Startseite » Chemie »

Hightech statt Plastik

Moderne Kunststoffsysteme für Armaturen und Rohre
Hightech statt Plastik

Chemische Prozesse mit immer härteren Betriebsbedingungen erhöhen die Anforderungen an Kunststoffkomponenten im chemischen Anlagen- und Apparatebau. War die Produktion von Kunststoffrohren und -armaturen bisher sehr eng mit der Entwicklung der Kunststoffe verknüpft, wird es in Zukunft zahlreiche Herausforderungen geben, die nur durch das Zusammenwirken von Materialwissenschaft und Fertigungstechnik zu lösen sein werden. Ein wichtiger Impulsgeber wird hierbei die Nanotechnik sein.

Dipl.-Ing. Christina Granacher

Als Vater der Kunststoffe gilt Hermann Staudinger. Bereits 1922 vertrat er die Theorie, dass Polymere aus Makromolekülen aufgebaut sind. Mit diesem Wissen konnte die Massenproduktion von Kunststoffen wie PVC, PE und PP schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anlaufen. Durch die Stahlknappheit während und nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Kunststoff Auftrieb. Zur Innovationsfreude trug bei, dass der günstige Kunststoff gegenüber korrosiven und aggressiven Medien viele Vorteile hatte.
Die ersten Kunststoffrohre kamen Anfang der 50er-Jahre auf den Markt. Was allerdings noch fehlte, war eine haltbare Verbindung. Georg Fischer steckte sich zum Ziel, werkstoffgerechte Fittings zu produzieren. Zwei Kunststoffarten eigneten sich besonders gut: Hart-PVC und PE. Das Ergebnis war ein gespritzter PVC-Klebefitting. Zur Ergänzung des Programms beschäftigte man sich mit der Entwicklung von Kunststoffarmaturen und legte 1953 den Grundstein für das spätere Sortiment.
Auf der Internationalen Kunststoffmesse in Düsseldorf im Oktober 1955 präsentierte Georg Fischer zum ersten Mal die „Plastikfittings“, die in den Verbraucherkreisen des In- und Auslands sehr gut aufgenommen wurden. Dank den spezifischen Eigenschaften ließen sich mit Kunststoffrohren und -fittings neue Anwendungen erschließen, die Stahlrohren und Tempergussfittings verschlossen blieben. So bewährte sich der neue Werkstoff vor allem in der chemischen Industrie durch seine erstklassige Beständigkeit gegenüber chemischen Angriffen von Säuren und anderen aggressiven Stoffen.
Die Serienproduktion von Kunststofffittings startete am 1. Juni 1957 im Werk Singen. Nur zwei Jahre später musste das Werk erweitert werden. In dieser Phase wurde durch die Ablösung der Kolbenspritzgießmaschinen durch Schneckenspritzgießmaschinen in der Verarbeitung von Thermoplasten ein Meilenstein gesetzt. Jetzt war es möglich, Teile aus Hart-PVC mit bedeutend höherer Festigkeit und Zähigkeit herzustellen. Auch die anderen Thermoplaste ließen sich mit den Maschinen besser verarbeiten.
Zeit der Innovationen
In den 60ern führten genaue Kenntnisse über die Mechanismen der Polymerisation dazu, dass eine Vielzahl von Hochleistungskunststoffen entwickelt wurde. Sie hatten teilweise Eigenschaften, wie man sie bis dato nur von Metallen kannte. Auch bei Georg Fischer war diese Zeit geprägt durch stetige technische Innovationen. Die Produkte wurden qualitativ besser, in der Anguss- und Gießtechnik machte man Fortschritte und in der Verbindungstechnologie wurden interessante Wege gefunden.
