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Herausforderungen an die Messtechnik der Zukunft

Mehrwert durch Digitalisierung
Herausforderungen an die Messtechnik der Zukunft

Am 1. September 2014 hat Günther Lukassen die Geschäftsführung der Endress+Hauser Vertriebsgesellschaft in Deutschland übernommen. Mit Nachdruck ist er seit dieser Zeit dabei, das Sales Center auf die Zukunft im internationalen Geschäft auszurichten und Entwicklungen bei Prozessmessgeräten voranzutreiben. Im Interview mit cav spricht er über die aktuellen Herausforderungen und Trends in diesem Bereich.

Herr Lukassen, mit welchen Problemstellungen hat ein Unternehmen wie Endress+Hauser derzeit am meisten zu kämpfen?

Lukassen: Hier gibt es derzeit vor allem aus geopolitischer Sicht viele Unsicherheiten. Wladimir Putin hat vor zwei Jahren mit seinem Protektionismus begonnen. Dies setzt sich jetzt in Amerika mit Donald Trump fort. Auch die Lage in der Türkei ist nach den Wahlen unklar, England steht nach dem Brexit vor Neuwahlen. Die Globalisierung ist im Augenblick aus meiner Sicht ins Stocken geraten. Die Welt spielt im Moment verrückt. Der Wahlsieg von Macron in Frankreich ist hier ein kleiner Lichtblick, der Hoffnung für Europa macht. Und Europa ist für Endress+Hauser der Kernmarkt. Glücklicherweise haben wir bereits vor vielen Jahren in den wichtigsten Ländern Produktionen aufgebaut, die eine gewisse Stabilität geben. Auch die zunehmende Geschwindigkeit der Entwicklungen macht uns Sorgen. Seit zwei bis drei Jahren wird das Thema Digitalisierung beispielsweise verstärkt diskutiert. Bei den erforderlichen Innovationsschritten permanent mitzuhalten, ist nicht immer ganz einfach. Vor allen Dingen was die Umsetzung in die Praxistauglichkeit für den Anwender anbelangt. Das sind extreme Herausforderungen für unser Unternehmen.

Der Bereich Öl und Gas ist derzeit durch den gesunkenen Ölpreis immer noch sehr problematisch. Hier sind die Investitionen stark zurückgegangen, was uns, wie auch andere Unternehmen, die in diesem Bereich stark waren, sehr trifft. Mittlerweile sind wir hier wieder auf einem guten Weg. Die Investitionen zur Modernisierung, Instandhaltung und Erweiterung bereits bestehender Anlagen nehmen wieder etwas zu, aber die zukünftige Entwicklung ist hier schwer abzuschätzen. Auch der Wandel hin zu alternativen Energieträgern schmälert unser Business. Das müssen wir über andere Industriebereiche kompensieren.

Bei Ihrem Amtsantritt am 1. September 2014 in die Geschäftsführung des Sales Centers sagten Sie: „Meine größte Herausforderung sehe ich darin, ein sehr erfolgreiches Sales Center auf die Zukunft im internationalen Geschäft auszurichten und dabei den Bedürfnissen der lokalen Märkte und Kunden gerecht zu werden.“ Ist Ihnen dies gelungen?

Lukassen: Wir sind hier auf einem guten Weg, jedoch noch nicht am Ende des Weges angekommen. In Europa haben wir in sämtlichen Ländern sehr hohe Marktanteile im Bereich der Sensorik. Hier können wir nur noch mit dem Markt wachsen. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, welchen zusätzlichen Mehrwert wir den Kunden bieten können. Hier haben wir zwei Themenfelder definiert: Auf der einen Seite der Bereich Services für die installierte Basis und zudem das Lösungsgeschäft. Unsere Kunden fokussieren sich mehr und mehr auf ihr Kerngeschäft und möchten sämtliche Aufgaben außerhalb outsourcen. In diese Lücke werden wir stoßen. Dazu haben wir einige Veränderungen sowohl im Portfolio als auch in der Vorgehensweise im Vertrieb vorgenommen. Die ersten Erfolge zeichnen sich bereits ab, die internen Anpassungen beginnen zu wirken. Wir machen in diesem Jahr im Servicegeschäft ca. 20 Mio. Euro Umsatz, im Lösungsgeschäft ca. 25 Mio. Euro und insgesamt in Deutschland etwa 300 Mio. Euro. D. h., bereits 15 % unseres Gesamtumsatzes erwirtschaften wir in diesen Bereichen mit zunehmender Tendenz. Die Vorgabe für 2020 sind 20 %. Das werden wir auch schaffen. Über das Lösungsgeschäft hoffen wir, auch weiterhin mit unseren Produkten wachsen zu können. Auch die Kundenbindung im Servicebereich, beispielsweise bei der Kalibrierung, hilft dem Produktgeschäft.

