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Tiefe Temperaturen sicher im Griff

Kryogene Chemie mit dem Cryocontrol-Verfahren
Tiefe Temperaturen sicher im Griff

Die Bayer AG betreibt am Standort Leverkusen eines der weltgrößten cGMP-Technika seiner Art. Im Zentralen Technikum Organisch (ZeTO) werden Verfahrensentwicklungen und Pilotversuche durchgeführt und erste Produktmengen für interne und externe Auftraggeber hergestellt. Für eine Lohnsynthese eines externen Auftraggebers reichte die ursprünglich vorhandene Infrastruktur nicht aus, um die erforderlichen tiefen Temperaturen zu erzeugen. Daher stellte Messer eine Cryocontrol-Pilotanlage zur Verfügung.

Dipl.-Ing. Thomas Kutz, Dipl.-Ing. Stefan Terkatz, Dipl.-Ing. Karl Wiench

Bayer hat über viele Jahre umfangreiche Erfahrungen auf dem Gebiet der chemischen Verfahrenstechnik gesammelt. Neben Standardverfahren aus der organischen Chemie wurden auch Schlüsseltechniken wie z. B. Tieftemperaturverfahren eingeführt. Die Kontakte zwischen Bayer und Messer auf dem Gebiet der Reaktionsführung im kryogenen Temperaturbereich reichen mehr als 10 Jahre zurück. Erste Versuche hierzu erfolgten im Pharmatechnikum in Wuppertal. Inzwischen ist die Verfahrenstechnik gut erprobt und wird nicht nur im Bayer-Konzern vielfältig eingesetzt. Dennoch ist die Einführung des Cryocontrol-Verfahrens im ZeTO in Leverkusen aufgrund des Stellenwerts dieses Technikums ein besonderes Projekt. Durch die neue Anlage kann Bayer im ZeTO Tieftemperatursynthesen sowohl für eigene Produkte als auch im Lohnauftrag für Kunden durchführen. Die Anlage ist an zwei Rührwerksbehälter mit 400 und 2500 l Fassungsvermögen angeschlossen. Beide Produktionsbereiche erfüllen die cGMP-Normen.
Die Aufgabe
Bei der Synthese metallorganischer Verbindungen geht es insbesondere um die sichere und kontrollierte Führung der chemischen Reaktion. Durch das Einhalten kryogener Temperaturen bis hinab zu -120 °C während der Reaktion kann diese so kontrolliert werden, dass die gewünschten Produkte mit einem möglichst kleinen Anteil an unerwünschten Nebenprodukten entstehen. Das Cryocontrol-Verfahren von Messer erfüllt die Anforderungen der Chemiker und Ingenieure an ein entsprechendes Kühlsystem für den Reaktionsbehälter:
  • stufenloses Kühlen des Reaktionsgemisches bis zu -120 °C
  • örtlich und zeitlich homogene Temperaturverteilung im Rührkessel
  • stufenloses Heizen des Reaktorinhalts bis zu +60 °C
  • schnelles Umtemperieren auch großer Reaktoren, z. B. von Raumtemperatur auf -100 °C in ca. 1 bis 2 Stunden
  • umweltschonende Kältemittel
Das Verfahren
Das Cryocontrol-Verfahren nutzt als primäre Kältequelle flüssigen Stickstoff, der sich aufgrund seines niedrigen Siedepunkts von -196 °C und seines inerten Charakters als ideales Kältemittel für die kryogene Reaktorkühlung anbietet. Das Verfahren arbeitet mit einem sekundären Wärmeträgerkreislauf, der zwischen die Käl- tequelle Stickstoff-flüssig und den Reaktor geschaltet wird. Der Wärmeträgerkreislauf ermöglicht bei geeigneter Wahl des Wärmeträgermediums sowohl das Kühlen auf tiefe Temperaturen als auch das Beheizen des Reaktors.
Im Kühlmodus wird der Wärmeträgerkreislauf in einem Kreislaufkühler durch flüssigen Stickstoff gekühlt. Der Stickstoff verdampft beim Wärmeübergang und ist nach dem Anwärmen für weitere Applikationen wie z. B. zum Inertisieren verwendbar. Im Heizmodus wird die Stickstoffzufuhr zum Kreislaufkühler unterbrochen. Das Anwärmen des Wärmeträgers erfolgt über einen elektrischen Strömungserhitzer.
Durch geringe Temperaturdifferenzen zwischen Kühlmedium und Produkt ist der Reaktorinhalt sehr schonend und gleichmäßig zu temperieren. So sind auch Produkte möglich, die bei einer zu starken Unterkühlung nicht hergestellt werden könnten (z. B. wegen Belagbildung).
Wärmeträger
Die physikalischen Eigenschaften des Wärmeträgers bestimmen entscheidend die Einsatzbreite des Cryocontrol-Verfahrens. Das Medium sollte folgenden Kriterien entsprechen:
  • gute Wärmeübertragungseigenschaften
  • geringe Viskosität, speziell im Tieftemperaturbereich
  • niedriger Schmelzpunkt
  • hoher Siedepunkt
  • gute Umweltverträglichkeit
Diesen konkreten Anforderungen entsprechend gibt es unterschiedliche, in der Praxis etablierte Medien.
Vorteile der Stickstoffkälte
