Startseite » Chemie »

Integration statt Rationalisierung

Trends in der Automatisierungstechnik
Integration statt Rationalisierung

Stellte eine Automatisierung bislang oft lediglich ein Mittel zur Rationalisierung dar, so werden zukünftig intelligente Verknüpfungen standardisierter Hard- und Softwareprodukte und „Advanced Application and Services“ rund um die Feldgeräte und das Prozeßleitsystem die erweiterte Wertschöpfungskette um einen Produktionsprozeß erfassen, optimieren und dem Betreiber dadurch einen echten Mehrwert über die gesamte Lebensdauer seiner Anlage bieten.

Dr. Olle Jarleborg, Volker Kaiser

Der Markt in der Automatisierungsbranche hat sich in der Vergangenheit drastisch gewandelt: Zwar weisen die Unternehmensziele verschiedener Abnehmer-Branchen starke Gemeinsamkeiten auf – Ökonomie, Ökologie und Sicherheit, Einsatz moderner Informationstechnologien uvm. –, dennoch erwartet jeder Anwender auf der Grundlage seines spezifischen Prozesses exakt auf ihn und seine Anwendung zugeschnittene Automatisierungslösungen. Vor diesem Hintergrund wandelt sich der ursprüngliche Herstellermarkt für Prozeßautomatisierung heute zu einem Anwendermarkt. Die fortschreitende Globalisierung der Märkte fördert diese Entwicklung massiv. Der Trend wird sich in den kommenden Jahren verstärkt fortsetzen. Customer Focus lautet das Schlagwort, an dem sich in Zukunft die Weiterentwicklungen der Automatisierungsbranche orientieren werden.
Alle Hersteller auf diesem Gebiet wandeln sich auch aus diesem Grund mehr oder weniger schnell von einer Hardware-Schmiede zu Softwarehäusern und Systemintegratoren. Software und Dienstleistungen passen sich den Kundenwünschen sehr viel besser an als Mikrochips und Prozessoren – ein Großteil der Hardware wird zur Commodity. Grund hierfür sind einerseits die immer kürzeren Lebenszyklen der Mikroelektronik und andrerseits die damit einhergehenden dramatischen Leistungssteigerungen in der PC-Technologie.
Die Hardware-Angebote in der Automatisierungebranche greifen verstärkt auf die Baukästen der PC-Hersteller zurück (3rd Party-Products), Eigenentwicklungen treten immer mehr in den Hintergrund.
Gegenläufige Tendenzen aufdem Softwaremarkt
Im Bereich der Software kennzeichnen zwei gegenläufige Tendenzen die Entwicklung. In zunehmendem Maße verdrängen hier standardisierte Lösungen der Büroanwendungssoftware die Eigenentwicklungen der Automatisierungshersteller. Der fortschreitende Einsatz des Betriebssystems Windows NT zeugt davon, auch bei Visualisierungssoftware geht der Trend verstärkt hin zu Standardprodukten. Die eigentliche Lösung des anwenderspezifischen Automatisierungsproblemes wird dennoch durch Software realisiert werden. Die Leistungen der Automatisierungshersteller bestehen in Zukunft immer mehr daraus, 3rd-Party-Hardware, standardisierte Progammpakete und – in immer geringerem Maße – Hardware-Eigenentwicklungen zu einem leistungsfähigen und intelligenten DCS (distributed control system) zu verknüpfen. Im Mittelpunkt dieser intelligenten Verknüpfungen stehen dabei u. a. das eigentliche Datenmanagement und anwenderspezifische Software-Produkte. Nur so entsteht dem Anwender ein echter spezifischer Mehrwert, und das nicht nur isoliert innerhalb seiner zu automatiserenden Produktionsanlage, sondern auch innerhalb des dazugehörigen Geschäftsprozesses, in vielen Fällen auch betriebs- oder gar standortübergreifend. Dazu tritt für die Automatisierungsbranche zunehmend die Notwendigkeit eines strategischen Wissens um Netzwerk- und Kommunikationstechnologien in den Vordergrund. Auch auf diesem Sektor werden mittelfristig Standards ebenfalls aus der Bürokommunikation Einzug halten. Pysikalisch gesehen könnte die Ethernet-Technologie (inkl. TCP/IP-Protokoll) auch bei der Kommunikation im prozeßnahen Bereich die Oberhand gewinnen. Inter-/Intranet-Anwendungen, wie z. B. browserbasierte Bedien- und Beobachtungsoberflächen, gehören die Zukunft.
