen Gasmessgeräten, stationär wie mobil. Doch das war nicht immer so.

Der Urzustand des Chaos, diese absolute Verwirrung der Welt ohne Orientierungsmöglichkeit, scheint dem Brüsseler Arzt und Naturwissenschaftler Jan Baptist van Helmont (1580–1644) ein würdiger Namenspate für einen von ihm beschriebenen neuartigen Stoff zu sein. So tauft er dieses farb-, geruch- und scheinbar auch körperlose Fluidum „Gas“. Das Konzept ist Anfang des 17. Jahrhunderts für die meisten Zeitgenossen nicht ganz leicht zu verstehen. Schließlich kann der Mensch die wenigsten Gase mit Nase, Auge oder anderen Sinnen wahrnehmen – und genau das macht sie bis heute so gefährlich. Im allgemeinen Sprachgebrauch setzt sich das Wort Gas erst Anfang des 19. Jahrhunderts durch – als Leuchtgas zur Illumination von Fabrikhallen und Straßen eingesetzt wird.

Mit der Kerze in den Keller
Von Gasen und ihren Reaktionsprodukten können Gefahren ausgehen. Das weiß der Mensch aufgrund seiner alltäglichen Erfahrungen aus verschiedenen Berufsfeldern bereits, als er physikalische und chemische Zusammenhänge noch nicht kennt und den einzelnen Stoffen noch keinen Namen zuweisen kann. So empfiehlt der Gelehrte und Schriftsteller Plinius (ca. 23–79 n. Chr.) Winzern, ihre Keller nur mit einer brennenden Kerze in der Hand zu betreten, wenn der junge Wein gärt. Erlischt die Flamme, ist das ein Hinweis auf erstickende Gärgase. Bergleute, insbesondere in Kohlegruben, vertrauen jahrhundertelang auf Singvögel als Frühwarnsystem. Die Kumpel nehmen Finken und Kanarienvögel mit unter Tage, um sich vor gefährlichen Anreicherungen von Kohlenstoffoxiden (matten Wettern) warnen zu lassen. Denn: Stellt der Vogel sein Zwitschern ein, ist das ein Zeichen für Gefahr. Allerdings helfen die gefiederten Gaswarner nicht gegen das Grubengas Methan. Wenn dieser im Flöz gespeicherte Kohlenwasserstoff austritt, sich mit Sauerstoff mischt und dabei die untere Explosionsgrenze überschreitet, entsteht schon beim kleinsten Funken eine Schlagwetterexplosion. Diese wiederum kann eine Kohlenstaubexplosion auslösen und so zu schweren Bergwerksunglücken führen. Erst die Grubenlampe von Sir Humphry Davy (1805) warnt vor Methan im Wetter und bietet zugleich Sicherheit gegen die Entzündung des explosiven Methan-Luft-Gemischs. Wenn die durch ein feinmaschiges Drahtgitter von der Außenluft getrennte Flamme im Geleucht ihre Farbe ins Bläuliche verändert, ist das ein Zeichen für Methan in der Atmosphäre. Und sogar in den eigenen vier Wänden können sich Gase bilden. So warnt das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten im Jahr 1794 vor dem unvorsichtigen Gebrauch der Kohlen in geschlossenen Gemächern, wo der Dampf den darin befindlichen Personen gefährlich werden könnte. Gemeint ist das Risiko einer Kohlenstoffmonoxid-Intoxikation. Dieses Gas, das bei einer unvollständigen Verbrennung entsteht, stellt bis heute eine der Hauptgefahren im Haushalt dar – ob durch defekte Öfen, Kamine, Gasthermen oder durch den unsachgemäßen Gebrauch offenen Feuers, beispielsweise das Grillen in geschlossenen Räumen. Auch deshalb rüsten immer mehr Rettungsdienste ihre Mitarbeiter mit CO-Warnern aus, die bei unspezifischen Alarmen zuverlässig auf Kohlenstoffmonoxid als Quelle von Unwohlsein oder gar Bewusstlosigkeit hinweisen.
Ex, Ox und Tox
