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Künstliche Intelligenz kann helfen

Künstliche Intelligenz kann helfen
Zwischen Hype und Sicherheit

Was ist Intelligenz? Eine einfache Frage, aber schwer zu beantworten. Gleiches gilt für die Frage: Was ist künstliche Intelligenz? Auch hier gibt es keine klare Definition. Wir haben uns deshalb mit Prof. Dr.-Ing. Nicolaj Stache vom Zentrum für maschinelles Lernen der Hochschule Heilbronn (hs-heilbronn.de/zml) unterhalten, um diese Frage zu klären und Vorteile der künstlichen Intelligenz für die Prozessindustrie zu eruieren.

Herr Prof. Stache, wer sich in die Materie zur künstlichen Intelligenz einliest, stolpert bereits bei der Definition. Hier sind sich selbst die Experten uneins. Da ist die Rede von Deep learning, Machine learning, aber auch Mustererkennung und Musteranalyse. Was sind das für Methoden?

Prof. Stache: Ich kann die Verwirrung zum Thema Künstliche Intelligenz durchaus verstehen, da hier verschiedene Begriffe im Umlauf sind und nicht immer richtig verwendet werden. Fangen wir mit dem Machine learning an. Hierbei zieht eine Maschine, in diesem Fall ein Computer, Schlussfolgerungen aus vorhandenen Daten. D. h., der Computer wertet die Daten aus und reagiert selbstständig darauf, ohne dass er explizit durch If- und Else-Anweisungen programmiert wurde. Das Machine learning lässt sich aber noch weiter treiben, indem man für die Auswertung der Daten ein tiefes, vielschichtiges neuronales Netz einsetzt. In diesem Fall spricht man von Deep learning, das ist demzufolge eine Unterkategorie des Machine learnings. Darüber hinaus gibt es noch weitere Bereiche der künstlichen Intelligenz wie die Mustererkennung. Hierbei versucht eine Maschine in Daten bestimmte Muster zu erkennen und auf diese Muster automatisch zu reagieren. Dies ist dann ein Anwendungsfall von Machine learning. Diese ganzen Prozeduren fallen typischerweise unter den Begriff der künstlichen Intelligenz.

Vor Kurzem wurde ein Blindenstock mit KI vorgestellt, der mithilfe von Straßenbildern wie Zebrastreifen, Ampeln, Eingangstüren und vielem mehr trainiert wurde. Der Stock sagt dem Blinden im Einsatz, vor welchem Hindernis er sich gerade befindet. Sicher kein alltägliches Einsatzbeispiel, doch der Einsatz von KI scheint grenzenlos zu sein. Was lässt sich mit KI heute alles realisieren und was nicht?

Stache: Wenn Sie daran denken, wie selbstverständlich wir heute ein Übersetzungsprogramm nutzen, um deutschen Text ins Englische oder andere Sprachen zu übersetzen, und wenn Sie dann überlegen, wie die Qualität vor 10 Jahren war und wie sie heute ist, dann müssen Sie zugeben, da hat sich einiges getan. Die Qualität ist mittlerweile so gut, dass man den übersetzten Text tatsächlich verwenden kann. Bei diesem Prozess spielt künstliche Intelligenz eine sehr große Rolle. Nehmen wir beispielsweise den Text dieses Interviews. Eine KI übersetzt das ganze Interview in Sekunden. Oder nehmen Sie die Dokumentation eines Medikamentes, das Sie in einem anderen Land zulassen möchten. Mit einem Übersetzungsprogramm auf KI-Basis haben Sie in kürzester Zeit einen brauchbaren Entwurf.

Gibt es weitere Anwendungen?

Stache: Die gleiche Technik haben wir auch in unseren Smartphones implementiert, wenn es darum geht, Sprache zu erkennen, auszuwerten und darauf zu reagieren. Von daher ist die künstliche Intelligenz im Alltag angekommen. Sie wird aber weiter Fahrt aufnehmen, wenn es beispielsweise darum geht, sich im Internet hinsichtlich bestimmter Krankheitssymptome zu informieren und inwieweit diese einer bestimmten Krankheit entsprechen. Es gibt viele Beispiele für künstliche Intelligenz, darunter allerdings durchaus auch einige Anwendungen, die nicht als ganz ernsthaft anzusehen sind.

Was wäre das zum Beispiel?

Stache: Ein gutes Beispiel wäre hier die Bildbearbeitung. Sie könnten mir zum Beispiel auf mein Bild einen Bart malen und durch ein neuronales Netz jagen. Das Ergebnis wäre von einem echten Bart nicht zu unterscheiden. Der Nutzen dieses Beispiels ist vielleicht nicht unbedingt groß, unterstreicht aber die Leistungsfähigkeit von künstlicher Intelligenz, in diesem Fall von tiefen neuronalen Netzen.

Ein anderes Beispiel wäre wohl auch das autonome Fahren, oder?

