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Die Biotechnologie ist für Thomas Schulz die Zukunft

Die Biologisierung von Prozessen braucht Verbundstandorte wie in der Chemieindustrie
Die Biotechnologie ist für Thomas Schulz die Zukunft

Thomas Schulz hat an der Universtität Kaiserslautern-Landau ein Diplom in Wirtschaftsingenieurwesen erworben. In seinem Studium hat er sich auf den Maschinenbau spezialisiert. Nach beruflichen Zwischenstationen im Anlagen- und Fahrzeugbau hat er sich vor mehr als zwei Jahrzehnten der Prozesstechnik verschrieben. Momentan befasst er sich bei Festo intensiv mit der Biologisierung von Prozessen.

Herr Schulz, Sie haben sich seit längerem der Prozesstechnik verschrieben. Was finden Sie an diesem Themengebiet so spannend?

Thomas Schulz: In meinen Augen müsste sich die Prozesstechnik viel besser verkaufen und faszinierender präsentieren, damit sich mehr junge, ideenreiche Nachwuchstalente in diesem Bereich engagieren und Forschung und Entwicklung in diesem Bereich rascher vorangetrieben werden. Ich persönlich finde die Prozesstechnik vor allem deshalb interessant, weil sich sehr viele Alltagsprodukte und Erzeugnisse aus wenigen Rohstoffen herstellen lassen. Ich denke, Verbrauchern ist heutzutage in den wenigsten Fälle bewusst, wie spannend der Herstellungsprozess der Erzeugnisse ist, die im Regal stehen.

Ihr Spezialgebiet ist die Biologisierung. Werden biotechnologische Prozesse bald die klassische Chemie ablösen?

Schulz: Ganz so krass würde ich es nicht ausdrücken, aber ja, ich denke, dass biotechnologische Alternativen viele klassische chemische Methoden ersetzen werden. Verfahren, die bislang auf fossilen Rohstoffen basierten, werden bald von umweltgerechten Prozessen abgelöst werden. Mikroorganismen und Enzyme werden auf nachhaltige Weise aus nachwachsenden Ressourcen Produkte herstellen, die bislang unter hohem Einsatz von Energie und Materialien künstlich synthetisiert wurden.

Können Sie uns einige Beispiele für solch zukunftsweisende biotechnologische Prozesse nennen?

Schulz: Die ältesten biotechnologischen Prozesse setzen wir Menschen seit Jahrtausenden zur Herstellung von Brot, Bier und Wein ein. Hierfür wurden beziehungsweise werden nach wie vor Hefekulturen verwendet. In der Pharmaindustrie ist die Biotechnologie für die Produktion bereits fest zur Herstellung von Biopharmazeutika – im Gegensatz zu Small Molecules – etabliert. Viele APIs (Active Pharmaceutical Ingredients) lassen sich heute auf biotechnologischem Wege synthetisieren. Es werden jedoch auch viele neue Wege beschritten. Wir, die Firma Festo, sind unter anderem in der Innovationsallianz Funktionsoptimierte Biotenside aktiv, deren Ziel es ist, nachhaltige Alternativen zu chemisch synthetisierten Tensiden auf Basis fossiler Rohstoffe voranzubringen. Gemeinsam mit unseren Partnern – Hochschulen, Forschungseinrichtungen und anderen renommierten Firmen – arbeiten wir auf das Ziel hin, biobasierte Tenside für die unterschiedlichsten Anwendungszwecke und die verschiedensten Anforderungsprofile zu entwickeln und die Produktion kostengünstig zu automatisieren: zum Beispiel nicht-schäumende Biotenside für den Einsatz im Geschirrspüler oder auch stark schäumende oberflächenaktive Substanzen für Shampoos.

Was ist die größte Herausforderung bei der Implementierung dieser neuen Biotech-Prozesse?

Schulz: Die gängigen chemischen Prozesse – viele davon basieren auf Petrochemie – sind gut eingeführt und verfahrenstechnisch optimiert. Es fallen in der Produktion nur in geringem Maße stoffliche Abfälle an. Die meisten Zwischenprodukte werden als Ausgangsstoffe in anderen Prozessen eingesetzt. Die Verfahren können – sieht man einmal von den derzeit steigenden Energiekosten ab – relativ günstig durchgeführt werden. Die Abläufe in der chemischen Produktion sind hinreichend bekannt und können optimal gesteuert werden. Im Gegensatz dazu sind viele biotechnologische Prozesse noch nicht umfassend erforscht und die Abläufe in den Fermentern in der Pharma-, Lebensmittel- und kosmetischen Industrie nicht vollständig bekannt.

Und abgesehen davon?

Schulz: Da die biotechnologische Produktion sich an der Vorreiterindustrie – in diesem Fall der Pharmaindustrie – orientiert, gelten aktuell an vielen Stellen die pharmazeutischen Standards. Und jeder, der sich in der Pharmabranche auskennt, weiß wie unglaublich hoch die Anforderungen hier sind, und dass dies die Kosten im Anlagenbau und der Produktion extrem in die Höhe treibt. Ein Ziel bei der Biologisierung von Prozessen muss also die Senkung der Anlagen-, Prozess- und Produktionskosten sein. Außerdem müssen Wege gefunden werden, wie anfallende Nebenprodukte aus der Biotechnologie optimal weiterverwertet werden können. Wir brauchen deshalb biotechnologische Verbundstandorte, wie dies in der chemischen Industrie üblich ist.

