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Keine Chance für Pharmapfuscher

Neue Generation von Verpackungen:
Keine Chance für Pharmapfuscher

Arzneimittelfälschungen nehmen rapide zu. In Deutschland ist bereits jedes zwanzigste Medikament gepanscht. Deshalb entwickeln Forscher Originalitätssiegel und Sicherheitscodes, die Arzneipackungen unverwechselbar machen sollen.

Wer die Schnupfendragees „Sinupret“ vom Pharmahersteller Bionorica kauft, sieht auf der Faltschachtel neuerdings eine dreidimensionale und optisch variable Prägung, deren Relief durch Kippen sichtbar wird. Denn das pflanzliche Arzneimittel wurde oft imitiert. Bionorica engagierte darum das auf Banknotendruck spezialisierte Münchner Unternehmen Giesecke & Devrient – und das entwarf das fühlbare Sicherheitselement für Sinupret. Die Firma Artur Theis, eine Tochter der Edelmann Gruppe, entwickelte den Herstellungsprozess für die neue Verpackung. Aufgedruckt und geprägt wird das Signum von Braun Pharmadruck in Bitterfeld, ebenfalls einer Edelmann-Tochter. Sinupret, der Renner auf dem Erkältungsmittelmarkt, ist nur der Anfang: Bis Ende 2011 will Bionorica Verpackungen in allen seinen Produktreihen mit dem neuen Qualitätssiegel bedrucken. „Wir möchten mit dieser Initiative Apotheker und Verbraucher bestmöglich absichern“, sagt Firmenchef Michael Popp.

