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Grüner Wasserstoff als Instrument der Dekarbonisierung

Lohnt sich die Nutzung oder Produktion von grünem Wasserstoff?
Grüner Wasserstoff als Instrument der Dekarbonisierung

Die Nutzung von Wasserstoff ist für viele Unternehmen nichts Neues. Neu ist jedoch, dass es jetzt darum geht, mithilfe von grünem Wasserstoff Prozesse CO2-neutral bzw. CO2-arm zu gestalten, die sich kaum oder gar nicht elektrifizieren lassen. Bleibt die Frage, woher kommt der grüne Wasserstoff für diesen Prozess. Sollen Chemieunternehmen grünen Wasserstoff aus der Pipeline nutzen oder ihn selbst erzeugen?

Die Bundesregierung fördert die Erzeugung von grünem Wasserstoff in Deutschland und seinen Import mit der Nationalen Wasserstoffstrategie. Erst kürzlich hat sie dazu ein Update veröffentlicht, um Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und so mehr Tempo beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft hierzulande zu ermöglichen. Außerdem hat das Bundeskabinett durch die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) den rechtlichen und regulatorischen Rahmen eines Wasserstoff-Kernnetzes geregelt. Seine erste Stufe soll spätestens 2032 in Betrieb gehen. Gleichzeitig laufen bereits Projekte, um herauszufinden, inwieweit das bestehende Gasnetz auch zur Verteilung von Wasserstoff genutzt werden kann. Vor allem die Stahl- und die Chemieindustrie muss sich vor diesem Hintergrund wandeln.

Bedarf wird steigen – nur wann und wie stark?

Die Unterstützung durch die Politik ist für Unternehmen, die darüber nachdenken, entweder grünen Wasserstoff einzusetzen oder diesen zu produzieren, ein wichtiges Signal. Ebenso wichtig ist die Entwicklung des Bedarfs. Um hierzu detaillierte Aussagen treffen zu können, haben die Fraunhofer-Institute ISI, ISE und IEG im Auftrag des Nationalen Wasserstoffrates eine Metastudie durchgeführt. Das Ergebnis: Die zugrunde liegenden Studien kommen zu sehr unterschiedlichen Schlüssen, der prognostizierte Bedarf im Jahr 2030 reicht von Null bis 47 TWh.

Das liegt vor allem an den vielfältigen Einflussfaktoren, wie die Verfolgung der Klimaschutzziele durch die Regierung sowie die Ausgestaltung der Szenarien innerhalb der Studien zur Nutzung von Elektrifizierung, Biomasse, CCS (Carbon Capture and Storage) und CCU (Carbon Capture and Utilization) im transformierten Energiesystem. Was den Industriesektor angeht, besteht jedoch weitgehend Einigkeit, dass der Bedarf groß sein wird. Die Frage ist nur, ab wann.

Grüner Wasserstoff in der chemischen Industrie

Ein großer Teil des Bedarfs wird in der Chemieindustrie entstehen. Denn von der Gesamtmenge an Gas, die in Deutschland zur Energiegewinnung verbraucht wird, entfielen 2021 15,4 % allein auf die chemische Industrie – bei einem Anteil des gesamten verarbeitenden Gewerbes von 31,4 %. Das hat eine Untersuchung der DZ Bank ergeben. Doch Erdgas wird in der Chemieindustrie nicht nur zur Energiegewinnung genutzt (73 % des Verbrauchs), sondern zu einem guten Viertel (27 %) auch als Rohstoff. Diese Mengen sind bei den oben genannten Anteilen gar nicht berücksichtigt. Das
zeigt die Relevanz und das Potenzial zur Dekarbonisierung in der Chemiebranche.

Aktuell wird der Wasserstoff, der im Bereich der chemischen Industrie verarbeitet und verbraucht wird, hauptsächlich über Erdgasdampfreforming gewonnen, ist also grauer Wasserstoff. Vor allem der Anteil des Wasserstoffs, der heute über den Bezug von Erdgas erzeugt wird, sollte vornehmlich direkt durch grünen Wasserstoff aus Elektrolyseverfahren substituiert werden.

Wasserstoff nutzen oder selbst erzeugen

Die Frage ist, lohnt es sich für Unternehmen der chemischen Industrie bereits heute, in die Produktion und/oder Nutzung von Wasserstoff einzusteigen?

Die Erzeugung ist in erster Linie für die Unternehmen interessant, die Überschussstrom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen haben, sodass sie den wertvollen grünen Wasserstoff gewinnen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es aktuell viele Bemühungen gibt, um die Wasserstoff-Produktionsverfahren noch zu optimieren. Deutliche Verbesserungen sind vor allem bei der SOEC(Solid Oxide Electrolyzer Cell)-Elektrolyse – auch als Hochtemperatur-Elektrolyse bekannt – zu erwarten. Dadurch werden die Herstellungskosten in den nächsten drei bis fünf Jahren auf nur noch ein Zehntel des aktuellen Niveaus schrumpfen.

