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Gluten im Weizen: Was sich nach 120 Jahren Züchtung verändert hat

Rätselhafte Zunahme an Unverträglichkeiten
Gluten im Weizen: Was sich nach 120 Jahren Züchtung verändert hat

Gluten im Weizen: Was sich nach 120 Jahren Züchtung verändert hat
Enthält Weizen heute mehr Gluten als früher? Um zur Klärung dieser Frage beizutragen, untersuchte ein Forscherteam den Eiweißgehalt von 60 Weizensorten aus den Jahren 1891 bis 2010. Bild: H. Brauer – stock.adobe.com
Die Zahl der Menschen, die an Zöliakie, einer Weizenallergie oder einer Gluten- oder Weizensensitivität leiden, ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Doch warum ist das so? Enthält Weizen heute mehr immunreaktives Eiweiß als früher? Eine Studie des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München und des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung trägt nun mit ihren Ergebnissen dazu bei, diese Frage zu beantworten.

Weizenkörner bestehen zu etwa 70 % aus Stärke. Ihr Eiweißanteil liegt in der Regel bei 10 bis 12 %. Gluten, das sogenannte Klebereiweiß, macht davon mit etwa 75 bis 80 % den Löwenanteil aus. Es handelt sich bei Gluten um ein Stoffgemisch aus verschiedenen Eiweißmolekülen. Diese lassen sich grob in zwei Untergruppen einteilen: die Gliadine und die Glutenine.

Gliadine und Glutenine unterscheiden sich in ihren molekularen Eigenschaften und beeinflussen so in unterschiedlicher Weise das Backverhalten von Teigen. Gliadine spielen eine Rolle für die Viskosität und Dehnbarkeit eines Teiges. Die Glutenine bilden dagegen aufgrund ihrer Moleküleigenschaften ein durchgängiges Netzwerk, das für den Dehnwiderstand und die Elastizität des Teiges verantwortlich ist. Sie gehören in vernetzter Form zu den größten natürlich vorkommenden Eiweißmolekülen.

Seit langem ist bekannt, dass im Weizen enthaltene Eiweiße Erkrankungen wie Zöliakie oder Weizenallergien auslösen können. Etwa 1 bzw. 0,5 % der erwachsenen Weltbevölkerung sind betroffen. Zudem gewinnt die Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität (NCGS) in der westlichen Welt immer mehr an Bedeutung.

„Viele Menschen befürchten, dass moderne Weizenzüchtungen mehr immunreaktives Eiweiß enthalten als früher und dies die Ursache für die gestiegene Erkrankungshäufigkeit ist“, sagt Darina Pronin vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie, die im Rahmen ihrer Doktorarbeit maßgeblich an der Studie beteiligt war. Hinsichtlich des Glutens stünde insbesondere die Eiweißgruppe der Gliadine im Verdacht, unerwünschte Immunreaktionen hervorzurufen, so die Lebensmittelchemikerin weiter.

60 Sorten aus der Zeit von 1891 bis 2010 analysiert

Doch wie groß sind die Unterschiede zwischen alten und neuen Weizenzüchtungen wirklich? Um zur Klärung der Sachlage beizutragen, untersuchte das Team um Katharina Scherf am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie den Eiweißgehalt von 60 bevorzugten Weizensorten aus der Zeit zwischen 1891 und 2010. Möglich machte dies das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung. Es verfügt über ein umfangreiches Saatgutarchiv. Aus diesem wählten die Forschenden für jedes Jahrzehnt der betrachteten 120 Jahre jeweils fünf führende Weizensorten aus. Um vergleichbare Proben zu generieren, bauten sie die verschiedenen Sorten in den Jahren 2015, 2016 und 2017 unter jeweils gleichen geografischen und klimatischen Bedingungen an.

Wie Analysen des Wissenschaftlerteams zeigen, enthalten moderne Weizenzüchtungen insgesamt etwas weniger Eiweiß als alte. Der Gehalt an Gluten blieb dagegen über die letzten 120 Jahre konstant, wobei sich die Zusammensetzung des Glutens jedoch leicht veränderte. Während der Anteil der kritisch gesehenen Gliadine um rund 18 % sank, stieg im Verhältnis der Gehalt der Glutenine um etwa 25 % an. Darüber hinaus beobachteten die Forschenden, dass mit einer höheren Niederschlagsmenge im Erntejahr auch ein höherer Glutengehalt der Proben einherging.

Umweltbedingungen sind entscheidender als Sorte

„Überraschenderweise hatten Umweltbedingungen wie die Niederschlagsmenge, sogar einen größeren Einfluss auf die Eiweißzusammensetzung als die züchterischen Veränderungen. Zudem haben wir zumindest auf Eiweißebene keine Hinweise darauf gefunden, dass sich das immunreaktive Potential des Weizens durch die züchterischen Maßnahmen verändert hat“, erläutert Scherf, die heute ihre Forschung als Professorin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) fortsetzt. Jedoch seien auch noch nicht alle im Weizen enthaltenen Eiweißarten im Hinblick auf ihre physiologischen Effekte untersucht, gibt Scherf zu bedenken. Es bestünde also noch viel Forschungsbedarf.

Originalpublikation: Pronin D, Börner A, Weber H, Scherf KA (2020) J Agric Food Chem, DOI: 10.1021/acs.jafc.0c02815. Wheat (Triticum aestivum L.) breeding from 1891 to 2010 contributed to increasing yield and glutenin contents but decreasing protein and gliadin contents

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