Produktsicherheit, der richtige Umgang mit Gefahrstoffen und die sichere Abwicklung von Gefahrguttransporten – Hersteller der chemischen und pharmazeutischen Industrie haben zum Schutz von Mensch und Umwelt umfangreiche Gesetzesvorgaben
zu erfüllen. Um diese Herausforderungen rechtssicher, nachvollziehbar und effizient zu meistern, braucht es leistungsfähige Software. Viele der Unternehmen nutzen dafür das Modul Environment, Health and Safety Management (EH&S) der SAP ERP Business Suite. Die Plattform wird aber nur noch bis ins Jahr 2025 vom Hersteller unterstützt, denn SAP setzt auf die neue S/4HANA-Technologie (Das S steht dabei für simple, die 4 für die vierte Produktgeneration und HANA für die zugrunde liegende Datenbanktechnologie) und investiert bereits jetzt einen Großteil der Entwicklung in diesen Bereich.
Im Release-Modus
Die Anwender müssen sich also mit der bevorstehenden Umstellung auseinandersetzen und einen Weg finden, der am besten zum Unternehmen und zu ihrem Geschäftsmodell passt. Das wirft einige Fragen auf: Welches Vorgehen soll gewählt werden? Wie viel Zeit und Ressourcen sind für ein solches Projekt einzuplanen? Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Umstieg?
Letzteres ist auch deshalb nicht leicht zu entscheiden, weil das neue System derzeit noch nicht fertig vorliegt, sondern fortlaufend entwickelt wird. Das heißt, für viele Funktionalitäten bietet SAP den Um- und Ausbau zu S/4HANA nicht in einem Schritt an, sondern in mehreren, aufeinander folgenden Aktualisierungsstufen. Jedes dieser Releases beinhaltet noch mehrere eigene Feature- und Support-Packages. Ein Zeitplan bietet die Gesamtübersicht über die geplanten Releases. Der Hersteller arbeitet parallel an der Konvertierung der einzelnen Funktionen und informiert fortlaufend (in entsprechenden „Notes“) über neue Entwicklungen und Implementierungen pro Release.
Besonders wichtig sind die jeweiligen „Simplification Lists“, die für jedes Release erstellt werden. Darin ist detailliert beschrieben, welche Anpassungen vorgenommen werden müssen und worauf es ankommt, um die Konvertierung zu S/4HANA richtig umzusetzen. Das gilt sowohl für übergeordnete Funktionen der ERP Suite wie auch für jedes einzelne Modul.
So auch für das EH&S-Modul: Dessen einzelne Funktionalitäten wie Produktsicherheit, Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz, Abfallmanagement, Gefahrstoffmanagement und Gefahrgutabwicklung sollen mit Ausnahme der Funktion Abfallmanagement auch in der neuen Welt des S/4HANA zur Verfügung stehen. Allein dafür gibt es für das Release 1909 (Stand September 2019) 27 „Notes“, also Hinweise, die bei der Umstellung zu berücksichtigen sind.
Wie aus dem Zeitplan hervorgeht, sind noch mehrere Releases umzusetzen, bis alle geplanten Funktionalitäten des Moduls komplett zur Verfügung stehen. Die Konvertierung eines bestehenden EH&S-Moduls mit allen geplanten Funktionalitäten ist somit frühestens im Jahre 2023 durchführbar. Erst dann, nach Abschluss der Entwicklung, kann auch die Leistungsfähigkeit des neuen Moduls unter S/4HANA bewertet werden.
Vorbereitung und Aufwand
Auch wenn es auf den ersten Blick sicherer zu sein scheint, diese Entwicklung abzuwarten, laufen viele Unternehmen hier Gefahr, wertvolle Zeit zu verlieren. Denn nicht nur die Umstellung selbst erfordert Zeit: Schon im Vorfeld sind Evaluierungen, Überlegungen zur zukünftigen Entwicklung des Geschäftsmodells und umfangreiche Prozess- und Systemanalysen nötig, um die Weichen richtig zu stellen.
