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Meistens kommt es dümmer als man denkt

Elektrostatische Aufladungen stellen ein latentes Gefährdungspotenzial für Chemiebetriebe dar
Meistens kommt es dümmer als man denkt

Den Londonern wird sie noch lange in Erinnerung bleiben: Die 3000 Meter hohe, dichte Rauchsäule, die sogar auf Satellitenaufnahmen zu sehen war. Grund für das schwarze Inferno war ein Tanklagerbrand in Hemel Hempstead. War Elektrostatik die Brandursache? Wohl nicht, alles deutet auf einen Unfall bei Schweißarbeiten hin. Trotzdem stellt die Elektrostatik eine latente Gefahr in jedem Chemiebetrieb dar. Doch das Wissen um sie ist gerade beim Bediener vor Ort oftmals nur marginal vorhanden.

Rüdiger Schnick

Die Ursachen elektrostatischer Aufladung an Anlagen und Apparaten sind unterschiedlich: Grundsätzlich unterscheidet man das Verschieben fester und flüssiger Oberflächen gegeneinander, die Trennung zwischen Festkörperoberflächen, Influenz, Flüssigkeitszerstäubung und Erstarrungspotenzial. In der Chemie treten als Ursachen meist das Verschieben fester und flüssiger Oberflächen und die Trennung von Festkörperoberflächen auf.
Das Verschieben fester und flüssiger Oberflächen ist die Ursache für fast alle denkbaren Gefahren beim Umfüllen brennbarer Flüssigkeiten. Es tritt beim Befüllen von Kesselwagen in der Produktion ebenso auf, wie beim Entleeren des Lösemittelbenzinkanisters im Labor. Abhilfe schafft hier die Erdung aller Metallteile beim Befüllen und Entleeren, am besten mit Erdungsüberwachung. Die Trennung zwischen Festkörperoberflächen ist die Hauptursache für Personenaufladung beim Begehen von Teppichböden, von elektrischen Schlägen beim Anfassen von Türgriffen und von elektrischen Schlägen beim Aussteigen aus PKWs bei trockener Witterung. In diesen Fällen kann mit ableitfähigem Schuhwerk, ableitfähigen Böden oder ableitfähigen Sitzen, um beim Auto zu bleiben, geholfen werden. Jeder kennt eigentlich diese Ursachen aus eigener Erfahrung. Was dadurch so alles passiert, wenn auch noch am technischen Gerät gespart wird, zeigen ein paar Beispiele.
Erden von Straßentankwagen
Ein LKW-Fahrer liefert in einer chemischen Fabrik Rohstoffe an. Der Betrieb verfügt über passive Erdungszangen, die der Fahrer auch ordnungsgemäß benutzen möchte. Er legt die Erdungszange akribisch an seinem Fahrzeug an. Leider benutzt er dafür den Plastikschmutzfänger über den beiden Hinterrädern seines Aufliegers.
Mit einer überwachten Erdungseinrichtung wäre das nicht passiert. Sie meldet dem Bediener, wenn die Zange nicht ordnungsgemäß an einem leitfähigen Teil angelegt ist, oder wenn der Kontakt zu dem leitfähigen Teil nicht ausreichend vorhanden ist. Durch eine zusätzliche Verriegelung zur Pumpe kann obendrein erreicht werden, dass die Befüllung oder Entleerung abgebrochen wird, wenn die Zange herunterfällt.
Glück gehabt beim Armaturenaustausch
Ein Mitarbeiter sieht in der Abenddämmerung am Flansch eines Ventils einen blauen Schimmer. Er informiert umgehend die Feuerwehr, um einen Brand im Vorfeld zu verhindern. Was war passiert? Während der Tagesschicht wurde das Ventil ausgetauscht. Beim Einbau vergaß man allerdings, diesen Flansch zu erden. Das fließende Medium sorgte für Aufladung des Metallkörpers, die resultierende Aufladung sprühte gegen die geerdete Rohrleitung ab.
Nicht nur aber gerade auch nach Reparaturen oder dem Austausch von Ventilen, Messgeräten etc. sollte man die ausreichende Erdverbindung des Objektes überprüfen. Auch metallische Anlagenteile in Glaskolonnen bergen Tücken, die nicht unterschätzt werden dürfen. Der Erdtester ETW08 eignet sich dazu, diese Messungen des Ableitwiderstandes gefahrlos durchzuführen. Er verfügt über eine Spitze, mit der elektrostatische Aufladungen verblitzungsfrei von aufgeladenen Objekten abgeleitet werden. Danach schaltet sich das Messwerk auf und zeigt den Widerstand gegen die Referenzerde an. Liegt er unter 106 Ohm, so kann die reparierte Anlage gefahrlos wieder betrieben werden.
Probleme mit Flurförderfahrzeugen
Ein junger Elektroingenieur bekommt in seiner Einarbeitungszeit von seinem Chef die Aufgabe, den Betrieb genau bezüglich elektrostatischer Gefahren zu untersuchen. Ihm fallen bei Gabelstaplern neue Reifen auf, die nicht mehr die geforderte Ableitfähigkeit aufweisen, obwohl sie erst wenige Wochen alt sind. Der Reifenhersteller leitet langwierige Untersuchungen ein. Das Ergebnis: Die Kohle-Molekülketten in den Reifen verschleißen zu schnell, weil das Gewicht schwerer Behälter und die resultierende Walkarbeit zum Zerreißen der Ketten führte. Hier helfen nur regelmäßige Kontrollen und Protokollierung der Flurförderfahrzeuge auch auf Ableitfähigkeit der Reifen. Teraohm-Meter und entsprechende Elektroden sorgen für Sicherheit gegen ein aufladbares Transportgerät.
Gefährlicher Gefallen
In einem Betrieb für Sprengstoffe möchte der Abteilungsleiter seinen Mitarbeitern einen Gefallen tun. Er schlägt ihnen vor, die alten, ausgelatschten und durchgeschwitzten Schuhe im Magazin gegen neues Schuhwerk einzutauschen. Der Betrieb verfügt über einen Personen- und Schuhwerkstester. Das Personal benutzt ihn häufig und gerade die Personen mit dem neuen Schuhwerk werden angehalten, dass Gerät auch intensiv zu nutzen. Verrückterweise stellt sich bei den neuen Schuhen heraus, dass der Personentester Überschreiten des zulässigen Widerstandswertes anzeigt. Man misstraut dem Gerät. Es soll ausgemustert werden. Kurz vor der Verschrottung wird ein Experte gebeten, einmal einen Blick auf den Personentester zu werfen. Er kontrolliert ihn mit Kalibrier-Widerständen und misst die fraglichen Schuhe mit einem Teraohm-Meter. Das Gerät misst richtig, die neuen Schuhe liegen bei Messungen mit dem Teraohm-Meter über der zulässigen Grenze von 108 Ohm. Das alte Schuhwerk war wesentlich geeigneter, als das neue Schuhwerk.
Schuhwerkskontrolle mit dem Personentester, zum Beispiel am Tor zum Ex-Bereich aufgestellt, schafft somit Sicherheit für Mensch und Leben. In manchen Betrieben zeichnet jeder, der einen solchen Bereich betritt, mit gemessenem Widerstandswert, Datum und Unterschrift ab, dass sein Schuhwerk einwandfrei ist.
Diese wenigen Beispiele zeigen aber eines: Es kommt meistens anders als man es sich vorher denkt. Der richtige Umgang mit Apparaten zur Verhinderung elektrostatischer Aufladungen muss daher gelernt sein.
Teraohm-Meter cav 468
Erdungszangen cav 469
Personentester cav 470

