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Schneller als die Polizei erlaubt

Elektrische Failsafe-Antriebe mit mechanischen Schließfedern
Schneller als die Polizei erlaubt

Elektrische Failsafe-Antriebe sind aus der modernen Großproduktion nicht mehr wegzudenken. Über die Vor- und Nachteile verschiedener Systeme, über aktuelle Entwicklungen und die Probleme beim Einsatz sprachen wir mit Bernd Roloff, Geschäftsführer bei TA Roloff.

cav: Herr Roloff, ihr Unternehmen ist seit vielen Jahren im Bereich Failsafe-Antriebe unterwegs. Wie ist die Entwicklung ihrer Systeme verlaufen?

Roloff: Vor etwa 15 Jahren hatten wir mit unseren ersten elektrischen Failsafe-Antrieben für Industriearmaturen (insbes. Klappen und Kugelhähne) Serienreife erreicht. Es gab schon immer ein schmales Marktsegment in dem verlangt wurde, dass elektrische Antriebe bei Stromausfall eine Sicherheitsstellung (meistens „Zu“) anfahren. Bis wir mit unserem FM-System (Feder-Magnet-System) auf den Markt kamen, verwendeten wir Akkus, die bei Stromausfall eine Hilfsenergie zur Verfügung stellen. Diese Lösung ist bis heute die einfachste, sofern der Antrieb mit einem Gleichstrommotor betrieben wird.
cav: Diese Lösung scheint einen Haken zu haben?
Roloff: Das Problem ist, dass manche Anwender dieser Lösung nicht vertrauen oder sie erwarten, dass bei Stromausfall oder bei einem sonstigen Notfall, die Armatur so schnell wie technisch möglich (schneller als in der motorischen Stellzeit) die Sicherheitsstellung anfährt.
cav: Aber es gibt eine Lösung, oder?
Roloff: Natürlich. Bei unserem FM-System stellen mechanische Schließfedern die Hilfsenergie zur Verfügung. Ausgelöst werden sie durch eine elektromagnetische Kupplung. So einfach die Lösung auch erscheint, elektromagnetische Kupplungen als Zukaufteile erwiesen sich seinerzeit als ungeeignet, um genügend hohe Drehmomente zu übertragen. Wir mussten selbst eine Kupplung mit einem kleinen Kniff erfinden. Dies stellte sich im nachhinein als Glück heraus, denn wir konnten deswegen für unser FM-System ein EU-Patent mit dem bürokratisch klingenden Titel „Vorrichtung zur Betätigung von Armaturen“ anmelden. Leider herrscht bis heute Unsicherheit, was die Begrifflichkeiten angeht. „Einfach wirkender Elektroantrieb“ (single-acting) oder „federrückstellender Elektroantrieb“ (spring-return) sind ebenfalls Bezeichnungen für Elektroantriebe mit Failsafe-Funktion.
cav: Was sagen denn die einschlägigen Normen dazu?
Roloff: Hier ist in den letzten Jahren Besserung eingetreten. Seit 2009 findet man im Glossar der EN 15714-2, der Industrienorm für elektrische Antriebe, den Begriff „Failsafe actuator“ wieder. Er ist definiert als „Actuator, which is able to operate in a defined pre-determined way on loss of power“.
cav: Und was bedeutet das?
Roloff: Antriebe, die an eine zentrale Notstromversorgung angeschlossen sind, sind nach dieser Definition nicht „failsafe“. Die Hilfsenergie muss am Antrieb selbst vorhanden sein. Das Konzept der zentralen Notstromversorgung hat in letzter Zeit auch erhebliche Imageschäden erlitten. Man denke an die Vorgänge im Siedewasserreaktor von Fukushima oder an den letzten „Superbowl“, als Zuschauer und Spieler von einer beängstigenden Dunkelheit überrascht wurden, weil nach dem „Blackout“ nur jeder fünfte Scheinwerfer mit Notstrom versorgt wurde. Der Definition ist aber auch anzumerken, dass in der Redaktion nur die Antriebshersteller zusammensaßen. Die Norm spricht vom „Actuator“ und nicht von der Armatur. Der Anwender will jedoch, dass seine Armatur, noch genauer der Stellkörper (z. B. Klappenteller) seiner Armatur, sich tatsächlich in die Sicherheitsstellung bewegt.
