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Ende der Verunsicherung

DIN EN 60751:2009 legitimiert den industriellen Einsatz vieler Platin-Widerstandsthermometer
Ende der Verunsicherung

Nach mehr als einem Jahrzehnt wurde die Norm für industrielle Platin-Widerstandsthermometer DIN EN 60751 neu aufgelegt (Ausgabe 2009). Grund für diese Neuauflage war primär, dass sich einige Dinge in der Praxis bereits erfolgreich etabliert haben, die in der Norm von 1996 noch keine Erwähnung gefunden hatten. Wichtigste Beispiele sind dabei die Verwendung von Dünnschichtwiderständen und die sogenannte Genauigkeitsklasse 1/3 DIN.

Dipl.-Ing. Dietmar Saecker

Viele Anwender waren in letzter Zeit verunsichert, ob sie neue, aber nicht genorm- te Platin-Widerstandsthermometer überhaupt einsetzen dürfen. Diese Verunsicherung hat jetzt ein Ende: Die neue Norm DIN EN 60751 beschreibt die bisher kritischen Punkte im Detail und definiert gleichzeitig neue realistische Einsatzgrenzen für Sensortypen sowie Genauigkeitsklassen. Leider verliert die neue Version aber bei der Festlegung der Vibrationsfestigkeit von Thermometern die gewohnte Klarheit und öffnet hier großen Interpretationsspielraum. Nachfolgend werden die wichtigsten Änderungen kommentiert und Hilfestellungen für die Auslegung der neuen Norm gegeben.
Bauformen im Detail
Bei einem Widerstandsthermometer ändert sich der elektrische Widerstand eines Sensors mit der Temperatur. Da der Widerstand mit der Temperatur steigt, spricht man von einem PTC (Positive Temperature Coefficient). Im industriellen Einsatz werden üblicherweise Pt100-Messwiderstände verwendet. In der alten Fassung der IEC 60751 (Ausgabe 1996) finden sich keine Hinweise über die Bauform der verwendeten Sensoren. In der länger zurückliegenden Vergangenheit waren dies ausschließlich drahtgewickelte Messwiderstände (engl. W = Wire Wound). Im letzten Jahrzehnt habe sich jedoch Dünnschicht-Messwiderstände (auch Flach- oder Dünnfilm-Messwiderstand, engl. F = Thin Film) durchgesetzt.
Da also Dünnfilm-Messwiderstände in der alten Norm nicht erwähnt wurden, sind manche Anwender irrtümlicherweise davon ausgegangen, dass in genormten Thermometeraufbauten weiterhin nur drahtgewickelte Widerstände eingesetzt wurden. In der Tat unterscheiden sich die Einsatzgrenzen je nach Sensoraufbau durchaus. Die industriell dominierenden Typen werden mit ihren Einsatzgrenzen nachfolgend beschrieben.
Drahtgewickelte Messwiderstände (W)
Bei dieser Bauform wird ein sehr dünner Platindraht von einem runden Schutzkörper umhüllt. Diese Bauform ist seit Jahrzehnten bewährt und weltweit akzeptiert. Es gibt zwei Unterformen, die sich in der Wahl des Isolationsmaterials unterscheiden, der Glas- und der Keramik-Messwiderstand.
Bei einem Glas-Messwiderstand ist der bifilare Draht in einen Glaskörper eingeschmolzen. Da der Draht sich somit nicht bewegen kann, zeichnet sich diese Form durch eine hohe Vibrationsfestigkeit aus. Leider ändert Glas bei hohen Temperaturen einen Teil seiner Eigenschaften und es wird zunehmend elektrisch leitend. Durch den sinkenden Isolationswiderstand verliert der Sensor seine Genauigkeit und sollte daher nur im Temperaturbereich von -196 bis +400 °C eingesetzt werden. Da die Herstellung solcher Sensoren recht aufwendig ist, resultiert ein vergleichsweise hoher Preis.