Auf der Suche nach einer einfacheren Klebeverbindung entwickelte Georg Fischer den Klebstoff Typ T. Er überbrückte ein gewisses Spiel zwischen Rohraußendurchmesser und Fittingsmuffe. Dieser spaltfüllende Klebstoff wird seit 1964 von Henkel nach Georg-Fischer-Rezeptur unter dem Namen Tangit hergestellt und verkauft.
Unter der wesentlichen Federführung von Georg-Fischer-Mitarbeitern konnten im internationalen Normungswesen die Durchmessertoleranzen von PVC-Rohren so weit eingegrenzt werden, dass eine kalibrierlose Klebung möglich wurde. 1963 brachte Georg Fischer ein PVC-Fittingprogramm auf den Markt, das die PVC-Rohrleitungen betriebssicher machte. Die Verbreitung von PVC-Druckrohren wurde so gefördert.
Mitte der 60er-Jahre wurde Kunststoff in immer mehr Anwendungen eingesetzt. Parallel zum Marktvolumen stiegen die Anforderungen an die Produkte und an das Sortiment. Das Armaturenprogramm mit entsprechenden Stellantrieben wurde ausgebaut. Mitte der 70er Jahre erreichte Georg Fischer eine führende Marktstellung im Kunststoffrohrleitungsbau in einer Vielzahl von Teilmärkten, insbesondere in der chemischen Industrie. Zum Erfolg beigetragen hat der Werkstoff PVDF. Hohe Festigkeit und Reinheit, sehr hohe Chemikalienbeständigkeit sowie Temperaturbeständigkeit bis zu 140 °C machten PVDF interessant für aggressive Chemikalien. Der Durchbruch des Materials erfolgte – aufgrund seiner hohen Reinheit – später in der Halbleiter- und Pharmaindustrie. Mit dem wulst- und nutfreien Schweißverfahren (WNF) stellte Georg Fischer in den 80ern eine Verbindungstechnik zur Verfügung, die die Reinheitsanforderungen in diesen Industrien noch besser erfüllen konnte.
In den 90ern kamen die Infrarotschweißtechnologie (IR) mit PP- und PVDF-Stumpfschweiß-Systemen sowie ein PVC- C-Klebesystem auf den Markt. Steigende Anforderungen an Arbeitssicherheit und Umweltschutz führten zur Entwicklung von Doppelrohrsystemen. Georg Fischer lancierte ein Doppelrohrsystem, das heute so weit entwickelt ist, dass keine blinden Verbindungen an der Innenrohrleitung mehr ausgeführt werden müssen.
Das neue Jahrtausend steht im Zeichen der Produktinnovationen, insbesondere im Armaturenbereich. 2003 wurde der Kugelhahn Typ 546, 2005 die doppelexzentrische Absperrklappe Typ 567/568 eingeführt. Alle diese Entwicklungen führten dazu, dass Vollkunststofflösungen heute völlig neue Möglichkeiten in den unterschiedlichsten Applikationen eröffnen. Den erfolgreichen Einsatz des Doppelrohrsystems PVDF/PE mit WNF-Verbindungstechnik in einer Neutralisationsanlage zeigt folgendes Beispiel.
Kunststoffkomplettlösung bei Lobbe
Alternative Energienutzung hat den Markt für Solarzellenprodukte und Fotovoltaik stark wachsen lassen. Das Ätzen der Siliziumflächen wird mit hoch konzentrierten Säuren durchgeführt. Die dabei entstehenden Abwässer der Prozesslösungen werden in einer geschlossenen Neutralisationsanlage bei Lobbe aufbereitet. Lobbe ist eines der führenden privaten Dienstleistungsunternehmen in den Bereichen Sanierung, Industrieservice, Abfallentsorgung, Kanaldienstleistungen sowie Havariemanagement und -technik.