cav: Dann erfüllen doch die Antriebe mit einem Akkupaket unter der Haube die Anforderungen der Norm.
Roloff: Das ist richtig, allerdings sind sie im Markt nicht unbedingt beliebt, weil die Anwender Folgekosten bei der Wartung der Akkus fürchten und dass beispielsweise eine ganze Boeing-Dreamliner-Flotte Anfang des Jahres 2013 inaktiv gestellt wurde, weil Lithium-Ionen-Akkus anfangen zu brennen, ist ebenfalls unschön. Die sicherste technische Lösung für die Failsafe-Anwendung ist hiernach tatsächlich eine mechanische Lösung. In diesem vom Sicherheitsgedanken geprägten Kontext bevorzugen wir es außerdem, wenn wir selbst inhouse die mechanische Adaption unseres FM-Systems vornehmen können. Oft erhalten wir die Anforderung, auch bei größeren Nennweiten eine Schließzeit von unter einer Sekunde zu erzielen. Hier muss genauestens der Mast (maximum allowable stem torque) beachtet werden, um eine Torsion der Armaturenwelle zu vermeiden.
cav: Wie haben Sie das für die großen Nennweiten umgesetzt?
Roloff: Wir haben das FM-System über die Jahre bis auf 12 000 Nm hochgezüchtet, um den beengten Markt der Failsafe-Antriebe bedienen zu können. Wirtschaftlich war dies nur möglich, indem wir Federpakete in Modulbauweise entwickelten, die, übereinander montiert, ihre Stellkräfte addieren. Bei dieser Entwicklung ergaben sich aber auch erfreuliche Nebeneffekte. Beispielsweise kann man sich die Rückstellkraft der Federpakete zunutze machen. In der Position „offen“ sind die Rückstellkräfte der Federpakete am höchsten, in der Position „zu“ am geringsten. Wenn der Antrieb selbst eine Sensorik hinsichtlich der Rückstellkräfte hat, kann auch für den Normalbetrieb der gesamte Signalstromkreis entfallen. Dies kann eine erhebliche Kosteneinsparung und Vereinfachung bei der Implementierung des Antriebes bedeuten.
cav: Und wenn der Anwender nicht auf den Signalstromkreis verzichten möchte?
Roloff: Möchte man auf den Signalstromkreis nicht verzichten, so lässt sich die Signalgebung nach unseren Feststellungen dahingehend ausbauen, dass Drehmomentveränderungen der Armatur genau detektiert werden können. Die Rückstellkräfte der Federpakte erzeugen eine präzise Kennlinie des Drehmomentverlaufs. Bedeutsame Abweichungen von dieser Kennlinie können z. B. durch die Messung der Stromaufnahme erkannt und weiterverarbeitet werden. Sie können eine Aussagekraft hinsichtlich des Verschleißes der Armatur haben und in puncto Sicherheit eine Indikation für ein zeitnah mögliches Versagen der Armatur geben. Andererseits ist es in wirtschaftlicher Hinsicht vorteilhaft, Reparatur- bzw. Austauschzyklen von Armaturen auzudehnen, wenn sich über die Rückmeldung des Antriebes eine aussagekräftige Datenbasis ergibt.
cav: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was macht die Entwicklung von Failsafe-Antrieben so spannend?
Roloff: Die Auseinandersetzung mit Failsafe-Anwendungen war für mich immer eine besondere technische Herausforderung. Ex-Zonen, besondere Stellzeiten, Regelarmaturen, Drehkegelschieber, Lineararmaturen usw. erforderten bei der Failsafe-Automatisierung (zumeist „stromlos schließend“) immer wieder erneutes Nachdenken oder eine Neubewertung bereits sicher geglaubter Ergebnisse. Das ist eine spannende Sache.
prozesstechnik-online.de/cav0413463
… die Auseinandersetzung mit Failsafe-Anwendungen war für mich immer eine besondere technische Herausforderung.
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