Bei einem Keramik-Messwiderstand befindet sich der Platindraht als Spirale frei aufgewickelt in einer runden Aussparung des Schutzkörpers. Durch die fehlende Abstützung kann es bei hohen Vibrationen dazu kommen, dass sich die Windungen der Spirale berühren und den Widerstand verändern. Bei extremen Vibrationen können die frei schwingenden Drähte reißen. Daher ist diese Sensorbauform nur bei geringen Vibrationsbelastungen einsetzbar. Stattdessen stellen diese Sensoren den größten Temperaturbereich zur Verfügung, denn sie können von -196 bis +600 °C verwendet werden.
Dünnschicht-Messwiderstände (F)
Bei Dünnschicht-Messwiderständen (Thin Film), auch als Flach-Messwiderstände bezeichnet, wird eine sehr dünne Platinschicht auf eine keramische Trägerplatte aufgebracht. Danach werden Anschlussdrähte kontaktiert. Abschließend wird diese durch eine weitere Schicht aus Glas gegen Außeneinflüsse versiegelt. Dünnschicht-Messwiderstände zeichnen sich durch besonders kleine Baugröße und hohe Vibrationsfestigkeit aus. Bedingt durch die Kombination verschiedener Materialien wird der Temperaturbereich auf -50 bis +500 °C begrenzt.
Da Dünnschicht-Messwiderstände in hohen Stückzahlen auch in Konsumgeräten wie Backöfen eingesetzt werden, sind solche Sensoren verhältnismäßig preiswert.
Die neue Norm schlägt vor, dass die Art des verwendeten Sensors auf dem Typenschild des Thermometers mit (W) oder (F) gekennzeichnet wird.
Einsatzgrenzen
Neu in der Fassung der Norm aus dem Jahr 2009 ist, dass sich die Einsatzgrenzen der Thermometeraufbauten je nach Bauform des Sensors unterscheiden (Tabelle).
Der gesamte Messbereich kann bei Klasse B nur mit drahtgewickelten Keramik-Messwiderständen abgebildet werden. Dünnfilm-Messwiderstände werden realitätsbezogen durch die Norm begrenzt. Glas-Messwiderstände können nur bis +400 °C eingesetzt werden, da die zunehmende elektrische Leitfähigkeit des Glaskörpers einen Messfehler hervorruft.
Als Anpassung an die Realität gilt nun die Genauigkeitsklasse A nur noch von -100 bis +450 °C. Hier hatte sich gezeigt, dass die Thermometer aller Hersteller im Dauereinsatz bei extremen Temperaturen häufig aus der alten Klasse A herausdriften. Die Angabe der Klasse A galt somit quasi nur im Auslieferungszustand, aber nicht mehr im Betrieb. Mit der neuen Norm wird der Anwender nun darüber informiert, dass bei extremen Temperaturen tatsächlich „nur“ die Klasse B eingehalten werden kann.
In der Praxis zwar bewährt, aber bislang nicht genormt, war eine Genauigkeitsangabe, die als 1/3 DIN bezeichnet wurde. Ohne Normung konnte dies von den Anbietern unterschiedlich ausgelegt werden. Einheitlich war nur, dass am Kalibrierpunkt 0 °C eine Toleranz von 0,1 °C (also einem Drittel der Klasse B) einzuhalten ist. Die neue Norm übernimmt diesen Punkt und macht eine echte Genauigkeitsklasse daraus, bei der nun ein Temperaturbereich mit einer Berechnung der zulässigen Grenzabweichung belegt wird. Diese neue Genauigkeitsklasse, die sogar ein wenig besser als 1/3 DIN ist, erhält den Namen Klasse AA.
Ebenfalls aus praktischen Erwägungen heraus wurde der unterste Kalibrierpunkt von -200 °C durch den wesentlich einfacher darstellbaren Punkt von -196 °C ersetzt, der dem Siedepunkt von flüssigem Stickstoff bei Normaldruck entspricht.
Unklarheit bei Vibrationen
Gemäß der DIN EN 60751 kann jedes normkonforme Widerstandsthermometer mit durch Schwingungen hervorgerufenen Beschleunigungen belastet werden, die bis zu 30 m/s² betragen und in einem Frequenzbereich von 10 bis 500 Hz stattfinden.
