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Zuverlässigkeit geht vor Innovation

Trends und Entwicklungen in der Gasmesstechnik
Zuverlässigkeit geht vor Innovation

Wie wird sich die Gasmesstechnik verändern, und welche Trends zeichnen sich derzeit ab? Werden noch heute unbekannte Messprinzipien die Gasmesstechnik revolutionieren oder wird der Markt eher konservativ reagieren und die heutige Messtechnik weiterhin favorisieren? Selbst bei ausreichender Kenntnis der Vergangenheit ist es doch schwierig, einen vorsichtigen Blick in die Zukunft zu werfen.

Dr. Wolfgang Jessel

Definiert man den Begriff Gasmesstechnik, so gestaltet sich der Blick in die Zukunft schon einfacher, denn trotz der fließenden Übergänge zwischen den einzelnen Bereichen (siehe Grafik) ist die industrielle Gasmesstechnik in erster Linie ein gerätegestützter Anlagen- und Personenschutz, bei der die zuverlässige und schnelle Reaktion (Warnung oder Alarmierung) bei Überschreitung einer voreingestellten Gaskonzentration, begleitet von automatischen oder organisatorischen Maßnahmen, eine höhere Priorität als die Genauigkeit eines Messwerts hat. In diesem Sinne ist Gasmesstechnik im Gegensatz zur Prozessmesstechnik also ein Teilgebiet der Sicherheitstechnik. Gaswarneinrichtungen sind dazu vorgesehen, toxische oder brennbare gasförmige Beimengungen in der Umgebungsluft zu detektieren. So anschaulich die grafische Darstellung auch sein mag, insbesondere im Bereich der stationären Gasmesstechnik ist der Graubereich groß: Einerseits werden Gaswarngeräte auch im geschlossenen Prozess (z. B. zur Inertisierungsüberwachung) oder zumindest prozessnah im Sinne des vorbeugenden Explosionsschutzes (Konzentrationsbegrenzung) eingesetzt, andererseits haben sie eher eine dem Feuerlöscher gleichende Funktion, denn man erwartet kontinuierliche Bereitschaft und zuverlässige Reaktion im seltenen Fall einer Gasfreisetzung bei möglichst großen Wartungsintervallen.
Vorbeugender Explosionsschutz
Zwar ist der primäre Explosionsschutz in Deutschland schon seit 1980 (mit Inkrafttreten der ElexV) bekannt und seit Inkrafttreten der Richtlinie 94/9/EG (Atex 95) auch im Europäischen Wirtschaftsraum gesetzlich verankert, aber dass man durch den Einsatz eignungsgeprüfter Gaswarneinrichtungen die Bildung explosionsfähiger Gas/Dampf-Luft-Gemische zuverlässig verhindern kann, scheint in vielen Regionen noch nicht verstanden zu sein. Ganz sicher wird sich der Trend, Gaswarneinrichtungen für den vorbeugenden Explosionsschutz einzusetzen, noch deutlich verstärken. Ingenieurbüros, Genehmigungsbehörden, Zulassungsstellen, Betreiber und befähigte Personen müssen künftig in der Lage sein, derartige Projektierungen sachkundig anzugehen und Bescheinigungen beizubringen, dass im Gefahrenbereich ein ausreichendes Maß an Sicherheit erreicht und dieses im Explosionsschutzdokument hinterlegt ist. Die Verantwortung für den sicheren Betrieb liegt weiterhin beim Anlagenbetreiber, und das wird diesen künftig umso mehr veranlassen, nur Produkte einzusetzen, die nicht nur die gesetzlichen Auflagen erfüllen sondern darüber hinaus auch dem Stand der Technik entsprechen. Gaswarneinrichtungen ohne Konformitätsnachweise und Herstellererklärungen werden im industriellen Bereich chancenlos sein. Immer häufiger fordern Planer sicherheitsgerichteter Anlagen die Erfüllung objektiver Zuverlässigkeitskriterien, die – zusammengefasst unter dem Begriff Safety Integrity Level (SIL) – sich aber nicht nur auf die Produktbeschaffenheit, sondern auf den gesamten Anlagenbetrieb beziehen und sowohl Hersteller als auch Betreiber in die Pflicht nehmen. Safety Integrity ist ein komplexes Thema und das Verständnis seitens der Verwender noch sehr uneinheitlich, doch wird künftig die SIL-Konformität eine zusehends größere Rolle spielen.