Die Planung der Neutralisationsanlage wurde von Lobbe ausgeführt. Bereits im frühen Stadium wurden die für die Medien notwendigen Rohrleitungsmaterialien, Armaturen und die Messtechnik ausgewählt – und das unter Beachtung der anspruchsvollen Chemie-/Verfahrenstechnik. Zum Einsatz kamen die Werkstoffe PVC-U, PVC-C, PE, PP und PVDF. Entscheidende Faktoren waren chemische Belastung, Druck und Temperatur. Mediengerecht wurden Absperrklappen, Kugelhähne und Membranventile als Hand- und Automatikarmatur eingesetzt. Bedingt durch den vollautomatisch gesteuerten Prozess wählte man Armaturen von Georg Fischer mit integrierten Rückmeldern, pH-Wert- und Durchflussmessungen. Da unterschiedlichste Medien durch gemeinsame Leitungen zu führen waren, wurde der Bau einer doppelwandigen Rohrleitung in den Werkstoffen PVDF/PE notwendig. Als spannungsarme Verbindungstechnologie kam nur das WNF-Schweißen infrage. Es ist die einzige Schweißverbindungstechnik ohne Eigenspannung. Das heißt: Das Rohrleitungssystem weist in der Schweißzone die gleichen Eigenschaften auf wie das PVDF-Rohr. Die Doppelrohrleitung Contain-IT Plus wurde im Werk vormontiert und auf der Baustelle mittels PVDF-Verschraubungen zusammengesetzt. Zusätzlich wurde die bauseitige Verschraubung als Doppelrohrsystem angeschlossen, um Spritzschutz durchgehend zu gewährleisten.
Die Erfolgsgeschichte der Kunststoffe wird sich weiter fortsetzen. Denn im Hinblick auf die theoretisch möglichen mechanischen Kennwerte haben Kunststoffe noch ein erheblich brachliegendes Potenzial. Es gibt zahlreiche Herausforderungen, die nur durch das Zusammenwirken von Materialwissenschaft und Fertigungstechnik zu lösen sein werden. Die Nanotechnik bringt hier wichtige Impulse. Sie öffnet den Zugang zu neuartigen Kunststoffen und steigert die Wertschöpfung altbekannter Kunststoffklassen.
Rohstoff Erdöl substituieren
Die Themen der näheren oder ferneren Zukunft in punkto Grundlagenforschung sind neue Werkstoffe, neue Eigenschaften der Endprodukte sowie die Substitution des Rohstoffes Erdöl. Speziell der letztgenannte Punkt ist von Dringlichkeit, da die natürlichen Ressourcen wie Öl, Gas und Kohle zunehmend schwinden.
Die Anforderungen an künftige Prozesstechnologien sind niedrige Unterhaltskosten, geringe Rohmaterial- und Prozesskosten, wenig Abfall und damit niedrige Kosten für Entsorgung, hohe Umweltverträglichkeit und Prozesssicherheit, Energieeinsparung, Rückgewinnung von Chemikalien, kurze Start-up-Zeiten, Effektivitätssteigerung, interessante Beiprodukte sowie möglichst geschlossene Kreisläufe. Viele dieser Kriterien lassen sich bereits heute mit innovativen Lösungen aus Kunststoff erfüllen.
Noch nie da gewesene Lösungen wird es in Zukunft eher seltener geben. Es wird in erster Linie darum gehen, bestehende Produkte weiterzuentwickeln und mit qualitativ hoch stehenden Systemen in neue Anwendungsgebiete vorzudringen. Groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass künstliche Materialien „intelligent“ sein werden und Systeme aus Vollkunststoff in der Industrie vermehrt zum Einsatz kommen. Die Aufgabe der Hersteller wird es sein, exakt auf die Kunden zugeschnittene Lösungen anzubieten und flexibel auf sich immer schneller verändernde Marktbedürfnisse zu reagieren.
cav 403

Kunststoffkomponenten im Überblick
Fachverband Armaturen im VDMA
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

cav-Produktreport

Für Sie zusammengestellt

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Top-Thema: Instandhaltung 4.0

Lösungen für Chemie, Pharma und Food

Pharma-Lexikon

Online Lexikon für Pharma-Technologie

phpro-Expertenmeinung

Pharma-Experten geben Auskunft

Prozesstechnik-Kalender

Alle Termine auf einen Blick


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de