Leider ist der neue Normentext hier nicht mehr eindeutig. In der Ausgabe von 1996 wird noch klar auf die Angabe „Spitze zu Spitze“ verwiesen. In der Ausgabe von 2009 fehlt dieser Zusatz, seit der Überarbeitung durch die IEC (International Electrotechnical Comission).
Damit eröffnet sich leider ein großer Interpretationsspielraum. Die meisten anderen Normen (z. B. IEC 60068 Umweltprüfungen), die sich mit Schwingungsprüfungen beschäftigen, verwenden ausschließlich den Begriff der Amplitude. Andere Messgeräte, wie z. B. Manometer, werden also auf die Stabilität gegebener Schwingungen mit gegebener Amplitude geprüft.
Gemäß neuem Wortlaut der DIN EN 60751 muss eigentlich davon ausgegangen werden, dass nun auch hier die Amplitude gemeint ist, denn diese ist der in der Schwingungstechnik übliche Begriff. Dies würde aber gemäß der oben dargestellten Kurve eine Verdoppelung der Anforderung an alle Thermometer entsprechen. Gespräche mit einigen Mitgliedern des DKE-Normenausschusses haben jedoch ergeben, dass diese Verschärfung nicht Ziel des Gremiums war. Gemeint war also: „es bleibt alles wie vorher“, geschrieben wurde das aber ohne die Worte: „Spitze zu Spitze“. Offenbar ist dieser Zusatz bei der IEC gestrichen worden. Bis zur nächsten Veröffentlichung der Norm muss also mit dieser Unsicherheit umgegangen werden. Einige Hersteller von industriellen Thermometern sind daher in ihrer Dokumentation dazu übergegangen, die Angaben der Vibrationsfestigkeit durch den Zusatz Amplitude oder Spitze-Spitze zu kennzeichnen.
Bei bekannter und konstanter Frequenz können die Amplituden von Beschleunigung, Geschwindigkeit und Auslenkung ineinander umgerechnet werden. Aus der Frequenz der Schwingung kann die sogenannte Kreisfrequenz v berechnet werden (v = 2pf). Bei gegebener Amplitude der Beschleunigung A gilt für die maximale Geschwindigkeit Vmax = A/v. Daraus kann die Auslenkung von der Nulllinie xmax = Vmax/v ermittelt werden. Der Platzbedarf der Schwingung, also der Abstand zwischen den Auslenkungen wiederum, ist der Spitze-zu-Spitze-Wert der Auslenkung xs2s, der dem Doppelten von xmax entspricht.
Mit der neuen Norm nähern sich Schriftform und tatsächliche Verwendung von Pt100-Widerstandsthermometern wieder an. Der Anwender wird über die neuen technischen Möglichkeiten und deren Grenzen klar informiert. Leider bleibt die Aussage über die Vibrationsfestigkeit etwas unscharf und dies verlangt besondere Aufmerksamkeit beim Vergleich unterschiedlicher Herstellerangaben.
Online-Info www.cav.de/0310432

Temperatur- Widerstandsbeziehung
Für jede Temperatur existiert genau ein Widerstandswert. Dieser eindeutige Zusammenhang kann mit mathematischen Formeln beschrieben werden. Die folgend dargestellten Formeln gelten innerhalb der zu beachtenden Einsatztemperaturgrenzen unabhängig von der Bauform des Messwiderstandes.
Für den Temperaturbereich -200 bis 0 °C gilt:
Rt = R0 [1 + At + Bt2 + C(t – 100 °C)·t3]
Für den Temperaturbereich 0 bis +600 °C gilt:
Rt = R0 [1 + At + Bt2]
Hierin sind:
t = Temperatur in °C
Rt = Widerstand in Ohm bei der gemessenen Temperatur
R0 = Widerstand in Ohm bei t = 0 °C (z. B. 100 Ohm)
Zur Berechnung gelten die folgenden Konstanten: A = 3,9083 · 10-3 (°C-1)
B = -5,7750 · 10-7 (°C-2)
C = -4,1830 · 10-12 (°C-4)
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