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Digitale Fingerabdrücke von Flüssigkeiten in wenigen Minuten
Andreas Wolf revolutioniert die chemische Analytik

Egal ob Medikamente, Kosmetika oder Bier. Mithilfe von Mittelinfrarotspektroskopie lassen sich digitale Fingerabdrücke von Flüssigkeiten erstellen und damit auch Fälschungen aufdecken. Andreas Wolf revolutioniert auf diese Weise seit 2001 die chemische Analytik. Dazu gründete er gemeinsam mit Ralf Masuch und Dr. Robert Seidel die Firma micro-biolytics GmbH, die inzwischen unter dem Namen Clade firmiert.

Herr Wolf, als studierter Chemiker haben Sie sich schon früh auf den Bereich Biochemie und IR-Spektroskopie spezialisiert. Mithilfe der Mittelinfrarotspektroskopie haben Sie schließlich einen Weg gefunden, die Zusammensetzung von Flüssigkeiten innerhalb von wenigen Minuten zu digitalisieren und so einen sogenannten digitalen Fingerabdruck der Flüssigkeiten zu erzeugen. Wie kann ich mir das vorstellen?

Andreas Wolf: Nehmen wir meine Kaffeetasse. Ich möchte den Koffeingehalt des Getränks bestimmen. Also nehme ich meinen Kaffee und bringe ihn in ein Labor. Dort wird eine Probe entnommen und für die Analyse vorbereitet. Die Bestimmung – beispielsweise mittels HPLC – ist aufwendig und zeitintensiv und kann nur von Fachpersonal durchgeführt werden. Nach einer Stunde, die die Chromatografie inklusive Probenvorbereitung mindestens benötigt, ist mein Kaffee kalt, aber ich kenne seinen Koffeingehalt. Zurück zu Hause fällt mir ein, dass ich gerne auch die Zuckerkonzentration wissen würde. Also gehe ich zurück ins analytische Institut und lasse nach einer erneuten Probenahme vom Kaffee den Zuckergehalt, sprich Saccharose, bestimmen. Das Labor würde hierfür eine andere HPLC-Methode wählen und die Konzentration des gesuchten Zuckers herausfinden. Ich wüsste aber nicht, ob noch weitere Zucker enthalten sind, denn bei der klassischen Analytik im Labor muss ich immer im Vorfeld entscheiden, was ich bestimmen lassen will.

Würden wir zur Analyse meines Kaffees direkt unsere digitale Lösung nutzen, wäre die Analyse mit einer einzigen Probenahme in vier Minuten fertig. Wir würden eine digitale Aufnahme, quasi ein „Foto“, machen, das einem digitalen Fingerabdruck aller Inhaltsstoffe entspricht. Aus dem gewonnenen Datenpaket könnten wir im Anschluss alle bekannten Inhaltsstoffe, sowohl qualitativ als auch quantitativ, über zuvor entwickelte Algorithmen ermitteln. Mein Kaffee wäre nach dieser kurzen Zeit noch warm und wir wüssten genau, was sich in meiner Tasse befindet. Würde mir am Nachmittag eine interessante Fragestellung zu meinem Morgenkaffee einfallen, den ich ja längst getrunken habe, könnte ich jederzeit erneut einen Blick auf die digitalisierte Probe werfen.

Welche analytische Methode nutzen Sie, um diese Aufnahmen zu machen und welche Stoffe können Sie damit ermitteln?

Wolf: Wir arbeiten mit einem von uns entwickelten speziellen Analyzer (Mira Analyzer), der ein Mid-IR-Spektrometer enthält. Damit können wir wässrige Lösungen, homogener Systeme analysieren, ohne dass die zu untersuchenden Proben zuvor aufwendig vorbereitet oder aufgereinigt werden müssten. Wir können alle organischen und anorganischen Stoffe messen, die eine kovalente Bindung aufweisen. Einzige Voraussetzung an die Proben, sie dürfen keine Partikel enthalten, die größer als 2 μm sind, da diese die Schichtdicke unserer Küvetten übersteigen würde. Deshalb werden sie vor der Analyse aus den Proben herausgefiltert. Die Handhabung unserer Geräte ist quasi so einfach wie Fotografieren. Die digitalen Aufnahmen können schnell, exakt und vor allem reproduzierbar von angelerntem Personal durchgeführt werden.

