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Vielfalt aus dem Ofen

Dank neuer Treibmitteltechnologie lassen sich Siliconschäume nunmehr universell einsetzen
Vielfalt aus dem Ofen

Festsiliconschäume ermöglichen die Fertigung langlebiger Dämpfer, Schläuche, Dichtungen und Isolierhüllen. Selbst im Brandfall entstehen anders als bei organischen Polymerschäumen keine giftigen Dämpfe mehr. Auch die Lebensmittel-, Pharma- und Medizintechnikbranchen werden von den Siliconschäumen profitieren.

Jürgen Weidinger

160 °C zeigt die Kontrollanzeige des Ofens in einem Labor von Wacker in Burghausen. In diesem liegt seit knapp fünf Minuten ein Stück einer unscheinbaren Siliconmasse. In der kurzen Backzeit haben sich die Ausmaße des Siliconstreifens etwa verdoppelt. Er ist zu einem leichten, hochflexiblen Siliconschaum mit glatter Oberfläche angewachsen. Das Material, aus dem das flexible Schaumstück besteht, enthält das Treibmittelsystem Elastosil AUX BTB. Es lässt sich bis auf das 15fache seiner Größe dehnen und zieht sich danach wieder auf seine ursprünglichen Maße zusammen. Von -50 bis +300 °C bleibt es elastisch, dämpft Stöße effektiv ab und ist widerstandsfähig gegen Alterungsprozesse, UV-Strahlung und zahlreiche Säuren und Basen. Darüber hinaus wiegt es nur etwa die Hälfte im Vergleich zu massiven Siliconmaterialien. Ein idealer Werkstoff also für den Anlagen- und Apparatebau mit erhöhten Anforderungen.
Diese Technologie besitzt noch weitere Vorzüge. Im Vergleich zu Kunststoffschäumen aus Polyurethan oder PVC, die nach der Vulkanisation oft unangenehm riechen, ist der Siliconschaum absolut geruchsfrei. Er besitzt auch keinen Eigengeschmack, was insbesondere für die Anwendung in der Lebensmittelindustrie wichtig ist. Und er lässt sich ausgesprochen einfach herstellen. Kein Werkstoff konnte bisher all diese Eigenschaften miteinander vereinen.
Damit steht der Industrie ein universeller Siliconschaum zur Verfügung, der sich für unterschiedlichste Anwendungen eignet: langlebige Dämpfer, hitzefeste Wärmeisolierungen von Heizrohren, zuverlässige, leichte Dichtungen im Fahrzeug- und Flugzeugbau. Auch in Anlagen der Chemie- und Pharmaindustrie sowie in der Lebensmittel- und Medizintechnik lässt sich der Siliconschaum problemlos einsetzen.
Im Mittelpunkt der Entwicklung des Schaums standen drei Anforderungen: Erstens die Entwicklung und Verwendung eines toleranten Aufschäummittels, in der Fachsprache Treibmittel genannt, das flexibel für das Strangpressen in Extrusionsanlagen oder für in Pressen geformte Siliconschaumstücke verwendet werden kann. Zweitens sollte die dauerhafte Vernetzung des Siliconheißkautschuks, die Vulkanisation, sowohl mit Peroxiden als auch mit winzigen Mengen eines Platinkatalysators funktionieren. Und drittens stand ein geruchloser, geschmacksneutraler und lebensmittelechter Schaum auf der Wunschliste.
Dass Silicone solche Eigenschaften besitzen, ist bekannt. Für Siliconschäume galt dies jedoch nur sehr eingeschränkt, denn sie wurden bislang mit der Hilfe von sogenannten Azo-Treibmitteln aufgeschäumt. Diese Treibmittel ermöglichen zwar die Produktion der heute verfügbaren Siliconschäume mit akzeptablen mechanischen Eigenschaften. Der Aufwand ist jedoch immens. Für jedes Produkt muss nach einer geeigneten chemischen Formulierung für dieses Treibmittel gesucht werden.
Ein weiteres Problem stellen die während und nach der Schaumbildung entstehenden Emissionen dar. Die Azotreibmittel zerfallen beim Erhitzen und geben Stickstoff frei. Die Folge: Das Produkt riecht stark, enthält Zerfallsprodukte und ist deshalb für Lebensmittelanwendungen ungeeignet. Zudem reichen die mechanischen Eigenschaften oft nur für Standardanwendungen aus.
Kristallines Wasser als Treibmittel
Nach mehr als zwei Jahren Entwicklungsarbeit gelang es Wacker-Chemikern schließlich ein ungiftiges Treibmittel zu finden: schlichtes Wasser. Homogen in einer emulgierten Siliconmasse verteilt, verdampft es bei etwa 150 °C und erzeugt dabei gleichmäßig verteilte, offene und geschlossene Bläschen im Silicon.
Dies verursachte allerdings in der Praxis einige Probleme. Denn die wässrigen Emulsionen waren oft instabil oder der Schaum bildete sich so schnell, dass nicht genügend Zeit für eine Vernetzung des Gummis über die parallel ablaufende Vulkanisation blieb. Das Wasser musste also auf andere Weise gleichmäßig verteilt werden und erst bei den höheren Prozesstemperaturen als aufschäumender Wasserdampf zur Verfügung stehen.