Der Feldbus weiter auf dem Vormarsch
Im gleichen Zuge werden klassische I/O-Komponenten einer Prozeßautomatisierung durch Feldbus-Komponenten abgelöst werden. Überhaupt verändert die Feldbus-Technologie die Automatisierung in einem rasanten Tempo. Mit ihrem vermehrten Einsatz verlagert sich zunehmend leittechnische Intelligenz in die Feldgeräte. Zusammen mit echtzeitfähigen Internet-Technologien könnte das in ferner Zukunft sogar dazu führen, daß jedes Feldgerät als eigener Web-Server in einem Automatisierungs-Intranet auftritt.
Doch auch schon heute eröffnen sich durch den zunehmenden Einsatz genormter Feldbus-Protokolle (Profibus, FF, SerCos, Interbus etc.) völlig neue Möglichkeiten für den Anwender. Dazu zählt der unproblematische Einsatz von Produkten unterschiedlicher Hersteller in einem System und ein durchgängiges Engineering der Feldebene und des Leitsystemes.
Von den Anwendern heute noch am meisten unterschätzt werden die Möglichkeiten der Feldbustechnologie, die mit dem Schlagwort des Asset Management verbunden sind. Dahinter verbirgt sich die zunehmende Integration des Leitsystems mit den angeschlossenen Feldgeräten. In Verbindung mit entsprechenden Software-Tools lassen sich damit übergreifende Lösungen, etwa ein intelligentes und flexibles Wartungsmanagement inklusive Inventarisierung, Ferndiagnose, Dokumentation und Ersatzteilbestellung via E-Commerce, realisieren. Damit sind im Leitsystem auch alle Daten vorhanden, die für statistische Auswertungen, Simulationen und Prozeßoptimierungen etc. genutzt werden können.
Der Arbeitsbereicheines Leitsystemserweitert sich
Die Entwicklung in der Zukunft wird noch ein Stück weitergehen: Das Prozeßleitsystem wandelt sich zunehmend zu einem Produktionsmanagementsystem. Es wird die gesamte Wertschöpfungkette vom Rohstoff-Eingang über die eigentliche Produktion bis hin zu Fertigprodukt-Ausgang inklusive Qualitätskontrolle und Verpackung steuern und überwachen. Durch die modellhaft mathematische Abbildung des eigentlichen Produktionsprozesses, zusätzlich der vor- und nachgeschalteten Logistik einschließlich von Bereichen wie der Produktionsplanung, der Arbeitsvorbereitung oder der Instandhaltung, stehen übergeordnet alle Daten zur Optimierung des gesamten Herstellungsprozesses zur Verfügung. Höhere Regelstrategien und „Advanced Applications“ führen darüber hinaus zu einer wirtschaftlicheren Nutzung der Anlage bei trotzdem reproduzierbarer, hoher Qualität der Produkte.
Auf die Branche zugeschnitten
Der Customer Focus verlangt außerdem von den Automatisierungsherstellern eine viel stärkere Branchenorientierung. Neben den technologischen Trends müssen sie insbesondere bei ihren Kunden aus der chemischen Industrie zwei weiteren Entwicklungstendenzen Rechnung tragen. Zum einen arbeiten große, kontinuierlich produzierende Anlagen der Grundstoffindustrie, in denen allgemein bekanntes verfahrenstechnisches Know-how steckt, rohstoffnah oder in Ländern mit niedrigeren Lohnstückkosten deutlich wirtschaftlicher als bei uns. In den Industriestaaten verbleiben Produktionen mit hoher Wertschöpfung oder verbrauchernahe dezentrale und flexible Klein-Anlagen. Zum anderen konzentriert sich auch die Chemie wie schon andere Industriezweige zuvor auf ihre Kernkompetenzen.
Der Trend zu kleineren Anlagen treibt sicher den Standardisierungprozeß für die Leittechnikhersteller noch schneller voran. Verlangt werden keine Prototypen der Automatisierungssysteme, sondern kopierfähige, reproduzierbare Pilotanlagen. An dieser Stelle steht sicherlich die Weiterentwicklung objektorientierter Engineeringwerkzeuge ganz oben im Pflichtenheft der Automatisierungsbranche. Diese müssen zudem standardisierte Datenmodelle und Strukturen beherrschen, damit die Planung automatisierungstechnischer Systeme an verschiedenen Orten und Gewerken (Geräte, Verdrahtung, Leitsystem, Beschaffung) – auch bekannt unter dem Namen Concurrend Engineering – problemlos durchgeführt werden kann.