Erfolgt die Auswertung der ermittelten Daten anschließend mithilfe künstlicher Intelligenz?

Wolf: Nach der Digitalisierung der Proben können wir Analysetools über die Datenpakete laufen lassen und die einzelnen Inhaltsstoffe – sofern der Algorithmus dafür trainiert wurde – werden erkannt und quantifiziert. Um große Datenvolumina zu analysieren, werden große Rechenkapazitäten, wie sie auch Grundlage von Deep-Learning-Lösungen und KI-Computing sind, benötigt. Unsere Anwendung zur Datenanalyse ist insofern eine künstliche Intelligenz, als dass sie auf Expertensystemen (eine Untergruppe der KI) beruhen, welche unsere langjährige Erfahrung zusammen mit trainierten Modellen in einem quasi intelligenten Algorithmus vereinen. Dies ist für unsere Kunden sehr wichtig, da ihre Auswertungen nicht in einer Black Box erfolgen. Mit unserer Lösung ist jederzeit nachvollziehbar, warum die KI zum entsprechenden Ergebnis gekommen ist. Auch bei einer wiederholten Auswertung des gleichen Datenpakets liefert unsere Lösung das identische Ergebnis.

Wie ist es um die Datensicherheit bestellt?

Wolf: Mit unserer Analyselösung kann die Digitalisierung der Proben von der Auswertung der Daten getrennt erfolgen. So kann beispielsweise ein Lohnhersteller mithilfe des Clade Mira Analyzers einen digitalen Fingerabdruck der beauftragten Formulierun erstellen unddiesen als digitales Datenpaket an den Auftraggeber senden. Die Datensätze sind pro Probe kleiner als 1 MB. Die Auswertung der übermittelten Daten und die Qualitätsüberprüfung erfolgen dann beim Auftraggeber mit dem eigenen Algorithmus, ohne dass der Lieferant erfahren muss, wie und was genau getestet wird. Eine Manipulation der Ergebnisse ist dadurch schlichtweg unmöglich. Auch Screenings der vom Lieferanten eingesetzten Rohstoffchargen können mit der gleichen Vorgehensweise erfolgen und so die komplette Lieferkette des Produkts überwacht werden. Die Produktdaten sind sicher. Die übermittelten Informationen liegen entweder direkt beim Auftraggeber oder verschlüsselt in unserer Cloud und können von außen, selbst wenn sie auf irgendeine Art und Weise abgegriffen würden, nicht ausgewertet werden.

Sie haben gerade die Qualitätssicherung und Rohstoffkontrolle erwähnt. Welche Möglichkeiten der Qualitätssicherung ergeben sich durch Ihr digitalisiertes Prüfverfahren?

Wolf: Wir können beispielsweise Verunreinigungen in Rohstoffchargen erkennen oder wir können evaluieren, ob Makromoleküle aus Naturstoffen Ihren Qualitätsanforderungen entsprechen. Die Fingerprints der einzelnen Muster sind einzigartig. Deshalb können sie in vielen Fällen eindeutig einzelnen Batches zugeordnet werden. Wir können mit unserer Analysemethode das Verständnis der Herstellprozesse erhöhen und deren Überwachung deutlich verbessern. Wir erfahren mehr über die Prozesse, die momentan beispielsweise im Bioreaktor ablaufen. Bislang war es nicht in dieser Komplexität möglich zu analysieren, was aktuell beziehungsweise vor vier Minuten – so lange dauert es, einen digitalen Fingerabdruck einer Probe zu erstellen – im Reaktor passierte. Stattdessen erhielten wir aus dem Labor erst etliche Stunden oder gar Tage später ausreichende Informationen über den Status quo im Fermenter zum Zeitpunkt der Probenentnahme. Dies war viel zu spät, um rechtzeitig regulierend in den Prozess einzugreifen.

Welchen Nutzen versprechen Sie sich von der Digitalisierung der Analytik?