Solche historischen Beispiele beschreiben bereits die wichtigsten von Gasen und Dämpfen ausgehenden Gefahren: Ex, Ox und Tox – das Risiko von Explosionen, zu geringen Sauerstoffkonzentrationen und Vergiftungen. Um diese Gefahren rechtzeitig zu erkennen, müssen Gase und Dämpfe qualitativ und quantitativ nachgewiesen werden. Welcher Stoff liegt vor, und wie hoch ist die Konzentration in der Atmosphäre? Je nach Anwendung geschieht das mit mobiler oder stationärer Gasmesstechnik, mit Kurzzeitmessungen oder mittels kontinuierlicher Überwachung. So unterschiedlich die Anforderungen auch sind, so groß ist das Angebot entsprechender Geräte und der darin verwendeten Sensoren. Dräger setzt seit den 1930er-Jahren Maßstäbe für verschiedene Anwendungen. So kommt 1937 das erste Dräger-Röhrchen auf den Markt, mit dem der Kohlenstoffmonoxid-Gehalt in der Luft bestimmt werden kann. Und im selben Zeitraum entwickeln die Lübecker Ingenieure ein Gasmessgerät für die kontinuierliche Messung nach dem Prinzip der Wärmetönung – auch diese Technik nimmt zunächst CO ins Visier, bald darauf folgt die Messung von Methan. Um das entsprechende Gas zu bestimmen, wird die Wärmeentwicklung während der Oxidation an einem Katalysator gemessen. Hierfür durchströmt die zu messende Luft eine Kammer, die kontinuierlich auf einer hohen Temperatur gehalten wird. Durch den Oxidationsprozess entsteht Wärme, und im Vergleich zu einer Referenzmesszelle wird die benötigte Heizleistung reduziert. Der jeweilige Wert erlaubt dann den Rückschluss auf die Konzentration von CO oder Methan in der Luft.
Dieses Verfahren, das 1931 auf der Fachmesse Achema in dem transportablen Dräger CO-Messgerät Modell Q vorgestellt wird, geht aus einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess hervor. „Entwickelt hat man die Technik zunächst für den internen Gebrauch, und zwar für die Qualitätssicherung in der Produktion von Kohlenstoffmonoxid- Atemfiltern“, erinnert sich ein zuständiger Produktmanager. „Nachdem sich das Verfahren bewährt hatte, entstanden daraus Anwendungen für die Industrie.“ Die Bühnen von Hüttenwerken, in denen in Deutschland Eisen und Stahl produziert wird, sind die ersten Einsatzorte der neuen Messgeräte. Schnell wird die Technik auch unter Tage eingesetzt, als Ergänzung zur Grubenlampe. Einmal mehr ist also die präzise und zuverlässige Kontrolle von Gasen der Schlüssel für den Erfolg einesneuen Geschäftsbereichs – auch der Dräger-Atemschutz und die -Tauchtechnik haben sich so entwickelt. Es liegt Mitte des 20. Jahrhunderts nahe, die Gasmesstechnik zu einem neuen Geschäftsfeld auszubauen, denn Gase und Dämpfe spielen eine wichtige Rolle in verschiedenen Bereichen wie Montanindustrie, chemischer und petrochemischer Industrie, aber auch in der Logistik, Infrastruktur und Kommunalwirtschaft sowie im Rettungsdienst oder Katastrophenschutz.
Vom Pellistor zum PID-Sensor
Die thermokatalytische Messung gewinnt nach dem Zweiten Weltkrieg immer weiter an Robustheit und Genauigkeit, als sich der Pellistor durchsetzt. So wird eine Perle aus poröser Keramik genannt, in die Katalysatorpartikel eingebunden sind. Dabei entsteht eine ex trem große Oberfläche auf kleinstem Raum. Eine Platinspirale im Pellistor dient als Heizung und Signalgeber, in dem die Veränderung des elektrischen Widerstands gemessen wird. In den 1960er- und 1970er-Jahren kamen erste elektrochemische Sensoren für Sauerstoff und toxische