Beim Einsatz von grünem Wasserstoff hat neben der stofflichen die thermische Nutzung das größte Potenzial. Denn damit lassen sich auch Prozesse mit Temperaturen von deutlich über 200 °C dekarbonisieren, bei denen eine Elektrifizierung nicht möglich ist. Zudem machen sich Unternehmen damit unabhängiger von fossilen Energieträgern.

Um zu beurteilen, ob das auch für das eigene Unternehmen technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, bei welchen Prozessen und in welchem Maße, sollte unbedingt die Gesamtsituation berücksichtigt werden. Hierfür hat das BFE Institut für Energie und Umwelt sechs Bereiche definiert:

Dimensionierung: Dabei geht es um die Auswahl und Dimensionierung der Verfahren zur Nutzung bzw. Produktion von Wasserstoff. Bei der Erzeugung sind das u. a. die Elektrolyse, die Pyrolyse und biologische Verfahren, für die Nutzung sind z. B. H2-ready-Kessel und Blockheizkraftwerke (BHKW) oder Brennstoffzellen erforderlich.

Wasserstoffentstehungskosten: Zuerst werden die LCOH (Levelized Cost Of Hydrogen) ermittelt. Durch die Gegenüberstellung z. B. eines Gaskessels und einer Brennstoffzelle(nheizung) lässt sich der Break-even von Wasserstoff im Vergleich mit anderen Technologien ermitteln.

Wasserstoffverträglichkeit: Ist eine neue Infrastruktur für den Wasserstofftransport erforderlich, kann das hohe Kosten verursachen. Deshalb empfiehlt es sich zu prüfen, ob sich die bestehende Infrastruktur auch für Wasserstoff eignet oder ob sie sich mit vertretbarem Aufwand umrüsten lässt.

Vermarktung und Beschaffung: Geht es um die Wasserstofferzeugung, gilt es die Abnehmerstrukturen und Vermarktungsoptionen zu untersuchen. Vor der Umstellung von Prozessen auf Wasserstoff ohne eigene Erzeugung sollte hingegen geprüft werden, welche Beschaffungsmöglichkeiten das Unternehmen hat.

Wirtschaftlichkeit: Anhand einer Sensitivitätsanalyse mit unterschiedlichen Speicher-, Last- und Preisszenarien lässt sich die Wirtschaftlichkeit der Wasserstofferzeugung und/oder -nutzung gut einschätzen. Zusätzlich ist eine Vollkostenbestimmung sinnvoll. Werden die Kosten für die Wasserstoffnutzung bzw. -erzeugung mit denen für fossile Energieträger bzw. darauf basierende Technologien verglichen, ist der sich dynamisch entwickelnde CO2-Preis nicht zu vergessen.

Synergieeffekte: Lassen sich Nebenprodukte der Wasserstoffproduktion selbst nutzen oder vermarkten? Bei der Elektrolyse entsteht z. B. Abwärme und hochreiner Sauerstoff. Gerade der Sauerstoff ist für Verbrennungsprozesse sehr interessant, weil er ermöglicht, die Effizienz zu erhöhen und die Volumenströme bei der Zuführung und den Abgasen deutlich zu reduzieren.

Alle Faktoren unbedingt berücksichtigen

Grüner Wasserstoff ist sicher kein Wundermittel für die Energiewende. Neben anderen Technologien und der konsequenten Reduzierung des Verbrauchs fossiler Energieträger durch unternehmensinterne Effizienzmaßnahmen wird Wasserstoff jedoch eine ihrer tragenden Säulen sein. Vor allem Unternehmen mit hohem Wärmebedarf bzw. Hochtemperaturprozessen werden bei der Dekarbonisierung um Wasserstoff kaum herumkommen. Das kann es für Unternehmen interessant machen, ins Wasserstoffgeschäft einzusteigen. Um hier erfolgreich zu sein, gilt es unbedingt, alle Faktoren zu berücksichtigen.

BFE Institut für Energie und Umwelt, Mühlhausen


Autorin: Jessica Otto

Projektingenieurin Klimaschutz- und Energiemanagement,

BFE Institut für Energie und Umwelt


Gut zu wissen:   Wasserstoff-Basics

In der Natur kommt Wasserstoff nur in gebundener Form vor, v. a. in fossilen Rohstoffen und Wasser (H2O). Er hat einen hohen Energiegehalt von 33,3 kWh/kg (zum Vergleich: bei Erdgas liegt er bei 11 kWh/kg), zudem verbrennt er strahlungsarm zu Wasserdampf. Dabei entstehen ähnlich hohe Temperaturen wie bei der Verbrennung von Erdgas. Dadurch eignet sich Wasserstoff sehr gut für die thermische Nutzung. Durch sein extrem niedriges molekulares Gewicht ist Wasserstoff sehr diffusionsfreudig, was für den Transport und noch mehr für die Speicherung einige Herausforderungen bedeutet. Außerdem sind seine niedrige Zündgrenze und hohe Verbrennungsgeschwindigkeit zu berücksichtigen. Damit es nicht zu dem als Knallgasreaktion bekannten Vorgang kommt, müssen Werkstoffe und Anlagen sorgfältig und kompetent ausgewählt und geplant werden.

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