Wolf: Die Digitalisierung in der Analytik versetzt uns in die Lage, Produktionen zurück nach Deutschland zu holen. Durch die verbesserte Prozesskontrolle sind wir in der Lage günstiger und gleichzeitig sicherer zu produzieren. Ohne die Weiterentwicklung der Computertechnologie wäre dies natürlich nicht möglich gewesen. Wir können die anfallenden Big Data nur dank höherer Rechenleistungen und KI auswerten. Andererseits ermöglicht uns die Digitalisierung auch ein höheres Maß an Automatisierung. In der Folge können wir unsere Effizienz steigern und die Personalkosten senken. Jedoch benötigen wir als Grundlage dringend die schnellere Digitalisierung Deutschlands und unserer Unternehmen.

Wenn durch die Digitalisierung weniger Personal benötigt wird und damit weniger Einkommenssteuer bezahlt wird , wie werden wir unsere Infrastruktur finanzieren? Wie sieht Ihre Vision dahingehend aus?

Wolf: Die digitale Transformation, insbesondere durch den Einfluss von künstlicher Intelligenz und Automatisierung, wird zweifellos gravierende Veränderungen in der Arbeitswelt mit sich bringen. Wie Sie richtig bemerken, könnte dies die staatlichen Steuereinnahmen beeinflussen, da traditionelle Arbeitsplätze wegfallen. Doch diese Veränderungen bieten auch neue Möglichkeiten. Lassen Sie mich das näher erläutern: In einer Zeit in der KI und Automatisierung immer mehr Arbeitsplätze transformieren oder gar ersetzen, stehen wir vor einem paradigmatischen Wandel ähnlich dem, der durch die Industrialisierung initialisiert wurde. Es ist wahrscheinlich, dass diese Veränderungen eine Neustrukturierung unseres Einkommenssystems erforderlich machen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Aber anstatt dieser Zukunft mit Skepsis zu begegnen, sollten wir sie als Gelegenheit sehen, unsere Systeme neu zu gestalten und zu optimieren.

Wie würde so ein neues System Ihrer Meinung nach für Deutschland aussehen?

Wolf: Länder wie Deutschland, die wirtschaftlich fortgeschritten, aber nicht überbevölkert sind, könnten in dieser neuen Ära besonders profitieren. Denn während viele industrielle Sektoren bald weniger menschliche Arbeitskraft benötigen, eröffnen sich gleichzeitig neue Einnahmequellen. Ich stelle mir vor, dass in absehbarer Zeit (wir sprechen hier in einer Zeitspanne von 8 bis 15 Jahren) Technologie-Entitäten wie KI-Systeme, Computer und Serverfarmen besteuert werden könnten. Durch diese zusätzlichen Einnahmen könnte man beispielsweise ein Grundeinkommen einführen, das Bürger finanziell unterstützt, die in einer von Digitalisierung geprägten Welt weniger traditionelle Arbeitsstunden leisten und entsprechend für ihre Arbeit weniger Geld erhalten würden. Gleichzeitig hätten die Menschen jedoch mehr Freizeit und könnten ihr Grundeinkommen an dieser Stelle ausgeben.

Und welche Vorteile würden sich dem Produktionsstandort Deutschland dadurch eröffnen?

Wolf: Ein solches Modell würde Deutschland einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, da weniger Menschen durch die Digitalisierung finanziert werden müssten als in bevölkerungsreichen Ländern wie zum Beispiel China. Die Kosten für die Digitalisierung und Automatisierung könnten somit in Deutschland deutlich niedriger sein wie in bevölkerungsreichen Ländern. Die geopolitische Landschaft der Produktion könnte sich dadurch ebenfalls verändern. Anstatt in Ländern mit niedrigen Löhnen zu produzieren, könnten Unternehmen danach streben, dort zu produzieren, wo die Kosten der Digitalisierung und Automatisierung am niedrigsten sind.

Zusammengefasst steckt in der digitalen Revolution ein enormes Potenzial. Es liegt in unserer Hand, innovative Strategien und politische Rahmenbedingungen zu schaffen, die nicht nur dem Einzelnen, sondern der gesamten Gesellschaft zugutekommen. Die rasante Entwicklung der Digitalisierung bietet uns eine einmalige Chance. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir jetzt handeln, um den Fortschritt zu nutzen und nicht von visionären Akteuren aus anderen Ländern überholt zu werden.


Autorin: Jasmin Qaud-Taher

freie Fachjournalistin für prozesstechnik-online.de

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