Was sind aus Ihrer Sicht die kommenden technischen Anforderungen an Hersteller und Anwender im Bereich der Prozessmess- und Prozessautomatisierungstechnik?

Lukassen: Die Digitalisierung bereits bestehender Anlagen stellt für viele Unternehmen eine echte Herausforderung dar. Unsere Kunden müssen ihre Prozesse weiter optimieren und effizienter gestalten. Hierfür ist beispielsweise die von uns angebotene Heartbeat-Technologie von extremer Bedeutung, da sie den Aufwand deutlich reduziert. Mit dieser Technologie werden Diagnosedaten im Gerät verarbeitet und können zum Data-Mining bzw. zur Datenanalyse an einen Massendatenspeicher übertragen werden.

Ein weiteres wichtiges Thema ist der Bereich Datenmanagement. Die Daten müssen in vielen Fällen komplett neu organisiert und vor allem digitalisiert werden, um einen einfachen Zugriff auf diejenigen zu ermöglichen, die regelmäßig gebraucht werden, um die Anlage steuern zu können. Dies unterstützen wir mit unserem W@M-Programm. Das Web-basierte W@M-Portal ermöglicht eine Überwachung von Prozessdaten in Echtzeit und dadurch eine proaktive Wartung der Geräte. Damit hat der Anwender jederzeit einen schnellen Zugriff auf prozesskritische Informationen wie Ersatzteile, Produktverfügbarkeit und Berichte. Durch den schnellen Zugang zu den richtigen Informationen beschleunigen sich Prozesse wie z. B. Reparatur oder Austausch eines Instruments oder der Down-load von Zertifikaten für Eichungen. Darüber hinaus ermöglichen die vorausgefüllten Daten eine zuverlässige Planung von Wartungsereignissen. Die nächsten Jahre werden meiner Meinung nach umwälzend sein, was das Datenmanagement anbelangt, davon bin ich fest überzeugt.

Was sind aus Herstellersicht die wichtigsten Herausforderungen, passende Lösungen für die Anwender anzubieten?

Lukassen: Zunächst ist es dringend erforderlich, die eigenen Mitarbeiter davon zu überzeugen, den richtigen Weg zu gehen. Zudem sind Partner erforderlich, mit denen Entwicklungen vorangetrieben werden können. Die Bereitschaft von Anwendern, intensiver mit uns zusammenzuarbeiten, wächst rasant. Vor wenigen Tagen haben wir beispielsweise über die Entwicklung einer Art Google Glass diskutiert, um unseren Service weiter zu verbessern. Damit lassen sich Informationen direkt vor Ort beim Kunden zu unseren Experten übertragen, die dabei helfen, Instandhaltungsmaßnahmen schneller durchführen zu können. Diese Vorgehensweise, die viel Zeit spart, wird in den nächsten ein bis zwei Jahren Realität werden. Das ist neben dem Datenmanagement ein Riesenschritt in die richtige Richtung.

Auf der Hannover Messe haben Sie zwei bedeutende Produktentwicklungen im Bereich der Durchfluss- und der berührungslosen Füllstandmesstechnik mit Radar in den Mittelpunkt der Präsentation gerückt. Worum handelt es sich hierbei?

Lukassen: Die in der Namur-Roadmap spezifizierten Eigenschaften von smarten Sensoren zeigen auf, welche Kriterien ein Messgerät erfüllen muss, um „Industrie-4.0-ready“ zu sein. Die neue Messgerätelinie Proline 300/500, die wir in Hannover vorgestellt haben, erfüllt diese Kriterien. Sie ermöglicht neben der digitalen Anbindung über herkömmliche Feldbusse wie Profibus DP/PA, Foundation Fieldbus, Modbus oder Hart/WirelessHart auch Ethernet-basierte Kommunikation via Profinet, EtherNet/IP und WLAN. Die Multiparametersensoren wie Promass und Promag erzeugen neben den Durchflussmesswerten eine ganze Reihe zusätzlicher Prozessparameter und weitreichende Geräte- und Prozessdiagnosedaten.

Die Füllstandmessgeräte der Gerätegeneration Micropilot FMR60, FMR62 und FMR67 mit 80-GHz-Technologie runden unser 113-GHz-Radar-Portfolio ab. Der geringe Abstrahlwinkel, die hohe Genauigkeit und die Verwendung kleiner Prozessanschlüsse sind nur einige Vorteile dieser freiabstrahlenden Radargeräte. Entwickelt nach IEC 61508 SIL 2/3 erfüllen sie höchste Sicherheitsanforderungen.