Was die BGR 132 zur Elektrostatik sagt
Elektrostatische Erdung (2.14)
Als geerdet im Sinne der Elektrostatik gilt ein Gegenstand, wenn sein Ableitwiderstand zur Erde geringer als 106 Ohm ist. Für Personen gilt ein Ableitwiderstand von <108 Ohm. Für kleinere Gegenstände sollen Entladezeiten unter 10-2 s eingehalten werden.
Erdung rotierender Teile (3.6.3.4)
Allgemein gelten dünne Ölschichten als ausreichend leitend. Bei Unsicherheiten sollte der Ableitwiderstand der Maschinenteile gemessen werden. Er darf 106 Ohm nicht überschreiten. Falls das nicht sichergestellt ist, empfiehlt sich die Erdung durch Schleifbürsten oder der Einsatz ableitfähiger Schmiermittel.
Erdung ortsveränderlicher Geräte und Gefäße (3.2.4.2, 3.2.5.1, 3.6.3.2, 3.6.3.3)
Leitfähige Geräte und Gefäße sind zu erden. Sollten der Boden und leitende Gummirollen das nicht immer sicherstellen, so muss durch flexible Erdverbindungen geerdet werden. Ketten sind als Verbindung nicht zulässig. Ein Erdungsüberwachungsgerät ist sinnvoll, um die Qualität der Erdung überwachen zu können.
Fußböden in Ex-Zonen (3.6.2)
Der Ableitwiderstand des Fußbodens darf 10 8 Ohm auch im Betrieb und durch Alterserscheinungen nicht überschreiten. Verschmutzungen durch Harze, Öle und andere Isolatoren ist zu vermeiden. In Bereichen mit Explosivstoffen muss der Ableitwiderstand unter 106 Ohm liegen.
Schuhwerk (2.17)
Sicherheitsschuhe dürfen zwischen Fuß und Außensohle einen Widerstandswert von 108 Ohm nicht überschreiten. Schutzhandschuhe müssen einen Widerstandswert von unter 107 Ohm aufweisen.
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