Durch die Konzentration auf chemische und/oder pharmazeutische Spezialitäten, deren Produktionsverfahren das eigentliche und schützenswerte Know-how des Herstellers enthalten, werden die Engineeringabteilungen der Chemiekunden für die Automatisierung von allgemein bekannten verfahrentechnischen Prozessen zunehmend obsolet. Verstärkt wird diese Entwicklung dadurch, daß derartige Anlagen in steigendem Maß als Turn-key-Projekte errichtet werden. Die so entstehenden Lücken werden die Automatisierunghersteller zu schließen versuchen. Darüber hinaus fördert diese Entwicklung das Entstehen enger, strategischer Partnerschaften mit Komplettanbietern. Der Automatisierungshersteller wird dadurch für die chemische Industrie noch viel stärker zum Lieferanten für komplette Automatisierungslösungen einschließlich Niederspannungs- und Antriebstechnik. Die prozeßübergreifende Leittechnik verlagert die Automatisierung auf eine höhere Ebene mit der zusätzlichen Konsequenz, daß nur ein umfassendes Produktportfolio die Abwicklung anspruchvoller Automatisierungsprojekte garantiert.
Dienstleistungen fit fürden Wettbewerb machen
An dieser Stelle verbindet sich die Entwicklung der Chemiebranche mit der zahlenmäßigen Konzentration der Anbieter automatisierungstechnischer Lösungen. Nur große und weltweit agierende Konzerne mit einem möglichst umfassenden Produktangebot und dem teilweise tiefgreifenden Wissen über die spezifischen Prozesse in zahlreichen Kundenbranchen können dann auch entsprechend qualifizierte Dienstleistungen im Bereich der Planung, des Engineering und der Projektabwicklung anbieten. Doch die Advanced Services enden nicht mit der Inbetriebnahme, sondern erstrecken sich in Zukunft über den gesamten Lebenszyklus einer Produktionsanlage.
Bei den Anwendern stehen heute oft noch kurzfristige wirtschaftliche Überlegungen wie schnelle Amortisierung im Vordergrund. Doch der langfristige Nutzen einer chemischen Produktionsanlage, die durchaus schon einmal auf eine Lebenszeit von zehn bis 20 Jahren ausgelegt sein kann, verlangt nach einem Lebenszyklus-Modell, das laufende Modernisierungen und Optimierungen einschließt. Genau darauf müssen sich die Automatisierungshersteller einstellen und ihren Kunden entsprechende Tools an die Hand geben.
Doch nicht nur Neuanlagen können mit Hilfe moderner Systemtechnik ein wirtschaftliches Optimum erreichen, gerade auch bestehende Anlagen mit komplexen Produktionsprozessen besitzen ein Optimierungspotential, das der Automatisierungshersteller identifizieren und beseitigen hilft. Modernisierungen erhöhen so die operative Leistungsfähigkeit, auch hier steht ein für den Kunden meßbarer Mehrwert im Mittelpunkt der Bemühungen. Auch Consulting-Dienstleistungen mit Erfolgsbeteiligung eröffnen für beide Partner neue Chancen. Und schließlich werden Finanzdienstleistungen, wie sie in den Vereinigten Staaten schon fast zur Tagesordnung gehören (Leasing, Betreibermodelle), die Automatisierungsbranche vor neue Herausforderungen stellen.
Unsere Webinar-Empfehlung
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

cav-Produktreport

Für Sie zusammengestellt

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Top-Thema: Instandhaltung 4.0

Lösungen für Chemie, Pharma und Food

Pharma-Lexikon

Online Lexikon für Pharma-Technologie

phpro-Expertenmeinung

Pharma-Experten geben Auskunft

Prozesstechnik-Kalender

Alle Termine auf einen Blick


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de