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Digitaler Produktpass erleichtert das Recycling

Der Ausweis für die Verpackung
Digitaler Produktpass erleichtert das Recycling

Die unternehmensübergreifende Initiative R-Cycle hat einen globalen Rückverfolgungsstandard für Kunststoffverpackungen entwickelt, den digitalen Produktpass R-Cycle. Der Direktor der Initiative, Dr. Benedikt Brenken, erklärt, welche Vorteile der digitale Produktpass für die Kreislaufwirtschaft bietet und warum auch die Lebensmittelindustrie davon profitiert.

Herr Dr. Brenken, Lebensmittel befinden sich häufig in Kunststoffverpackungen, die bisher erst zu einem geringen Anteil wiederverwertet werden. Wie kann der digitale Produktpass R-Cycle das Recycling von Kunststoffverpackungen verbessern?

Dr. Benedikt Brenken: Der digitale Produktpass ermöglicht ein höherwertiges Recycling, indem er Informationen liefert, mit denen Verpackungen besser sortiert werden können. Die technische Recyclingfähigkeit der Verpackung verbessert er zwar nicht. Aber man weiß durch die Informationen aus dem Produktpass, was man nach Gebrauch mit der Verpackung machen kann, zum Beispiel, wie man bestimmte Materialien und Verbünde wieder einsetzen kann. Ein Beispiel: Mit dem digitalen Produktpass lassen sich bei der Abfallsortierung Verpackungen von Food- und Non-Food-Produkten unterscheiden.

Wie funktioniert der digitale Produktpass?

Dr. Brenken: Der digitale Produktpass ist ein Vehikel, das es ermöglicht, unternehmensübergreifend Daten von Verpackungen standardisiert auszutauschen, um Prozesse zu vereinfachen. Er besteht aus drei Elementen. Zum einem aus einem Global Unique Identifier. Damit erhält die Verpackung eine Identität, eine Nummer. Das Zweite ist ein Datensatz. Die Daten für diesen Datensatz werden dort aufgenommen, wo sie erzeugt werden. Das kann bei Verpackungen ein sehr komplexer Prozess sein, weil unterschiedliche Player beteiligt sind. Das Dritte ist die Markierung, die das physische Produkt mit den Daten verbindet. Über die Markierung kann man sich die Daten anzeigen lassen. Technisch basiert R-Cycle auf einem Protokoll, das sich der elektronische Produkt-Code nennt, abgekürzt EPCIS. Dieser Code wird schon seit Jahren für das Tracking von Frische-Lebensmitteln eingesetzt.

Welche Markierungen sind für R-Cycle relevant?

Dr. Brenken: Wir sind offen, was die Markierungstechnologien angeht. R-Cycle basiert durchgängig auf GS1-Standards. Die einzige Anforderung, die wir haben, ist daher, dass die Markierung die ID-Nummer abbilden kann. Das funktioniert über QR-Codes oder über digitale Wasserzeichen, also über unsichtbare, wiederkehrende Codes auf der Verpackungsoberfläche. Welche Art der Markierung sinnvoll ist, hängt davon ab, was man mit dem digitalen Produktpass machen will. Soll zum Beispiel in hoch automatisierten Sortieranlagen Müll gescannt werden, funktioniert die Erkennung mit dem QR-Code nicht. Deshalb gibt es die Initiative der digitalen Wasserzeichen Holy Grail, die wir mit dem von uns entwickelten Datenstandard unterstützen. Mit digitalen Wasserzeichen können Sortieranlagen automatisiert auf die Daten zugreifen. Sollen aber Kunden oder Behörden über die Inhaltsstoffe von Verpackungen informiert werden, eignet sich auch ein QR-Code sehr gut für die Erkennung.

Welche Informationen werden mit R-Cycle erfasst?

Dr. Brenken: Es geht generell um die recyclingrelevanten Inhaltsstoffe von Verpackungen. Die Rezeptur spielt dabei keine Rolle, bei einer Folie muss man zum Beispiel nicht wissen, aus wie vielen Schichten sie besteht, aber, dass sie aus PE-LD hergestellt wurde. Außerdem haben wir Additive definiert, die die Recyclingfähigkeit beeinflussen. Diese Informationen sowie Informationen über Druckfarben, Klebstoffe etc. sind ebenfalls wichtig und bei der Sortierung zu berücksichtigen, damit der Recycler höherwertig recyclen kann.