Wer Probleme mit Fälschern hat, muss seine Produkte unterscheidbar machen. Das gilt besonders für die Pharmabranche. „Die Gefahr durch gefälschte Arzneimitteln steigt“, sagt Ulrike Holzgrabe von der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DphG). Dass den Pharmaherstellern durch Produktpiraterie jährlich Verluste in Milliardenhöhe entstehen, ist nicht einmal das Hauptproblem – gepanschte Medizin bedroht die Gesundheit oder sogar das Leben ahnungsloser Patienten.
Schwachstelle Internet
2009 hat der deutsche Zoll nach Angaben der EU 11,5 Mio. nachgemachte Arzneimittel aus dem Verkehr gezogen – 30 % mehr als ein Jahr zuvor. Einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sind inzwischen selbst in den vermeintlich sicheren Regionen Europa und USA bis zu 10 % aller Arzneimittel gefälscht. In Deutschland liege, so Holzgrabe, der Fälschungsanteil bei rund 5 % . „Und das ist nur die Spitze des Eisbergs“, vermutet die Expertin. Der Versandhandel bietet Kriminellen die größte Angriffsfläche. Dieser boomt, speziell in Deutschland: Im vorigen Jahr stieg der Umsatz mit apothekenpflichtigen rezeptfreien Arzneimitteln laut Marktforscher ACNielsen um ein Viertel. Jeder vierte Deutsche bezieht, so die Beratungsfirma GfK (Gesellschaft für Konsumforschung), inzwischen Medikamente über diesen Vertriebskanal. Dabei wird es für Verbraucher anscheinend immer schwieriger, seriöse Versandapotheken vom illegalen Versandhandel zu unterscheiden. Testkäufe des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker bestätigen Fälschungsraten von 50 % bei Arzneimitteln, die z. B. durch illegale Internetapotheken vertrieben werden.
„Die Pharmahersteller sind deshalb offener für das Thema Fälschungssicherheit geworden“, sagt Holzgrabe. Die Unternehmen verfolgen zwei Ziele: Erstens sollen Endverbraucher prüfen können, ob sie ein Original in der Hand halten. Und zweitens sollen Experten bei Kontrollen Fälschungen erkennen. Zu den aktivsten Firmen zählt neben Heilpflanzenspezialist Bionorica auch Bayer Healthcare, deren Produkte zu den meist gefälschten weltweit gehören. Darum erklärt der Konzern auf einer eigenen Internetseite ( www.vorsicht-faelschung.de), wie Patienten originale Bayer-Präparate von Imitaten unterscheiden können. Künftig will Bayer Healthcare seine Medikamentenpackungen zudem mit fälschungssicheren Merkmalen versehen. Auch die Leverkusener haben dafür Artur Theis ins Boot geholt. „Unsere Aufgabe ist, die Merkmale für die Faltschachtelproduktion umzusetzen und sie zur Serienreife zu bringen“, erklärt Ulrich Dörstelmann, Leiter der Abteilung Fälschungssicherheit bei der Edelmann-Tochter.
Vorbild Geldscheindruck
Artur Theis gilt in Deutschland als der Spezialist für unkopierbare Faltschachteln. In seinem Wuppertaler Werk, das zum reinen Fälschungssicherheitsbetrieb ausgebaut wurde, herrschen Bedingungen wie in einer Druckerei für Geldscheine: Personen kommen nur über eine Zugangskontrolle in die Produktion, die Sicherheitszonen sind für die meisten Mitarbeiter tabu, alle Prozesse werden exakt dokumentiert und archiviert – so viel Akkuratheit ist in der deutschen Verpackungsindustrie bisher wohl einzigartig. Ergebnis der Kooperation mit Bayer Healthcare sei, so Dörstelmann, eine Art Wackelbild, das Fälscher nicht nachmachen können. „Wir kombinieren Druck- und Prägetechnik und nutzen UV-Sicherheitsfarben.“
Die EU fordert von der Pharmaindustrie für mehr Patientensicherheit aber einen weiteren Schritt. Industriekommissar Günter Verheugen kündigte für 2011 ein einheitliches Vorgehen auf EU-Ebene im Kampf gegen Arzneifälschungen an. 2008 hatte die Kommission vorgeschlagen, dass Medikamentenpackungen mit einem Sicherheitszeichen geschützt und ihr Weg künftig von der Theke bis in die Fabrik zurückverfolgt werden soll. Die WHO macht sich ebenfalls für die fälschungssichere Kennzeichnung stark. Die Pharmahersteller regen deshalb einen elektronischen Herkunftsnachweis in Form eines Track-and-Trace-Systems an, mithilfe dessen sich die Lieferkette lückenlos einsehen lässt.
Um Kodierungs- und Identifikationslösungen demonstrativ zu testen, startete der europäische Verband der Pharmazeutischen Industrie (EFPIA) in Schweden im September 2009 ein Pilotvorhaben. Für einige Wochen wurden Medikamentenpackungen für 25 Apotheken in der Stockholm-Region mit einem zweidimensionalen Datamatrix-Code versehen. Darin können mehr Informationen als in einem einfachen Strichcode hinterlegt werden. Im schwedischen Projekt enthielt er neben der Artikelnummer auch eine Chargenummer, das Verfallsdatum und die Seriennummer. Die Apotheker lasen den Code mit einem Scanner aus und glichen ihn direkt mit einem Datenbankeintrag ab. Die Kontrolle dauert wenige Sekunden, sodass Fälschungen sofort auffliegen. Erst nach dem Sicherheitscheck bekam der Kunde seine Medikamente. Rund 100.000 Arzneipackungen wurden nach diesem System geprüft – mit großem Erfolg, berichtet EFPIA.
Herkunftscheck per Scanner
Experten rechnen daher fest damit, dass Track and Trace schon bald in ganz Europa umgesetzt wird. Die Maschinen- und Anlagenbauer wären für eine Umstellung bestens gerüstet. Die Optima Group Pharma aus Schwäbisch Hall beispielsweise, spezialisiert auf die Abfüllung und das Verschließen von Spritzen und Ampullen, bietet bereits auf den Kundenwunsch abgestimmte Track-and-Trace-Lösungen für Pharmahersteller an. „Fertigspritzen werden in speziellen Spritzennestern in Kunststoffboxen, sogenannten Tubs, gelagert und transportiert. Unsere Maschinen kennzeichnen die Behältnisse, sodass sie jederzeit zurückverfolgt werden können“, erklärt Firmensprecher Henning Felix.
Auch Bosch Packaging Technology, das für die Pharmaindustrie Füll-, Prozess- und Verpackungstechnik anbietet, hat Maschinen zur Kennzeichnung und Rückverfolgung im Portfolio. Die Funktion der Beschriftungsmodule erklärt Bosch-Produktmanager Daniel Sanwald so: Über ein Bandsystem werden bis zu 400 Faltschachteln pro Minute mit hoher Geschwindigkeit durch einen Drucker geleitet, der den Datamatrix-Code mit Herstellernummer, Verfallsdatum und Seriennummer aufdruckt. Anschließend prüft und verifiziert eine Kamera den Code. Gespeichert werden die Daten schließlich in einem riesigen zentralen Server, von wo sie stets abgerufen werden können. Taucht in einer Apotheke ein Produkt auf, das sich so nicht klar identifizieren lässt, muss es gefälscht sein. „Wenn Track and Trace Pflicht wird, müssen tausende Linien umgerüstet werden. Wir sehen für unsere Technik enormes Marktpotenzial“, sagt Sanwald. Zur Interpack 2011 werden die Maschinen- und Anlagenbauer vom 12. bis 18. Mai ihre Track-and-Trace-Lösungen präsentieren.
Auch qualitätsorientierte Packmittelproduzenten wären bei einer Sicherheitsoffensive der Pharmahersteller stärker gefragt. Um in der Krise Kosten zu sparen, haben viele Firmen für ihre Medikamente Verpackungen und Verpackungskomponenten in China gekauft. Nachteil: Diese Produkte sind oft von schlechterer Qualität, was zum Beispiel bei Dosiersprays, Kathetern oder Pumpen zur Folge haben kann, dass sie nicht richtig funktionieren oder schneller kaputt gehen. „Wer Patientenschutz groß schreibt und ein klares Zeichen für Qualität setzen will, wird solche Produkte künftig nicht mehr verwenden“, sagt Peter Rösch, Vertriebsleiter des Zerstäuberpumpenherstellers Aero Pump aus Hochheim am Main. Für Qualitätsprodukte seines Hauses sieht er indes einen großen Markt: „Wir legen viel Wert auf Maßhaltigkeit und Präzision und investieren kräftig in Qualitätssicherung und Innovationen“, sagt Rösch. Auch Aero Pump wird seine Neuheiten zur interpack vorstellen.
Ein Arzneimittel mit Sicherheitsmerkmal, Code und Qualitätsverpackung dürfte Pharmafälscher nicht mehr reizen. Doch der Weg zu maximalem Patientenschutz ist noch hürdenreich. Für das Umrüsten der Verpackungslinien sind enorme Investitionen notwendig. Das könnte die Pharmafirmen an schnellem Handeln hindern. Offen ist auch, wie und wo die ganzen Daten bei einem europaweiten Track and Trace gespeichert werden sollen. Wird es mehrere dezentrale Server oder ein zentrales System geben? „Dann muss einer der Owner sein. Das wirft die schwierige Frage auf: Wer vertraut wem?“, so Bosch-Manager Sanwald.
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