Was wäre denn so ein Beispiel für die Weiterverwertung anfallender Nebenprodukte?

Schulz: Ein gutes Beispiel ist Insektenprotein. Insekten werden unter anderem kultiviert, um Eiweiß für verschiedene Anwendungen zu gewinnen. Dabei fallen neben den Proteinen auch Fette und Chitin an. Man könnte das abgepresste Fett beispielsweise zur Biodieselproduktion einsetzen oder aber zur Herstellung der oben erwähnten Biotenside. Dies ist bislang jedoch keine gängige Praxis und die entsprechenden Prozesse sind in der Industrie noch nicht implementiert.

Thomas Matheis schürft Rohstoffe auf den Mülldeponien dieser Welt

Sie haben die Standards und Vorgaben der Regulierungsbehörden angesprochen. Beispielsweise die Novel-Food-Verordnung, die vorgibt, dass neuartige Lebensmittel einer gesundheitlichen Bewertung unterzogen werden müssen, bevor sie in Verkehr gebracht werden dürfen. Außerdem greifen an manchen Stellen noch andere Standards beispielsweise aus der Pharmabranche, weil es noch keine anderen Vorgaben gibt.

Schulz: Wir wissen noch nicht, welche Richtlinien angewandt werden und ab welchem Zeitpunkt die Prozesse den entsprechenden Standards genügen müssen. Es ist beispielsweise möglich, Omega-3-Fettsäuren aus Algenöl statt aus Fisch zu gewinnen. Jedoch ist nicht festgelegt, ab wann der Prozess den bestehenden Lebensmittelstandards entsprechen muss. Soll bereits die Produktion der Algen selbst, die das Algenöl herstellen, den Maßnahmen und Konzepten für die Lebensmittelherstellung entsprechen oder ist dies erst bei der eigentlichen Aufbereitung des Öls sinnvoll? Hier müssen die Regulierungsbehörden möglichst schnell praktikable Lösungen finden.

Viele biotechnologische Verfahren sind ökonomisch noch nicht konkurrenzfähig. Ein großer Teil der Bioreaktoren und Fermentern, die auf dem Markt angeboten werden, entsprechen den Anforderungsprofilen der pharmazeutischen Industrie. Auf welche Lösungen setzen Sie bei Festo, um kostengünstigere Wege zur Biologisierung zu finden?

Schulz: Ein Massendurchflussregler für den Einsatz in der pharmazeutischen Produktion kostet bis zu viermal so viel, wie ein Mass-Flow-Controller für die Gasregelung in nicht-pharmazeutischen Prozessen. Das liegt nicht daran, dass sich das Bauteil für den Pharmabereich technisch wesentlich unterscheidet, sondern vielmehr an der Tatsache, dass die Anforderungen hoch und der Aufwand für Zertifikate, Audits und das Qualitätsmanagement sehr kostenintensiv sind. Jedenfalls ist unser Anspruch bei Festo, Lösungen aus der Factory Automation für die Biotechnologie zu finden, die zum einen günstig sind, zum anderen jedoch guten Qualitätsstandards entsprechen und eine hohe Lebensdauer aufweisen. Wir sind eben ein zukunftsorientiertes Unternehmen.

Apropos Zukunft: Die Biologisierung ist Ihrer Meinung nach also die Technologie der Zukunft?

Schulz: Ja, ich denke die Biotechnologie wird in der Chemie als auch in der Nahrungsmittelindustrie Marktanteile übernehmen. Die Biologisierung ist in meinen Augen ein wichtiger Lösungsansatz, um die Erde auch bei wachsender Weltbevölkerung lebenswert zu erhalten. Auch Circular Economy ist nicht länger ein „nice to have“. Vielmehr ist es essenziell, dass wir statt immer frische Rohstoffe zu nutzen, benutzte Stoffe wiederverwerten.

Und weshalb ist es genau jetzt an der Zeit für die Biologisierung?

Schulz: Weil wir jetzt endlich die notwendigen IT-Kapazitäten haben, um den Weg zu gehen. Erinnern Sie sich an das Humangenomprojekt? Das Ziel war, das Genom des Menschen vollständig zu entschlüsseln. Das internationale Forschungsvorhaben startete im Jahr 1990 und verschlang viele Milliarden. Erst seit Mai 2021 gilt das menschliche Genom mit seinen knapp 20.000 Genen als vollständig entschlüsselt. Heute, über 30 Jahre nach dem Startschuss des Projekts, sind wir in der Lage, den Gencode eines Mikroorganismus mit einer Vielzahl an Basenpaaren zu überschaubaren Kosten innerhalb von Stunden zu sequenzieren. Einer der Gründe dafür ist, dass wir inzwischen über enorme IT-Rechenleistung verfügen und von KI-Systemen unterstützt werden. Diese KI-Lösungen werden uns in der Zukunft auch bei der Kontrolle und Steuerung der Prozesse in unseren Bioreaktoren unterstützen. Denn bisher arbeiten wir in der Biotechnologie noch häufig nach dem Trial-und-Error-Prinzip.

Kurzprofil Thomas Schulz

Thomas Schulz ist seit über 20 Jahren in der Prozessindustrie tätig. Der studierte Wirtschaftsingenieur verantwortet beim Automatisierungsspezialisten Festo in Esslingen als Industriesegment Manager das Business Development für den Bereich Biotech, Pharmaindustrie und Kosmetik.

Vita Thomas Schulz

Autorin: Jasmin Qaud-Taher, freie Fachjournalistin für prozesstechnik-online.de

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