Informationen über die Verpackung sind das eine. Aber ist es nicht mindestens genauso wichtig, das Design von Kunststoffverpackungen zu verbessern, um den Recyclinganteil zu erhöhen?

Dr. Brenken: Ja, absolut. Der digitale Produktpass alleine wird es nicht richten. Gerade werden viele Verfahren entwickelt, die es ermöglichen, gut recycelbare Produkte herzustellen. Beispielsweise war ein klassischer Pouch früher immer ein Verbund von PE und PET, aber mittlerweile kann man ihn auch rein aus PE herstellen. Wir haben festgestellt, dass es bereits viele solcher gut recycelbarer Monomaterialverpackungen gibt, aber die Sortierer nicht unterscheiden können, ob es sich zum Beispiel um einen Pouch aus Verbundmaterial oder reinem PE handelt. Das war die Geburtsidee von R-Cycle.

Wie müssen Maschinen wie Verpackungs- und Abfüllanlagen nachgerüstet werden, damit sie mit dem R-Cycle-Datensatz vernetzt werden können?

Dr. Brenken: Die R-Cycle Infrastruktur kann direkt an die Maschinen oder die typischen ERP-Systeme von Unternehmen angeschlossen werden, um Daten aufzunehmen. Man braucht nur eine Schnittstelle für die Bedienung des EPCIS-Standards. Der spannendere Teil der Nachrüstung ist das automatisierte Lesen der Daten. Ein Beispiel: Eine Folienrolle kommt mit einem Datensatz beim Bedrucker an. Dieser scannt den Datensatz an seiner Anlage ein und nutzt ihn dafür, die Anlage automatisch einzustellen. An einer Verpackungsanlage lassen sich mithilfe dieser Daten beispielsweise die Siegeltemperaturen anpassen. Der digitale Produktpass bietet also nicht nur für die Sortierer oder die Recycler Mehrwerte, sondern für alle Partner der Wertschöpfungskette.

R-Cycle ermöglicht Herstellern also auch effizientere Prozesse?

Dr. Brenken: Ja. Eine der Anwendungen, die wir zurzeit am meisten diskutieren, ist das verbesserte Datenreporting für die Markenindustrie und den Handel. Die EU-Kommission legt in ihrem Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft einen Fokus auf die Recyclingfähigkeit. Zukünftig werden Inverkehrbringer von Verpackungen deren Recyclingfähigkeit bewerten müssen. Noch ist es aber sehr aufwendig, sich die dafür benötigen Informationen über die gesamte Wertschöpfungskette zu beschaffen. Mit R-Cycle entsteht die Möglichkeit, das Datenreporting standardisiert durchzuführen.

Bisher wird kaum Rezyklat in Lebensmittelverpackungen eingesetzt. Kann R-Cycle dazu beitragen, dass sich das ändert?

Dr. Brenken: Ja, auf jeden Fall. Bei Lebensmittelverpackungen ist der Rezyklateinsatz zwar sehr komplex und streng reguliert, aber der Produktpass erfüllt eine wesentliche Anforderung für den Rezyklateinsatz in Lebensmittelverpackungen: den Nachweis darüber, was in der Verpackung enthalten war. Probleme wie Querkontaminationen sind damit zwar noch nicht gelöst. Doch ohne zu wissen, was in der Verpackung enthalten war, wird es schwierig. Deshalb ist der Produktpass eine entscheidende Komponente, um die Möglichkeit zu schaffen, Rezyklat in Lebensmittelverpackungen einzusetzen.

Wie müssen die Sortieranlagen technisch angepasst werden?

Dr. Brenken: Das kommt darauf an, welche Art der Markierung in Zukunft verwendet wird. Wenn sich die Markenhersteller darauf einigen, digitale Wasserzeichen auf die Verpackungen aufzubringen, müssen die Recycler ihre Sortieranlagen für die Erkennung der Wasserzeichen nachrüsten. Typischerweise werden dafür Kameras, Beleuchtung und eine Computereinheit für die Auswertung benötigt.

Können Sie Beispiele von Pilotprojekten von R-Cycle nennen?

Dr. Brenken: Im Rahmen der Holy-Grail-Initiative haben wir zum Beispiel ein Projekt für Sortierversuche unterstützt. Dafür wurden Beutelverpackungen mit digitalen Wasserzeichen produziert, um zu testen, ob sie von Sortieranlagen erkannt werden. Ein Fokus liegt aktuell auf Verpackungen im FMCG-Bereich, wobei es hier noch nicht darum geht, die Daten für das Sortieren zu nutzen, sondern für Recycability-Assessments. Um die Recyclingfähigkeit von Verpackungen zu bewerten, braucht man viele Daten. Für ein Projekt mit Kosmetikverpackungen nehmen wir zum Beispiel Daten von den Produzenten der Flaschen, der Deckel und der Label auf. Mit dem digitalen Produktpass lassen sich diese Daten automatisch laden, um Recycability-Assessments für die Verpackungen durchzuführen.