Sinkende Grenzwerte
Die sicherheitstechnischen Kenngrößen der brennbaren Gase und Dämpfe (Flammpunkt, UEG, etc.) sind empirische, nach gewissen Normen bestimmte Größen, die sich auch in Zukunft kaum stark ändern werden. So ist der vorbeugende Explosionsschutz zumindest diesbezüglich keinen Trends unterworfen. Anders verhält es sich aber bei toxischen Substanzen. Hier ist ein geradezu „dramatischer Verfall von Luftgrenzwerten“ in der Gesetzgebung zu beobachten, dokumentiert durch die Gefahrstoffverordnung und die TRGS 900: Die maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK) ist abgeschafft, für viele Substanzen gibt es jetzt Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW). Die Anzahl der dort gelisteten Substanzen ist jedoch vorerst von 576 auf 235 geschrumpft, wobei die derzeit fehlenden Substanzen hinsichtlich ihrer Toxizität einer erneuten Bewertung unterzogen werden müssen und in deutlich niedrigeren AGW resultieren werden als bisher von der MAK bekannt. Nach Vorstellungen der Gesetzgeber dürfen Arbeitnehmer mit toxischen Substanzen, für die kein AGW festgelegt ist, eigentlich gar nicht in Kontakt kommen. Die künftig zunehmend sinkenden Luftgrenzwerte sind eine Herausforderung für die Gasmesstechnik, denn die Sensoren für toxische Gase müssen zusehends empfindlicher sein, und heute noch kaum denkbare Messbereichsendwerte im unteren ppb-Bereich werden für viele Gase und Dämpfe Realität sein. Die Empfindlichkeitserhöhung um z. B. den Faktor 100 zieht dann aber auch die oft übersehene Reduzierung der Querempfindlichkeiten in der gleichen Größenordnung nach sich, andernfalls sind Fehlalarme vorprogrammiert. Auch gilt es, zur Verbesserung der Signalstabilität die Umwelteinflüsse noch stärker zu reduzieren und vor allem auch den stets vorhandenen und variierenden Wasserdampfgehalt der Luft zu berücksichtigen.
Bewährte Messverfahren
Für Gaswarngeräte kommen vornehmlich acht Messverfahren in Betracht, von denen sich insbesondere der Halbleitersensor, der Wärmetönungssensor, der elektrochemische Sensor und der Infrarotsensor etabliert haben. Die Vorteile dieser vier Messprinzipien sind dadurch gekennzeichnet, dass die Gaswarngeräte bei günstigem Preis-Leistungsverhältnis robust und explosionsgeschützt ausgeführt sind, als Feldtransmitter mit Kleinspannung betrieben werden können und typischerweise ohne Ansaugpumpen und Gasaufbereitung auskommen. Darüber hinaus gelten sie in der industriellen Anwendung als weitgehend zuverlässig und wenig wartungsintensiv, ganz besonders gilt das für den infrarot-optischen Sensor. Denn während die drei erstgenannten Messprinzipien auf chemischen Reaktionen mit dem Messgas beruhen, ist das infrarot-optische Messprinzip rein physikalisch, und der IR-Sensor ist nicht notwendigerweise gasberührt, was den Weg für prozessnahe Anwendungen ebnet. Man kann mit ihm Prozesse durchleuchten und optimieren, oder – wie von Open-Path-Detektoren bekannt – längs einer Sichtlinie die durch Gasmoleküle verursachte Absorption vermessen. Leider sind optische Messprinzipien heute noch nicht ausreichend empfindlich, um bei geringer Messküvettenlänge toxische Konzentrationen im unteren ppm-Bereich zuverlässig zu erfassen. Das ist ganz sicherlich die Domäne der elektrochemischen Sensoren, die messtechnisch schon heute Erstaunliches leisten.
Sensoren
Halbleitersensoren (Metalloxidsensoren) sind nur bedingt für sehr kleine Messbereiche geeignet. Zwar führen viele Gase schon in geringen Konzentrationen zu einem auswertbaren Messsignal, doch kann der günstige Beschaffungspreis die geringe Langzeitstabilität und Messqualität kaum aufwiegen. Bleibt abzuwarten, was Forschung und Entwicklung zur Verbesserung solcher Sensoren in Zukunft noch beitragen können. Basierend auf Nanostrukturen sollen Sensor-Arrays künftig in der Lage sein, gewisse Gaszusammensetzungen zu unterscheiden (Gasmustererkennung), um beispielsweise schwelbrandverursachtes CO vom CO aus Verbrennungsmotoren unterscheiden zu können.