Auch das Thema Digitalisierung hat in Hannover eine bedeutende Rolle gespielt. Wo liegen hier Ihre Schwerpunkte?

Lukassen: Auf der Hannover Messe präsentierten wir zum ersten Mal unsere eigene Life-Cycle-Information-Cloud. Diese bildet die Infrastruktur für eine Vielzahl zukünftig möglicher IIoT-Anwendungen. Die gezeigten cloud-basierten Lösungen kamen aus den Bereichen vorausschauende Wartung, Asset Information Management und Gerätekonfiguration und -management. Damit können die Anwender Daten sowohl zu den Feldinstrumenten selbst, als auch Informationen aus dem Produktionsprozess parallel zur konventionellen Anlagentopologie nutzen.

Welche weiteren Entwicklungen im Bereich der Prozessmesstechnik sind von Endress+Hauser in naher Zukunft zu erwarten?

Lukassen: Ab November 2017 werden wir den selbstkalibrierenden Temperaturfühler Trustsens erstmals in einer 6-mm-Version anbieten. Bisher gibt es diesen nur in einer 3-mm-Variante. Davon erwarten wir uns eine sehr große Nachfrage. Messgeräte in der Pharma- und Lebensmittelindustrie müssen oft mehrmals jährlich zur Kalibrierung aus- und wieder eingebaut werden. Dies ist zeitintensiv und kostspielig. Mit Trustsens gehört dies der Vergangenheit an. Es ist der weltweit erste Sensor der sich selbst und rückführbar kalibrieren kann – zyklisch und im laufenden Betrieb. Das reduziert das Risiko von unerkannten Messfehlern auf ein Minimum.

Endress+Hauser hat in den letzten Jahren konsequent das Analysengeschäft ausgebaut. Was sind Ihre Vorhaben in diesem Bereich?

Lukassen: Sämtliche Akquisitionen, die wir hier getätigt haben, unterstützen das strategische Ziel, moderne Analysetechnik für verfahrenstechnische Anwendungen nutzbar zu machen und Kunden künftig vom Labor bis in den Prozess zu begleiten. Hier sehen wir noch einen großen Wachstumsbereich. Durch die Übernahme von Spectrasensors im Jahr 2012 haben wir uns den Markt für die Gasanalyse erschlossen. Das Unternehmen fertigt und vertreibt Gasanalysatoren, die sowohl in Erdgaspipelines als auch in petrochemischen Raffinerien und chemischen Betrieben zum Einsatz kommen. Prozess- und Laboranalysatoren, basierend auf der Raman-Technologie, können wir durch die Übernahme von Kaiser Optical Systems anbieten. Diese Geräte werden in verfahrenstechnischen Anlagen ebenso eingesetzt wie im Laborumfeld. Mit ihnen lassen sich Feststoffe, Flüssigkeiten und Gase auf Zusammensetzung und Materialeigenschaften untersuchen. Das Gebiet der Laboranalyse hat sich Endress+Hauser durch den Kauf von Analytik Jena im Jahr 2013 erschlossen. Wir beobachten derzeit, dass die Labor- und Prozessanalytik immer stärker zusammenwachsen. Aus diesem Grund sind wir im Moment dabei, eine gemeinsame Plattform für diese Bereiche zu entwickeln. Ich gehe davon aus, dass wir auf der Achema 2018 über erste Ergebnisse berichten können.

Zum 1. Januar 2017 hat Endress+Hauser die Sensaction AG übernommen. Welche Ziele verfolgen Sie mit dieser Akquisition?

Lukassen: Bei Sensaction handelt es sich um einen Hersteller von Systemen zur Messung von Konzentrationen in Flüssigkeiten. Die Systeme des Unternehmens messen die Konzentration von Flüssigkeiten mithilfe akustischer Oberflächenwellen. Durch das Auswerten von Laufzeit und Wellenamplitude lassen sich akustische Parameter der Flüssigkeit wie Schallgeschwindigkeit, Impedanz und Dichte sowie – daraus abgeleitet – die Konzentration präzise und schnell bestimmen. Sensaction entwickelt und fertigt jedoch nicht nur Systeme zur Konzentrationsmessung, sondern bietet darüber hinaus auch ergänzende Dienstleistungen an – beispielsweise Softwareprodukte, die auf Grundlage einer Labormessung dann in der Anwendung beim Kunden für besondere Genauigkeit und Bedienerfreundlichkeit sorgen.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: cav0617endress


DAS INTERVIEW FÜHRTE FÜR SIE GÜNTER ECKHARDT

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