Startseite » Pharma » Interview (Pharma) »

Inaktivierung von Viren mit niederenergetischer Elektronenstrahlung

Erste Hürden genommen
Inaktivierung von Viren mit niederenergetischer Elektronenstrahlung

In Stuttgart dreht sich vieles um Automobile. Doch nicht alles: Jetzt ist die Landeshauptstadt um eine Attraktion reicher. Seit Anfang 2022 steht hier einer von zwei Bestrahlungsprototypen weltweit, der mit niederenergetischer Elektronenstrahlung infektiöse Erreger inaktiviert. Wir sprachen mit Kyoobe-Tech-Geschäftsführerin Dr. Andrea Traube und Produktentwickler Günther Schunn über das Projekt Inactivate, das Verfahren und wie es mit dem Prototypen weitergeht.

Frau Dr. Traube, was hat es eigentlich mit dem Firmennamen auf sich und wie spricht man ihn korrekt aus?

Dr. Andrea Traube: Kyoobe (gesprochen Kjubi) ist ein zusammengesetztes Wort aus der englischen Lautschrift für Q und B. Die Buchstaben stehen für Quality und Bioengineering und finden sich auch in unserem Firmenlogo wieder. Einige haben uns aufgrund unseres Namens japanische Wurzeln angedichtet, aber das ist völlig falsch.

Was ist denn dann richtig?

Traube: Kyoobe Tech ist ein eigenständiges Tochterunternehmen von Bausch+Ströbel mit Sitz in Leinfelden bei Stuttgart. Unser technologischer Ursprung liegt in der Fraunhofer Gesellschaft. Dort wurde das Verfahren zur Bestrahlung von biologischen Flüssigkeiten mit niederenergetischer Elektronenstrahlung entwickelt. Bausch+Ströbel hat die Patente 2019 einlizensiert und Kyoobe Tech 2020 als Start-up gegründet, mit dem Zweck, das Fraunhofer-Verfahren zur Marktreife zu entwickeln.

Kyoobe Tech ist also ein Corporate Start-up von Bausch+Ströbel. Wieso ist das Unternehmen in Stuttgart angesiedelt und nicht in Ilshofen am Stammsitz von Bausch+Ströbel?

Traube: Bausch+Ströbel wollte die Entwicklung der neuen Technologie ganz bewusst im Umfeld einer Start-up-Atmosphäre gestalten, in der sich neue Ideen entwickeln und neue Wege gegangen werden können. Wir arbeiten weitestgehend autark, halten aber trotzdem engen Kontakt mit den Kollegen in Ilshofen und können deren spezielles Know-how für die Pharmaindustrie für unseren Entwicklungsprozess nutzen.

Worum geht es in dem Projekt Inactivate?

Traube: Im Projekt Inactivate geht es darum, biologisches Material mit niederenergetischer Elektronenstrahlung zu inaktivieren. Dieser Prozess ist zum Beispiel bei der Produktion von Totimpfstoffen wichtig. Während der Herstellung erfolgt die gezielte Schädigung bis hin zur kompletten Inaktivierung der infektiösen Erreger. Bisher wird dies meist langwierig thermisch oder chemisch durchgeführt, wobei die Proteine auf der Oberfläche häufig in Mitleidenschaft gezogen werden, was die Wirksamkeit des Totimpfstoffes senkt. Mit niederenergetischer Elektronenstrahlung lässt sich die RNA bzw. DNA von Erregern innerhalb weniger Pikosekunden zerstören, die Proteine auf der Oberfläche bleiben aber weitestgehend erhalten.

Herr Schunn, für diesen Prozess hat Kyoobe Tech einen Prototypen gebaut. Wie funktioniert dieser?

Schunn: Im Prinzip handelt es sich um einen großen, mit Blei ausgekleideten Kühlschrank, der eine Strahlungskammer beinhaltet. Das zu inaktivierende Material wird einfach unter der Strahlungsquelle hindurchgeleitet. Wir haben dazu eine Kassette mit integrierter Edelstahlrolle für die Bestrahlung größerer Mengen und einen Chip für kleinere Mengen entwickelt.

Die Inaktivierung erfolgt mit niederenergetischer Elektronenstrahlung. Wofür wird diese normalerweise verwendet?

Schunn: Niederenergetische Elektronen kennen die Älteren von uns hauptsächlich noch aus den Kathodenröhrenbildschirmen, die nach dem Prinzip der Braunschen Röhre arbeiten. Es gibt aber auch andere Anwendungen wie die Polymervernetzung, die Saatgutsterilisation oder die Oberflächensterilisierung in der Medizin.