Doch auch hierfür fanden die Forscher eine Lösung. Um sicherzustellen, dass der Wasserdampf zur richtigen Zeit zur Verfügung steht, verwendeten sie kristallines Wasser. In Kristallen gebundenes Wasser bietet genau die gesuchten Eigenschaften. Die kristalline Substanz liefert genug Wasserdampf, um homogene Schaumstrukturen erzeugen zu können. Richtig formuliert, verträgt sie sich zudem mit der zeitgleich ablaufenden Vulkanisation, der Vernetzung der mehrere tausend Atomgruppen langen Molekülketten aus Silicium, Sauerstoff und Kohlenstoff bei Wärmezufuhr.
Möglichst große Freiheiten in der Produktion
Das Ergebnis dieser erfolgreichen Forschungs- und Entwicklungsarbeit steht nun als zum Patent angemeldeter Siliconschaum zur Verfügung, nämlich als Elastosil BTB-System. BTB steht für „bimorphologischer Treibbatch“, da das System sowohl offen- als auch geschlossenzellige Strukturen erzeugt, also gemischtzelligen Schaum. Neben den vielseitigen Eigenschaften des Siliconschaums erhalten Anwender eine Technologie, die auch viele Freiheiten bei der Produktion zulässt.
Der Siliconschaum ist leicht nutzbar und zu verarbeiten, sowohl für diejenigen, die über eine sehr gute Systemkontrolle verfügen, als auch für solche, die sich mit einfacheren Verfahren begnügen. So kann die Vulkanisation wahlweise über den Zusatz von Peroxid als sogenannter Vernetzer erfolgen. Aber auch die Zugabe von sehr geringen Mengen eines Platinkatalysators – nur wenige Teile auf eine Million Teile Siliconpolymere (ppm) – liefert in der 30- bis 300-sekündigen Aufschäumzeit einen Vernetzungsgrad nach Wunsch.
Die Härtegrade der Schäume bewegen sich zwischen 10 und 90 Shore A. 10-Shore-A-Produkte sind weich wie eine Geleinlage, bei 90 Shore hat man den Gefühlseindruck eines massiven Elastomers. Kein anderer auf dem Markt verfügbarer Polymerschaum deckt diesen weiten Bereich ab. Die Porengröße lässt sich über die Menge an Treibmittel und Katalysator bzw. Vernetzer vorher einstellen. Gemischtzellige Werkstoffe zeigen bei einer Druckverformung die beste Charakteristik. Damit ist das neue Schaumsystem für Dichtanwendungen, sowohl statisch als auch dynamisch, bestens geeignet.
Sicher bei hohen Temperaturen
Mögliche Anwendungen liegen bei leichten und langlebigen Dichtungen im Flugzeugbau oder bei der Klima- und Kältetechnik. Besonders in Gefrierkammern und Tieftemperaturbereichen zeigen Siliconschäume ihre Stärken. Aufgrund ihrer enormen Temperaturbeständigkeit behalten Dichtungen aus geschäumtem Silicon auch bei Temperaturen unter -50 °C ihre volle Flexibilität. Damit können sie bauteilbedingte Fertigungstoleranzen spielend ausgleichen. Herkömmliche Dichtungsmaterialien sind damit meist überfordert.
Geradezu prädestiniert sind Siliconschaumdichtungen auch für die Verwendung in Chemieanlagen. Dank ihrer Dehnbarkeit lassen sich wärmedämmende Isolierhüllen aus Siliconschaum leicht über Rohrleitungen stülpen. Auch hohe Temperaturen, wie sie etwa beim Transport von Prozessdampf oder heißen Gasen entstehen, verkraften Siliconschäume problemlos. Das gilt insbesondere für freistehende Chemieanlagen, deren Bauteile witterungsbedingt besonders hohen Temperaturschwankungen ausgesetzt sind. Auch hier sind Dichtungen aus Siliconschaum allen organischen Dichtungsmaterialien haushoch überlegen.
In Gebäuden mit hohen Sicherheitsstandards – vom Krankenhaus über Flughafengebäude bis zum Autotunnel – können die neuen Siliconschäume einen weiteren zentralen Vorteil gegenüber Schäumen aus organischen Polymeren ausspielen. Im Brandfall entstehen keine giftigen Gase mehr, denn die Schäume verbrennen zu Kohlendioxid, Wasser und Kieselsäure, also zu gesundheitlich unbedenklichen Subs-tanzen. Allerdings muss es schon sehr heiß werden, bevor das schwer entflammbare Material durch Feuer zerstört werden kann. Der Flammpunkt liegt bei etwa 500 °C, erst bei etwa 800 °C kommt es zur Selbstentzündung. Auch in diesem Fall bildet sich kaum Rauch. Fast überall, wo heute noch organische Schäume verwendet werden, können Siliconschäume eingesetzt werden. Sie bieten eine längere Haltbarkeit und größere Sicherheit im Brandfall. Sie lassen sich auf die jeweiligen Produktionsbedingungen optimal abstimmen. Auch in der Lebensmittel- oder Medizintechnikindustrie sind Dichtungen oder andere Schaumteile aus Silicon wegen ihrer Lebensmittelechtheit klar im Vorteil.
Halle 6, Stand A10
cav 416

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