So muss zunächst entschieden werden, welche Konvertierungsstrategie am besten passt. Es gibt dafür drei grundsätzliche Ansätze. „Brownfield“: die komplette Konvertierung des SAP-ERP-Systems nach S/4HANA, „Greenfield: Neuimplementierung einer existierenden Lösung auf Basis einer Datenübernahme; oder aber die Landscape Transformation, die darin besteht, eine aus mehreren SAP-Systemen bestehende SAP-Systemlandschaft zu konsolidieren.
Für die meisten Pharma- oder Chemieunternehmen ist der Greenfield-Ansatz keine Option, da er den Aufbau eines völlig neuen und isolierten EH&S-Systems bedingt. Ihnen bleibt nur die Möglichkeit, das bestehende System per Brownfield-Verfahren zu konvertieren. Diese Transformation ist allerdings zeitintensiv und technisch äußerst anspruchsvoll. Da noch keine breiten und allgemeinen Erfahrungswerte vorliegen, empfiehlt sich die Hilfe durch Spezialisten, die bereits über diese Expertise verfügen, also Brownfield-Transformationen nach S/4HANA bereits erfolgreich umgesetzt haben.
Auch technisch gibt es mehrere Alternativen, um die Konvertierung zu S/4HANA durchzuführen: Die meisten SAP-Systeme laufen auf der Version ECC 6.x mit entsprechenden ERP-Datenbanken. Man kann zunächst diese Datenbanken auf eine S/4HANA-Datenbank konvertieren, dazu ist es erforderlich, dass mindestens das EHP 7 aufgespielt ist. Anschließend kann das gesamte System konvertiert werden. Alternativ können bestehende ERP-Systeme (mindestens auf ECC 6.0), unabhängig von der EHP-Version, direkt transformiert werden. Dies ist – wie auch das gesamte Vorgehen – individuell zu entscheiden. In der Projektpraxis hat sich dafür ein 5-Punkte-Plan bewährt.
Fast-Track-Vorgehensmodell
Die erste Stufe dient der Evaluierung und beinhaltet zwei Workshops, um zunächst einen Gesamtüberblick zu erhalten und dann anschließend die S/4HANA Process Readiness einzuschätzen. Es folgen die System Conversion Checks und deren Analyse. Im Ergebnis werden Projektplan und Budget erarbeitet und vorgestellt. Im zweiten Schritt, der Umsetzung (Realize-Phase), werden die nötigen Anpassungen der Eigenprogrammierungen (Custom Code) sowie des gesamten ERP-Systems auf die S/4HANA-Anforderungen vorgenommen und in Funktionstests überprüft, bevor als dritter Schritt die Test- und Go-live-Phase folgt. Der vierte Schritt umfasst die eigentliche Konvertierung. Dazu arbeitet man in der Regel mit Sandbox-Systemen und führt Tests zur Nutzerakzeptanz durch, bevor das Produktivsystem schließlich live geschaltet wird. Die fünfte Phase beinhaltet die fortlaufende Optimierung.
Je nach Nutzungsgrad des EH&S-Moduls und Komplexität der Daten kann ein solches Projekt bis zu zwei Jahren dauern. Die Vorarbeit im Unternehmen zur künftigen strategischen Ausrichtung sowie zu Geschäftsmodell und -prozessen ist dabei noch nicht berücksichtigt. Gerade bei Systemen mit umfangreichen individuellen Anpassungen sollte man ausreichend Zeit einplanen, denn diese individualisierten Lösungen lassen sich meist nicht direkt übertragen. Sie müssen zunächst einzeln angepasst und transformiert werden. Zum Teil werden dabei auch die bestehenden Geschäftsprozesse im Unternehmen überdacht und verändert.
Consilio GmbH, Aschheim/Dornach