Stache: Ja, das stimmt. Ich sehe künstliche Intelligenz als Schlüssel für das autonome Fahren. Hier geht es vor allem darum, komplexe Verkehrssituationen zu verstehen, deren Verlauf vorhersagen zu können und dann die richtige Entscheidung zu treffen. Genau diese Komplexität ist sehr schwer auf andere Weise zu modellieren.

Laut einer Studie von Bitkom Research stehen nur vier von zehn Unternehmen der Chemie- und Pharmabranche dem Einsatz von künstlicher Intelligenz aufgeschlossen gegenüber. Lediglich 14 % der befragten Unternehmen setzen überhaupt KI-basierte Anwendungen ein. Überraschen Sie diese Zahlen?

Stache: Diese Zahlen klingen für mich so, als wäre hier noch einiges an Potenzial zu heben. Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass sich ein sicherheitskritischer Prozess, wie er typischerweise in der chemischen Industrie vorkommt, nicht mal so eben durch einen neuen ersetzt lässt. Grundsätzlich kann künstliche Intelligenz an der einen oder anderen Stelle hilfreich sein. Die Frage ist immer nur, wie man das Ganze absichert. Um ein tragfähiges Sicherheitskonzept zu erstellen, benötigt man viel Knowhow. Und zwar nicht nur auf Seiten des Prozesses, sondern auch auf der Seite der künstlichen Intelligenz. Beides muss man zusammenbringen. Hier sind wir als Hochschule Heilbronn mit unserem Zentrum für maschinelles Lernen mit Beratungen aktiv. Letztendlich muss man aber genau hinschauen, was die Vorteile durch künstliche Intelligenz für eine bestimmte Anwendung sind.

Sie haben das Thema Sicherheit erwähnt. Ist es auch das Thema Kontrolle zu haben über einen Prozess? KI ist ja für viele eine Black Box, in der man nicht genau weiß, was vor sich geht.

Stache: In der Tat ist das ein Thema, das der künstlichen Intelligenz gerne vorgeworfen wird. Bei sehr komplexen Problemstellungen und bestimmten Ansätzen ist das sicherlich auch nicht unberechtigt. Auf der anderen Seite müssen Sie sich sowieso überlegen, wie denn ein Sicherheitskonzept aussehen soll. Auch ein klassischer Programmierer ist nicht 100 Prozent fehlerfrei. Wenn Sie über KI die Performance hinsichtlich der Genauigkeit des Verfahrens im Gegensatz zur klassischen Programmierung aber um den Faktor 10 steigern können, dann stellt sich wirklich die Frage, ob man nicht diesen Weg gehen sollte.

Wo sehen Sie besonders in der chemischen und pharmazeutischen Industrie aber auch in der Lebensmittelindustrie Einsatzmöglichkeiten für KI?

Antwort: Eine Anwendung von KI wäre z. B. die optimale Parametrierung von Maschinen- und Anlagen (Prometheus-Demonstrator von AZO siehe Seite 48). Aber auch andere Einsatzmöglichkeiten von der Überwachung von Rohstoffqualitäten bis hin zu Predictive Maintenance und der Anomalie-Erkennung in der Produktion sind denkbar. Außerhalb der Produktion gibt es Anwendungen, beispielsweise in der Produktentwicklung, wenn es um die Frage geht: “Wann ist welches Produkt wie nachgefragt?“ Auch hier kann KI helfen.

Herr Prof. Stache, lassen Sie uns zum Schluss einen Blick in die Zukunft werfen. Werden sich die düsteren Prognosen vieler Scifi-Autoren erfüllen, wonach KI die Menschheit unterjocht. Oder wird das positive Bild vom netten Androiden Data aus dem Startreck-Universum überwiegen?

Stache: Ich sehe KI als technischen Fortschritt. Es liegt an uns, was wir aus dieser Technologie machen oder eben nicht daraus machen. Die Gefahr, die ich sehe, ist nicht die Monstermaschine, die die Welt beherrscht. Die Probleme, die eine künstliche Intelligenz mit sich bringt, sind viel subtiler. Stellen Sie sich vor, eine Regierung nutzt KI und diese würde behaupten, eine bestimmte Person sei ein Terrorist. Falls diese Behauptung von den Behörden nicht mehr hinterfragt wird, hat diese Person ein echtes Problem. Das blinde Vertrauen und das wenige Hinterfragen einer KI ist ein Punkt, der mir Sorgen bereitet. Denn die Qualität der Entscheidung einer KI hängt sehr stark davon ab, welchen Ansatz man gewählt hat und welche Daten hineingeflossen sind. Nur weil ein Ergebnis durch KI produziert wurde, muss es nicht zwangsläufig gut sein. Das muss man eben bedenken. Aufgrund des aktuellen Hypes um künstliche Intelligenz wird dieser Aspekt vielleicht zu wenig gesehen.

Hochschule Heilbronn, Zentrum für maschinelles Lernen


Das Interview führte für Sie: Dr. Bernd Rademacher

Redakteur

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