Startseite » Food »

Interdisziplinäres Denken ist gefragt

Wie Industrie 4.0 die Aus- und Weiterbildung beeinflusst
Interdisziplinäres Denken ist gefragt

Das Thema Industrie 4.0 ist in aller Munde – auch in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Doch wie muss die Aus- und Weiterbildung aussehen, um die Mitarbeiter auf dieses Zukunftsthema vorzubereiten? dei sprach darüber mit Axel Graefe, dem Leiter des KIN-Lebensmittelinstituts, und Eberhard Klotz, Head of Industry 4.0 campaign der Festo AG & Co. KG.

Herr Graefe, hat die Lebensmittel- und Getränkeindustrie das Thema Industrie 4.0 verschlafen?

Axel Graefe: Nein. Bei den Großen ist das Thema längst auf der Agenda. Im Mittelstand ist es aber erst jetzt so richtig angekommen. Oft fehlen in den kleinen und mittelständischen Unternehmen die personellen und finanziellen Ressourcen, um dieses weichenstellende Zukunftsprojekt anzugehen. Was sicherlich auch noch ein Hemmschuh ist: Viele der Begrifflichkeiten, angefangen von „cyberphysikalische Prozesse“, „augmented reality“ oder „Internet of things“ sind für viele nicht greifbar und auch im Kontext Lebensmittelproduktion nur schwer übertragbar. Das KIN sieht es als seine Aufgabe, hier für mehr Klarheit zu sorgen.
Herr Klotz, was ist der „Kern“ von Industrie 4.0?
Eberhard Klotz: Die Produktionssteuerung wird sich komplett ändern: Dank dezentraler Intelligenz werden selbststeuernde Produktionsabläufe und Selbstoptimierung möglich. Damit wird auch die Fertigung von Kleinstmengen wirtschaftlich. Die Produktion passt sich flexibel an den Markt an, hergestellt wird also nur noch das, was der Markt braucht. Das sorgt dafür, dass viel weniger Lebensmittel weggeworfen werden müssen, und spart Lagerflächen. Wenn Geräte auf optimalen Betriebspunkten laufen, wird außerdem weniger Energie gebraucht. Und da mit Big Data weltweit viel mehr Betriebsparameter erfasst und ausgewertet werden können, lassen sich Komponenten sehr leicht optimieren.Engineeringabläufe können zu grob 50 % optimiert werden und da sich smarte Komponenten von alleine vernetzen, werden viele Aufgaben überflüssig. Bei Maschinen steigt die Verfügbarkeit und Stillstandzeiten verringern sich, weil sie sich selbst beobachten und eine präventive Wartung möglich wird.
Graefe: Aus Sicht der Lebensmittelindustrie geht es bei der Smart Factory darum, dass mit intelligenten Produktionsprozessen individuelle Produkte zu gleichen Kosten in ein und derselben Anlage gefertigt werden können. Das führt zu Losgrößenvielfalt, die dem Wunsch nach individualisierten Angeboten im Handel entgegenkommt.Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Qualitätssicherung: Dank fortlaufender Qualitätskontrollen direkt im Prozess werden die Analysekosten sinken. So könnten beispielsweise F-Werte über Sensoren direkt erfasst und Abweichungen in Echtzeit über entsprechende Schnittstellen für den Prozesskontrolleur sofort sichtbar gemacht werden. Dies würde Lebensmittelprozesse besser und vor allem in Realzeit steuerbar machen. Wie solche Routinen die bisherige Qualitätskontrolle im Sinne von HACCP verändern, muss noch eingehend geprüft werden. Voraussetzung ist, dass alle Prozesse aus lebensmittelrechtlicher Sicht sachgerecht validiert sind, damit sie sowohl den Anforderungen des IFS als auch des BRC entsprechen.
Weshalb sind viele Unternehmen beim Thema Industrie 4.0 so zögerlich?
Graefe: Weil das Thema so schwer greifbar ist. Und weil man Ressourcen benötigt, um sich überhaupt damit zu beschäftigen. Gerade kleinere Unternehmen haben nicht die Möglichkeit, dass sich Mitarbeiter speziell mit diesem Zukunftsthema befassen können. Das KIN möchte mit entsprechenden Veranstaltungen und Qualifizierungsmaßnahmen sowie einem guten Netzwerk dazu beitragen, diese Hürden abzubauen.
Was sind die größten Irrtümer in Zusammenhang mit Industrie 4.0?