Ist niederenergetische Elektronenstrahlung nicht gefährlich?

Schunn: Nicht direkt, aber sie lässt sich relativ einfach abschirmen. Unser Prototyp besitzt Bleiplatten mit etwa 20 mm Dicke im Inneren. Dadurch kann die im Gehäuse entstehende Röntgenstrahlung nicht nach außen dringen, sodass für das Bedienpersonal keine Gefahr besteht. Mit dem Abschalten der Strahlungsquelle hört auch der Elektronenstrahl auf und es entsteht keine weitere Strahlung mehr. Allerdings bildet sich im Gehäuse während der Bestrahlung auch Ozon. Dieses wird kontinuierlich und vor dem Öffnen des Gehäuses via Vakuumpumpe abgesaugt, sodass auch diese Gesundheitsgefahr unschädlich gemacht ist.

Herr Schunn, wozu nutzen Sie ihren Prototypen?

Schunn: Unser Prototyp ist ein sogenannter Working Prototype. Er dient uns zum Verständnis der Technologie und um diese weiter zu verfeinern. Mit rund 1,5 t ist unser Prototyp zum Beispiel viel zu schwer für den Einsatz in Laboren. Für diesen Einsatzbereich benötigen wir ein wesentlich kleineres Gerät. Deshalb fahren wir Tests mit verschieden dicken Bleimänteln, um die Abschirmung zu optimieren und das Gewicht zu reduzieren. Ein anderes Thema ist die Kühlung. Durch die Strahlung heizt sich beispielsweise der Chip, durch den die Erregerflüssigkeit fließt, auf. Dieser Effekt ist nicht gewünscht, daher haben wir eine Kühlung integriert. Außerdem untersuchen wir die Fluidik der Erregerlösungen oder wie sich die Anlage später reinigen lässt.

Ihr Gerät ist für die Pharmaindustrie gedacht. Da sind sicherlich noch einige Schritte vom Prototypen zum fertigen Gerät zu gehen.

Schunn: Das ist richtig. Wir haben den Prototypen teils mit Standardkomponenten gebaut. Unser Fokus liegt aktuell auf der technischen Entwicklung, die pharmazeutische Ausführung und das Hygienic Design gehen wir in einem zweiten Schritt an.

Frau Traube, ihr Prototyp steht in einem normalen Lagerraum. Mit tödlichen Erregern können sie hier kaum arbeiten. Wie weisen Sie für Kunden nach, dass die Technik mit deren Erregern funktioniert?

Traube: Bei Fraunhofer existiert eine lange Liste von Erregern, an denen die Wissenschaftler die Inaktivierung bereits demonstriert haben. Tests mit neuen Erregern führen wir am Fraunhofer IZI in Leipzig durch. Dort steht die Fraunhofer-Forschungsanlage in einem BSL2-Labor.

Wann möchten Sie die Technologie zur Marktreife bringen?

Traube: Aufbauend auf unserem Prototypen wollen wir bis Ende des Jahres ein Gerät entwickeln, das bereits als Kleinserie projektiert ist und das wir an verschiedene Partner zu Testzwecken liefern. Diese Geräte sollen wesentlich kleiner sein und sind für das Labor gedacht. Sie werden dann auch bereits einige pharmazeutisch relevante Parameter erfüllen. Die dort gesammelten Erfahrungen sollen dann in die Weiterentwicklung unserer Geräte zurückfließen. Vor allem an der Bedienung des Gerätes arbeiten wir zur Zeit sehr intensiv. Ziel ist es, dem Anwender am Ende eine robuste und flexible Bestrahlungsanlage zur Verfügung zu stellen, die einfach und sicher zu bedienen ist.

Kyoobe Tech GmbH, Leinfelden

Halle 16, Stand D15


Das Interview führte für Sie: Dr. Bernd Rademacher

Redakteur

Unsere Webinar-Empfehlung
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

cav-Produktreport

Für Sie zusammengestellt

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Top-Thema: Instandhaltung 4.0

Lösungen für Chemie, Pharma und Food

Pharma-Lexikon

Online Lexikon für Pharma-Technologie

phpro-Expertenmeinung

Pharma-Experten geben Auskunft

Prozesstechnik-Kalender

Alle Termine auf einen Blick


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de