Gaseauf, in den 1980er-Jahren folgte die Infrarot-Absorptionstechnik. Bei mobilen Geräten erlaubt die Kombination verschiedener Sensoren die gleichzeitige Messung verschiedener Gase. Das Mitte der 1980er-Jahre auf den Markt gebrachte Multiwarn trägt diese Fähigkeit stolz im Namen. Es kann Methan, Sauerstoff, CO und Schwefelwasserstoff detektieren. Innovationen aus verschiedenen Bereichen wie der Medizintechnik und der Raumfahrt bringen über die Jahre die Gasmesstechnik voran. Als Beispiel nennt ein Dräger-Experte die PTFE-Folie mit ihrer bahnbrechenden Eigenschaft, für Gase durchlässig zu sein und gleichzeitig Flüssigkeiten zurückzuhalten. Ein weiteres Verfahren, das zur Gasmessung eingesetzt wird, ist unter anderem die Photoionisationsdetektion (PID). Die Weiterentwicklung der Sensortechnologie und die Produktion im eigenen Werk sind stetige Erfolgsfaktoren in der Geschichte des Unternehmens. Die verschiedenen Dräger-Sensoren kommen in Geräten zum Einsatz, die für bestimmte Einsatzspektren optimiert werden. Ein fest installiertes Gaswarngerät auf einer Offshore- Anlage zur Ölförderung und -verarbeitung stellt andere Anforderungen als ein Gerät zur mobilen Bereichsüberwachung, eine Lösung zur Freimessung geschlossener Räume (Confined Space Entry, CSE) oder ein am Mann getragenes Eingasmessgerät zur kontinuierlichen Überwachung der Konzentration bestimmter Stoffe im Rahmen der Arbeitssicherheit. „Ein solches Gasmessgerät muss im Hintergrund so zuverlässig und intuitiv funktionieren wie ein Kugelschreiber“, sagt der Dräger-Experte.
Der Blick auf das Röhrchen
Parallel zu den Gasmessgeräten schreitet seit den 1930er-Jahren die Entwicklung der Dräger-Röhrchen für die Kurzzeitmessung von Gasen voran. „Sie sind ein in sich geschlossenes System, das ohne Wartung auskommt, vorkalibriert ist und sich sofort einsetzen lässt“, beschreibt ein Dräger-Produktmanager die Vorzüge dieses Messsystems. Jedes Röhrchen besteht aus einem an beiden Enden verschlossenen Glasröhrchen, in dem sich ein Reagenz- System befindet. Zur Messung werden die beiden spitzen Enden abgebrochen und mittels einer Pumpe ein bestimmtes Volumen der zu untersuchenden Gasprobe durch das Röhrchen gesaugt. Ist der zu messende Stoff in der Probe enthalten, verfärbt sich das Reagenz – anhand der Länge dieser Verfärbung lässt sich die Konzentration an einer Skala auf dem Röhrchen ablesen. Den Anfang macht die Analyse von Kohlenstoffmonoxid durch die Reaktion mit Iodpentoxid unter sauren Bedingungen. 1937 kommt das erste Dräger-Röhrchen auf den Markt und wird unter anderem in der Montanindustrie schnell angenom men. Bereits Anfang der 1970er-Jahre gibt es mehr als 100 Röhrchen für verschiedene Aufgaben. Heute sind es etwa 250, mit denen sich rund 500 Gase und Dämpfe messen lassen. Jedes Röhrchen ist ein Analyselabor für sich, und jedes steht für die Tradition der Gasmesstechnik von Dräger.
Unsere Webinar-Empfehlung
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

cav-Produktreport

Für Sie zusammengestellt

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Top-Thema: Instandhaltung 4.0

Lösungen für Chemie, Pharma und Food

Pharma-Lexikon

Online Lexikon für Pharma-Technologie

phpro-Expertenmeinung

Pharma-Experten geben Auskunft

Prozesstechnik-Kalender

Alle Termine auf einen Blick


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de