Graefe: Viele Unternehmer glauben, sie müssten eine neue Fabrik bauen und Unsummen investieren. Das ist falsch. Industrie 4.0 ist ein Prozess, kein Endzustand. In vielen Fällen können bereits mit überschaubaren Investitionen ganz entscheidende Schritte getan werden, beispielsweise die Vereinheitlichung der Schnittstellenkommunikation oder die Anbindung von Logistiksystemen oder einzelner Module in der Qualitätssicherung.
Industrie 4.0 löst auch Ängste aus, beispielsweise vor Arbeitslosigkeit oder mangelnder Qualifikation. Sind diese Ängste berechtigt?
Klotz: Natürlich werden sich einige Berufsbilder stark ändern. Ein Lebensmitteltechniker wird in Zukunft mit Sicherheit mehr IT-Kenntnisse benötigen. An der cyberphysischen Lern- und Forschungsplattform CP Factory von Festo Didactic kann man Industrie 4.0 ganz konkret und praxisnah lernen.
Graefe: Dass Industrie 4.0 die Vernichtung von Arbeitsplätzen bedeutet, gehört ebenfalls zu den größten Irrtümern. Genau das Gegenteil ist der Fall. Allerdings werden sich die Anforderungen an die Mitarbeiter grundlegend verändern.
Welche Kenntnisse sind in Zukunft wichtig und wie erlangt man sie?
Graefe: Die klassischen Berufsbilder werden sich verändern. Mitarbeiter müssen moderne Steuerungssysteme über PC oder Tablet beherrschen und übermittelte Daten und Grafiken in Echtzeit interpretieren können. Auch die Funktionalität moderner Warenwirtschaftssysteme im Netzwerk mit anderen Softwareprogrammen ist unverzichtbares Wissen. All dies wird die Ausbildung von Lebensmitteltechnikern verändern. Es wird nicht mehr ausreichen, sich in den verschiedenen Anwendungsbereichen und klassischen Prozessen auszukennen. Benötigt werden Mitarbeiter mit ausgeprägter Entscheidungs- und Handlungskompetenz, die in der Lage sind, vernetzt und ganzheitlich zu denken. Vor diesem Hintergrund haben wir bereits die Curricula unserer Seminare und Weiterbildungen verändert. Dabei setzen wir auch auf Kooperationen mit Instituten oder Unternehmen wie Festo Didactic.
Klotz: Da die technischen Entwicklungen immer komplexer werden und schneller geschehen, werden allgemeine Fähigkeiten wie Lernbereitschaft, systemisches Denken oder interdisziplinäres Arbeiten zukünftig noch stärker gefragt sein. Rollenspezifisch und technisch muss beispielsweise ein Instandhalter lernen, mit einer größeren Zahl an unterschiedlichen Daten umzugehen, um Energietransparenzkonzepte mitzugestalten, er muss die Systematik der selbstregulierenden Kapazitätsauslastung verstehen, Virtual-Reality-Anwendungen nutzen sowie die Schnittstellen zwischen Anlagen und IT-Systemen begreifen.Für Ingenieure zeichnen sich zwei grundsätzliche Entwicklungen ab: Einerseits eine stärkere Spezialisierung, um die Maschinen und Anlagen der Zukunft entwickeln zu können. Anderseits eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit insbesondere mit der IT. Denn im Zuge von Industrie 4.0 rücken Hardware- und Softwareentwicklung sowie Maschinen- und Anlagenbau eng zusammen.
Wie gelingt der Einstieg in die Industrie 4.0?
Klotz: Industrie 4.0 ist kein Selbstzweck. Und es gibt keine One-fits-all-Lösung. Wir unterstützen mit Trainings, Seminaren, Consultingservices und kompletten Lösungspaketen Unternehmen auf ihrem Weg in Richtung Industrie 4.0.
Graefe: Wir benötigen Kompetenzzentren als Plattformen für Wissenstransfer und Netzwerkarbeit. Ferner sind Darlehen und öffentliche Fördertöpfe besonders für kleinere Unternehmen notwendig. Entscheidend sind nicht theoretische Arbeiten an Forschungsinstituten, sondern die Umsetzung von realwirtschaftlich getriebenen Projekten unter kompetenter Begleitung.
„Bei Industrie 4.0 glauben Viele Unternehmer, sie müssten eine neue Fabrik bauen. Das ist falsch.“

Anne-Katrin Pflästerer
Freie Journalistin
Unsere Webinar-Empfehlung
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

cav-Produktreport

Für Sie zusammengestellt

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Top-Thema: Instandhaltung 4.0

Lösungen für Chemie, Pharma und Food

Pharma-Lexikon

Online Lexikon für Pharma-Technologie

phpro-Expertenmeinung

Pharma-Experten geben Auskunft

Prozesstechnik-Kalender

Alle Termine auf einen Blick


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de