Es ist relativ aufwändig, konventionelle Kältemaschinen für den angestrebten Tieftemperaturbereich zu bauen. Bei den hier ablaufenden Reaktionen handelt es sich durchweg um so genannte Batch-Reaktionen. Das heißt, der Reaktor wird ständig umtemperiert, und das System wechselt regelmäßig zwischen Kühl- und Heizphasen. Dieses stetige An- und Abfahren kann bei den Kompressoren von Kältemaschinen zu einem erhöhten Verschleiß mit entsprechendem Wartungsaufwand führen. Außerdem rechnet sich die Investition in eine aufwändige Kältemaschine in vielen Fällen nicht, da die Tieftemperaturreaktionen oft nur für zeitlich begrenzte Produktions-Kampagnen durchgeführt werden.
Die Anwender erwarten ferner ein schnelles Umtemperieren. Auch hier bietet flüssiger Stickstoff gegenüber Kältemaschinen gravierende Vorteile. Mit nur geringem Aufwand kann die Spitzenkühlleistung gesteigert werden. Die Auslegung einer mechanischen Kältemaschine auf die Spitzenleistung führt dagegen in der Regel zu einem starken Anstieg der Investitions- kosten.
Beim Cryocontrol-Verfahren kommen nur wenige bewegte Teile zum Einsatz. Der Verschleiß und damit der Wartungsaufwand fallen also denkbar gering aus. Der einfache Verfahrensaufbau sichert eine äußerst hohe Verfügbarkeit der Anlage mit geringen Ausfallzeiten, die sich z. B. durch eine redundante Ausführung der Pumpen noch steigern lässt. Dies ist ein wesentlicher Vorteil; denn bei einem Ausfall der Kühlung könnte die exotherme Reaktion unkontrolliert ablaufen und zu erheblichen Schäden an der Produktionsanlage führen. Darüber hinaus hat gerade bei der Synthese von pharmazeutischen Vor- bzw. Zwischenprodukten der Inhalt des Reaktors manchmal einen sehr hohen Wert.
Projektablauf ZeTO
Am Anfang stand bei der Bayer AG ein Kundenauftrag zur Durchführung einer Lohnsynthese. Die im ZeTO vorhandene Infrastruktur war damals nicht ausreichend, um die geforderten kryogenen Temperaturen im Rührwerksbehälter zu erreichen. Der Terminplan ließ zu diesem Zeitpunkt jedoch den Neubau einer kryogenen Kälteversorgung nicht zu. Messer konnte hier kurzfristig einspringen und eine Pilotanlage einschließlich Tankanlage zur Bevorratung von flüssigem Stickstoff für die Dauer der Kampagne zur Verfügung stellen. Dabei wurde durch einen intensiven Austausch zwischen den Fachleuten von Bayer und Messer eine optimale Lösung erarbeitet.
Der Einsatz einer Pilotanlage kann einen kurzfristigen, akuten Bedarf zur Tieftemperaturkühlung decken. Gleichzeitig kann der Anwender erste Erfahrungen mit dem Cryocontrol-Verfahren im eigenen Produktionsumfeld sammeln. Er lernt so die Vorzüge der Kühlung mit flüssigem Stickstoff ebenso kennen wie die einfache Bedienbarkeit des Systems. Nach zwei Kampagnen wurde die Anschaffung eines permanenten kryogenen Kühlsystems durch die Bayer AG beschlossen. Aufgrund der guten Erfahrungen und der konstruktiven Zusammenarbeit fiel auch hier die Entscheidung zugunsten des Cryocontrol-Verfahrens.
Die Anlagen werden den jeweiligen Anforderungen und Besonderheiten entsprechend maßgeschneidert. Die Betrachtung endet dabei nicht an den Liefergrenzen – Messer berücksichtigt vielmehr das gesamte Umfeld, um eine für den Anwender optimale Gesamtlösung zu erreichen.
Die Anlage für das ZeTO ist eine so genannte Package Unit. Das heißt, alle Apparate sind in einem Rahmengestell fertig montiert und wärmeisoliert. Diese Fertigungsmethode bietet sich für den Bau von Anlagen in dieser Größenordnung an, da der Montage- und Zeitaufwand vor Ort so minimiert werden kann.
Die Integration der Anlage in die vorhandene Infrastruktur konnte in diesem Fall auf dem Dach des Gebäudes Platz sparend ausgeführt werden. Der Behälter für die Stickstoffversorgung wurde vor dem Gebäude aufgestellt.
Fazit
Die Anlage im ZeTO der Bayer AG ist eine weitere Referenz für das Cryocontrol-Verfahren. Auch in diesem Fall ging es nicht um eine Lösung von der Stange. Der Service von Messer umfasst dabei die intensive Beratung, die Planung und die Durchführung von Pilotversuchen sowie die Projektierung einer kryogenen Neuanlage bis zur Inbetriebnahme. Für Bayer waren dieser Service sowie die Verfahrensvorteile Flexibilität und Zuverlässigkeit die Hauptargumente für die Anschaffung der Neuanlage.
Flüssiger Stickstoff bietet sich immer dann als gute Lösung an, wenn im kryogenen Temperaturbereich bei niedrigen Durchschnittskühlleistungen (unter Umständen aber hohen Spitzenkühlleistungen) batchweise und/oder kampagnenweise eine Kühlung realisiert werden soll.
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