Was ist Bioprotection? Wie funktioniert sie? Und welche Bakterienkulturen werden dafür benötigt? Über diese Fragen sprach dei mit Dr. Claudia Müller und Michael Erkes von Chr. Hansen.
Was versteht man unter Bioprotection?
Michael Erkes: „Das ist ein Verfahren bei dem durch den gezielten Einsatz ausgewählter Mikroorganismen in Lebensmitteln krankheits- oder verderbniserergende Keime gehemmt oder sogar reduziert werden. Sie verlängern dadurch die Haltbarkeit der Produkte und leisten so einen wichtigen Beitrag zur Lebensmittelsicherheit.
Hierbei unterscheidet man zwei Wirkmechanismen. Welche sind das?
Erkes: Das ist zum einen die Verdrängung. Hier verdrängt ein dominanter Stamm, beispielsweise Milchsäurebakterien, andere, den Verderb fördernde Mikroorganismen. Das geschieht u. a. durch die Konkurrenz um Nährstoffe, Sauerstoff oder Bindungsstellen an das Substrat. Zum anderen ist es die Bildung antagonistisch wirksamer Stoffe. Hierbei handelt es sich um Stoffwechselprodukte von Kulturen, die das Wachstum von schädlichen Keimen reduzieren. Bleiben wir auch hier bei den Milchsäurebakterien. Durch die von ihnen gebildete Milchsäure wird der pH-Wert im Produkt abgesenkt, was das Wachstum anderer Bakterien wie Salmonellen unterbindet bzw. verlangsamt. Andere Kulturen schützen die Lebensmittel durch die Bildung von Ethanol, CO2 oder bestimmten Peptiden oder Proteinen, die bakteriozid wirken.
Spricht man über Bioprotection, fällt häufig der Begriff Schutzkulturen, den Sie irreführend finden. Können Sie das bitte erläutern?
Erkes: Weil Kulturen von Mikroorganismen, die landläufig als Schutzkulturen bezeichnet werden, nicht nur die Haltbarkeit von Lebensmitteln verbessern. Das ist nur ein, wenn auch sehr wichtiger Aspekt. Daneben sind sie für die Bildung von Geschmack, Aroma, Textur und anderen produktspezifischen Eigenschaften verantwortlich. Der Begriff Schutzkultur vernachlässigt also die vielfältigen Funktionen von Bakterien in der modernen Lebensmitteltechnologie.
Und welchen Begriff nutzen Sie anstelle von Schutzkulturen?
Erkes: Ganz einfach Kulturen.
Seit wann hat Chr. Hansen diese Kulturen, die auch konservierend wirken, im Produktprogramm?
Erkes: Eigentlich von Anfang an. 1874 gründete Christian D. A. Hansen sein Unternehmen in Kopenhagen. Er isolierte ausgewählte Mikroorganismen aus Lebensmitteln, um sie unter kontrollierten Bedingungen zu vermehren und gezielt in Lebensmitteln einzusetzen. Neben vielen anderen Effekten bewirkten sie schon immer eine Haltbarmachung der Produkte, ohne dass man genau wusste, welche mikrobiologischen Prozesse dabei ablaufen. Folglich basierte der Einsatz dieser Kulturen auf Erfahrungswerten. Erst im 20. Jahrhundert mit dem Fortschritt der Biotechnologie war man in der Lage, die mikrobiologischen Prozesse bei der Fermentation zu erforschen. An die Stelle von Empirie trat Wissen. Und das öffnete die Tür zu standardisierten Produkten, wie wir sie heute im Programm haben.
Welche Lebensmittel lassen sich mithilfe der Bioprotection schützen?
Erkes: Zunächst einmal alle fermentierten Produkte. Das sind etwa ein Drittel aller Lebensmittel, die wir in Deutschland täglich konsumieren. Das beginnt bei alkoholischen Getränken oder Gemüseprodukten wie Sauerkraut. Hinzu kommen diverse Fleischwaren, beispielsweise Salami oder Rohschinken. Und natürlich unterschiedlichste Milchprodukte, zum Beispiel Käse, Joghurt, saure Sahne, Quark etc. Daneben haben sich seit einigen Jahren auch interessante neue Anwendungsmöglichkeiten außerhalb dieser klassischen Applikationen entwickelt.
Nennen Sie bitte auch hier Beispiele.
Erkes: Zum Produktprogramm von Chr. Hansen gehören beispielsweise die Starterkulturen der Safepro-Range, die zur Reifung von Rohwurstprodukten eingesetzt werden. Sie bieten den Zusatznutzen, selektiv den gefährlichen Verderbnis- und Krankheitserreger Listeria monocytogenes zu bekämpfen. Ein Produkt, das von Natur aus eine hohe Belastung mit diesen Keimen aufweist, ist Räucherlachs. Es hat sich gezeigt, dass mit Safepro auch die Haltbarkeit und Sicherheit dieses Produkts signifikant verbessert werden kann. Ein anderes Beispiel sind die verzehrfertigen Salate. Auch bei gründlichster Reinigung und hygienischer Verarbeitung weisen diese Produkte von Natur aus eine gewisse Belastung mit verderbnisfördernden Keimen auf. Auch hier bietet Bioprotection Ansätze, um die Produktsicherheit zu optimieren, die Haltbarkeit zu verlängern und die Nachhaltigkeit zu verbessern. Dazu werden auf den frischen Salat entsprechende Kulturen aufgebracht, die das unkontrollierte Wachstum der Keime unterbinden.