Sie haben auch ein Pilotprojekt mit einer Chipstüte aus Polypropylen durchgeführt. Was hat es damit auf sich?

Dr. Brenken: Diese Demoanwendung haben wir letztes Jahr auf der K-Messe gezeigt. Zum einen ist die PP-Chipstüte hervorragend recyclingfähig. Zum anderen hat sie den digitalen Produktpass, das heißt, es wurden alle relevanten Informationen aufgenommen. Anschließend wurde die komplette Charge dieser Chipstüten recycelt. Es entstand eine kleine Beutelverpackung und eine Frisbee-Scheibe. Diese Produkte hätte man sogar noch einmal recyceln können, Wir wollten mit dem Projekt zeigen: Wenn man sauber sortiert, hat man die Möglichkeit, das Material häufiger im Kreislauf zu führen. Zwar werden die Anwendungsmöglichkeiten tendenziell etwas schlechter, unter anderem weil die Polymerketten durch die Verarbeitung immer kürzer werden. Aber das Projekt zeigt, wie viele Möglichkeiten es gibt, hochwertige Produkte aus Verpackungen zu gestalten.

Könnte man aus dem Rezyklat wieder eine Chipstüte herstellen?

Dr. Brenken: Theoretisch ja. Das Rezyklat wurde migratorisch untersucht und unter anderem nach der EU-Kunststoff-Verordnung Nr.10/2011 für Materialien mit Lebensmittelkontakt bewertet. Die Tests haben gezeigt, dass alle enthaltenen Grenzwerte bei weitem unterschritten wurden. Aber eine Zulassung für den Kontakt mit Lebensmitteln gäbe es für das Rezyklat aktuell noch nicht.

Bis wann rechnen Sie damit, dass erste Verpackungen mit dem digitalen Produktpass auf den Markt kommen werden?

Dr. Brenken: Verpackungen mit dem digitalen Produktpass gibt es im Rahmen von Pilotprojekten schon jetzt auf dem Markt. Die Holy-Grail-Initiative startet zum Beispiel gerade ein Projekt in Frankreich, bei dem Verpackungen mit dem digitalen Wasserzeichen auf den Markt gebracht werden. Aber wir müssen eine hohe Marktdurchdringung erreichen, damit es sich für die Sortierer lohnt, ihre Maschinen nachzurüsten. Auch durch die Packaging Waste Regulation der EU wird der Produktpass an Bedeutung gewinnen. Nach dem Gesetzesentwurf sollen 42 Monate nach Inkrafttreten alle Verpackungen einen digitalen Produktpass haben.

Ziel ist es, den R-Cycle als globalen Rückverfolgungsstandard einzuführen. Bis wann wird es soweit sein?

Dr. Brenken: Der Datenstandard von GS1 für R-Cycle wird im April dieses Jahres veröffentlicht. Das ist dann die Grundlage, auf der alle Partner der Wertschöpfungskette global mit dem digitalen Produktpass arbeiten können. Jetzt müssen wir den Produktpass in die Verbreitung bringen.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: R-Cycle


R-Cycle:   Die Initiative

Die Initiative R-Cycle wurde 2020 von sechs Technologieunternehmen und Organisationen entlang des gesamten Lebenszyklus von Kunststoffverpackungen gegründet mit dem Ziel, einen offenen, globalen und digitalen Rückverfolgungsstandard für Kunststoffverpackungen zu entwickeln. Zu den Gründungsmitgliedern gehören die auf Extrusionsanlagen spezialisierte Reifenhäuser-Gruppe, GS1 Germany und das Institut für Kunststoffverarbeitung an der RWTH Aachen. Seit der Gründung ist die Community auf 29 Mitglieder gewachsen (Stand Februar 2023). Mitglieder sind z. B. auch Sidel, Multivac und Adapa. Um den digitalen Produktpass anzuwenden, muss man nicht Mitglied der Community sein, sondern braucht nur die nötige Dateninfrastruktur. Diese bietet R-Cycle als Software as a service an.


Das Interview führte für Sie: Claudia Bär

Redakteurin

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