Wärmetönungssensoren sind nach wie vor aufgrund ihrer Universalität sehr beliebt, und bei vorschriftsmäßigem Betrieb haben sie sich auch als durchaus zuverlässig erwiesen. Hier zeichnet sich nicht so sehr der Trend der Katalysatoroptimierung für gewisse Gase ab als viel mehr die fertigungstechnische Optimierung bei verbesserten Eigenschaften. In vielen Anwendungen ist aufgrund einer möglichen Sensorvergiftung eine häufige Funktionsprüfung erforderlich, so dass in solchen Fällen eher ein infrarot-optischer Sensor eingesetzt wird. Noch hat der Wärmetönungssensor seine Daseinsberechtigung, weil gewisse Gase wie Wasserstoff, Ammoniak, Acetylen oder Vinylchlorid mit den herkömmlichen IR-Sensoren nicht detektierbar sind. Doch gehört unter allen Smart-Konzepten sicherlich solchen Wärmetönungssensoren die Zukunft, die ihren Empfindlichkeitsverlust auch ohne Begasung an die Zentrale melden können. Denn nichterkennbare Sensorausfälle lässt die Sicherheitstechnik nicht zu, hier ist der Infrarot-Sensor mit seinen Diagnosemöglichkeiten und der elektrochemische Sensor mit gewissen Sensorselbsttestfunktionen überlegen.
Gasmesstechnik der Zukunft
Die Zukunft der stationären Gasmesstechnik wird aber nicht nur von der innovativen Verbesserung der bekannten Sensor- bzw. Messprinzipien, sondern vielmehr in der Reduzierung der Installations- und Betriebskosten ohne Beeinträchtigung der Sicherheit geprägt sein. Geeignete Feldbussysteme, solar- oder batteriebetriebene Transmitter mit geringer Leistungsaufnahme sind bereits Realität, und sicherheitstechnisch akzeptierte Funkverbindungen zwischen Zentrale und Transmitter, wenn auch oftmals skeptisch betrachtet, längst nicht mehr Utopie. Stationäre Gaswarngeräte gehören an die Wand – einmal installiert, will der Betreiber sie so wenig spüren wie einen Feuerlöscher. Daher muss die vorgeschriebene Wartung möglichst selten, einfach und auch schnell durchführbar sein. Selbstdiagnose und zuverlässige automatische Kalibrierung durch (elektrochemische) Gasgeneratoren sind neben dem einfachen – auch präventiven – Austausch von steckbaren und möglichst vorkalibrierten Sensoren ohne Aufhebung des Explosionsschutzes die herausragenden Eigenschaften von Feldtransmittern der Zukunft, noch dazu, wenn sie durch modularen Aufbau an künftige Anforderungen angepasst werden können.
Sicherlich werden optische und laser-optische Gassensoren weiter entwickelt und optimiert, und auch die Ionenmobilitäts-Spektroskopie wird sich in der Gasmesstechnik zur Detektion gewisser Gase im ppb-Messbereich durchsetzen, sofern nicht einfacher zu handhabende elektrochemische Sensoren für den gleichen Zweck geeignet sind. Denn die Elektrochemie war schon immer für Überraschungen gut, und vor 20 Jahren hätte wohl kaum jemand geglaubt, dass eines Tages hervorragende elektrochemische Sensoren zur Messung von Phosgen im unteren ppb-Bereich heute schon selbstverständlich sein würden. Doch Sicherheitstechnik ist konservativ, und sofern Gaswarngeräte keine bahnbrechend nützlichen Eigenschaften aufweisen, sind Anlagenbetreiber nur ungern bereit, Anbieter oder Produkt zu wechseln. Gute Erfahrungen mit dem Vorort-Service und gewachsene Kenntnisse und Erkenntnisse im Umgang mit einem langzeitig verfügbaren Gerät wiegen oft mehr als mögliche Risiken bei der Beschaffung neuartiger Produkte. In der Sicherheitstechnik experimentiert man nicht, denn hier geht es um Menschenleben. Und das wird auch in den weiteren zwei Dekaden nicht anders sein.
cav 458

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