Herr Günter, was ist das Besondere an Ihrer Softwarelösung?
Günter: Wir setzen bei unserer Softwarelösung zur Optimierung von Schüttgutanlagen auf maschinelles Lernen – in diesem Fall ganz speziell auf Reinforcement Learning. Der große Vorteil von Reinforcement Learning ist, dass man im Vergleich zu anderen Verfahren des maschinellen Lernens mit einer vergleichsweisen schlanken Datenbasis auskommt. Wir sind inzwischen in der Lage mit 5 bis 8 Lernzyklen mit jeweils 3 Rohstoffförderungen eine vernünftige Datenbasis zu generieren.
Wie funktioniert Reinforcement Learning genau?
Günter: Reinforcement Learning ist vergleichbar mit dem Laufen-Lernen eines Kindes. Ein Kind weiß bei der Geburt nicht, wie man läuft. Es probiert immer wieder neue Methoden aus und nimmt dabei permanent Informationen über seinen Körper und seine Umgebung durch unterschiedliche Sinne wahr. Während dieser Lernphase macht ein Kind gute und auch schlechte Erfahrungen und passt sein Verhalten intuitiv anhand der Erfahrungen und der Sinneswahrnehmungen im nächsten Versuch an, bis es letztendlich sicher laufen gelernt hat.
Übertragen auf Ihr System bedeutet das was?
Günter: Unser System detektiert über unterschiedliche Sensoren und Aktoren in der Anlage das Verhalten des Rohstoffs und der Anlage in bestimmten Situationen. Die künstliche Intelligenz besitzt dabei keine Kenntnis bezüglich Parameter oder Eigenschaften des Rohstoffs, der sich gerade in der pneumatischen Förderung befindet. In den Lernphasen werden verschiedene Situationen durch den Algorithmus ausprobiert und sogenannte Agenten nach einem Belohnungs- und Bestrafungsmechanismus trainiert. Der Agent wird automatisch für richtige Aktionen belohnt und für falsche Aktionen bestraft – je nachdem wie genau die letzte Veränderung an eine definierte Zielfunktion herangekommen ist.
Durch die Verbindung dieser Rückmeldung mit den erfassten Sensor- und Aktorwerten lernt der Algorithmus ein bestimmtes Verhalten und lernt, welche Veränderung welche Konsequenzen hat. Auf diese Weise versucht der Agent, falsche Aktionen zu minimieren und die richtigen Aktionen zu maximieren. Mit dem so erlernten Wissen arbeiten die trainierten neuronalen Netze dann in der produktiven Umgebung.
Wie unterscheidet sich Ihre KI-basierte Anlagensteuerung von herkömmlichen Lösungen?
Günter: Unsere Anlage reagiert eigenständig und in Echtzeit auf Veränderungen des Produktionsprofils aufgrund bestimmter Sensorwerte, z. B. Förderdrücke, Geschwindigkeiten oder auf Schwankungen des Verhaltensmusters des Rohstoffs während einer pneumatischen Förderung, ohne dass durch einen Bediener manuell Parameter angepasst werden müssen.
Wichtiges Werkzeug bei der Entwicklung Ihrer Lösung ist der Prometheus-Demonstrator. Herr Günter, was hat es mit dieser Anlage auf sich?
Günter: Wir haben in unserem Versuchszentrum eine komplett autark arbeitende pneumatische Förderanlage mit dem internen Arbeitstitel Prometheus oder zu Deutsch ‚der Vorausdenkende’ aufgebaut. Mit diesem Demonstrator können wir unsere KI-Algorithmen entwickeln, verifizieren und in der Praxis mit unterschiedlichen Rohstoffen in unterschiedlichen Anlagengeometrien testen. Außerdem können wir so die KI-Lösung mit traditionellen Methoden benchmarken.
Zusammen mit Partnern testen und entwickeln wir am Prometheus-Demonstrator außerdem neue Sensoren, Aktoren, industrielle KI-Controller, teilweise ab dem Prototypen-Status, im industriellen Umfeld, um das optimale Set-up für eine Produktionsanlage der Zukunft definieren zu können.
Welche Vorteile wird Ihre KI-basierte Anlagensteuerung dem Anwender bieten?
Günter: Mit der KI-basierten Lösung steuern wir dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel entgegen, da immer mehr Wissen bei den Anlagenbedienern verloren geht.
Außerdem verkürzen wir Inbetriebnahmezeiten, da ein zeitaufwendiges Einfahren der Anlage und Festlegen von optimalen Parametersätzen entfällt. Dies erledigt die Anlage selbstständig im laufenden Betrieb. Für den Betreiber bedeutet dies eine Kostenersparnis und sein Time-to-Market verkürzt sich. Neue Produktionsprofile oder Rezepturen können ohne große Umrüstzeiten durch Neuparametrierung realisiert werden.
Gibt es weitere Vorteile?
Günter: Die Anlage wird durch den KI-basierten Ansatz resilient gegen Veränderungen in der Umgebung oder im Rohstoff. Die Anlage wird je nach Produktionsprofil immer auf einem optimalen Betriebspunkt gehalten und produziert ihre Endprodukte immer in gleichbleibender Qualität.
Wann wird AZO mit seiner KI-basierten Anlagensteuerung auf den Markt gehen?
Günter: Nach aktueller Planung wird Ende 2022 eine marktreife Lösung verfügbar sein. Pilotinstallationen außerhalb unsereres Demonstrators beabsichtigen wir noch dieses Jahr.
Suchwort: AZO
Das Interview führte für Sie: Dr. Bernd Rademacher
Redakteur
„In den Lernphasen werden verschiedene Situationen durch den Algorithmus ausprobiert und Agenten nach einem Belohnungs- und Bestrafungsmechanismus trainiert.“