Welche Vorteile bietet Bioprotection gegenüber dem Einsatz von Konservierungsstoffen?
Erkes: Bei Konservierungsstoffen handelt es sich um künstliche, synthetisierte Produkte, die als Zusatzstoff mit einer E-Nummer deklariert werden müssen. Mikroorganismenkulturen hingegen sind, wie eingangs bereits erwähnt, natürliche Zutaten, die den Wunsch vieler Verbraucher nach Clean-Label-Produkten erfüllen.
Dr. Claudia Müller: Ein weiterer Vorteil ist die Nachhaltigkeit. Bioprotection beruht auf lebenden Mikroorganismen, die über die gesamte Lebensdauer des Produktes wirken. Das beginnt bei der Produktion und setzt sich im verpackten und geöffneten Produkt fort. In vielen Milchprodukten verbessern diese Mikroorganismen zum Ende der Haltbarkeit sogar die Frische und Cremigkeit.
Ist die Bioprotection auch eine konkurrierende Methode zum Pasteurisieren und Sterilisieren?
Erkes: Ja, bei einigen Fleisch- bzw. Wurstwaren ist das so. Zum Beispiel werden einige vakuumverpackte Brühwürstchen nach dem Verpacken pasteurisiert, um deren Stabilität und ausreichende Haltbarkeit zu gewährleisten. Diese thermische Behandlung stellt einen zusätzlichen Schritt dar, der zudem einen negativen Einfluss auf die Farbe und den Geschmack der Würstchen hat. Seit einigen Jahren wird die Kultur B-LC-48 Safepro erfolgreich in diesem Segment eingesetzt und ersetzt diesen zusätzlichen Pasteurisierungsschritt.
Lassen sich mit der Bioprotection hygienische Mängel bei der Produktion von Lebensmitteln ausgleichen?
Erkes: Ganz klar nein! So wie man umgangssprachlich aus einem Esel kein Rennpferd machen kann, so kann Bioprotection Hygienemängel keineswegs kompensieren. Bioprotection ist vielmehr ein ergänzendes Verfahren, eine zusätzliche Hürde für ein Plus an Sicherheit.
Dr. Müller: Vielmehr gilt: Je geringer die Anfangskeimzahl aufgrund einer optimalen Betriebshygiene ist, desto höher ist die Wirksamkeit der Bioprotection.
Kommen wir als nächstes zu Fresh Q. Frau Dr. Müller, welche Produkte lassen sich mit diesen Kulturen schützen?
Dr. Müller: Fresh Q dient zur Verlängerung der Haltbarkeit sowie zur Erhöhung der Produktqualität von allen fermentierten Milchprodukten und Käse. Die Kultur schützt Joghurt, saure Sahne, Frischkäse, Quark oder Feta und Cottage Cheese sowohl in der geschlossenen Verpackung als auch im geöffneten Zustand.
Aus welchen Milchsäurebakterien setzt sich Fresh Q zusammen?
Dr. Müller: Aus Lactobacillus rhamnosus und Lactobacillus paracasei sowie einer Mischung aus beiden Stämmen. Sie schützen die Milchprodukte, indem sie schädliche Keime verdrängen oder deren Wachstum durch die Bildung von antagonistisch wirkenden Stoffwechselprodukten unterbinden.
Die Fresh-Q-Reihe umfasst fünf verschiedene Kulturen. Wie setzen sich diese zusammen? Und welche Produkte lassen sich mit ihnen schützen?
Dr Müller: Fresh Q 1 ist eine Mischung aus Lactobacillus rhamnosus und Lactobacillus paracasei. Es ist für Produkte prädestiniert, die in mesophilen Fermentationsprozessen bei Temperaturen von 23 bis 28 °C erzeugt werden. Dazu zählen saure Sahne, Quark und Frischkäse. Für thermophile Anwendungen, also Fermentationstemperaturen von 37 bis maximal 45 °C, dient Fresh Q 2. Es enthält ausschließlich Lactobacillus rhamnosus und wird in Joghurt eingesetzt. Für thermophile Anwendungen und den Schutz von Joghurt sind auch Fresh Q 4 und Fresh Q 5 bestimmt. Während Fresh Q 4 sowohl Lactobacillus rhamnosus als auch Lactobacillus paracasei enthält, besteht Fresh Q 5 nur aus Lactobacillus paracasei. Und last but not least gehört zu dieser Produktreihe Fresh Q Cheese 1. Diese Kultur wurde für die Applikation in unterschiedlichen Käsesorten entwickelt. Das Anwendungsspektrum reicht von Feta über Cottage Cheese bis hin zu Tvarog.
Beeinflussen die unterschiedlichen Fresh-Q-Kulturen auch die Textur und den Geschmack der Produkte?
Dr. Müller: Ja, das ist bei den Fresh-Q-Kulturen für Joghurt der Fall. Dieser Effekt ist auf den Gehalt von Lactobacillus rhamnosus zurückzuführen. Er ist bei Fresh Q 2 besonders stark ausgeprägt, in Fresh Q 4 tritt er nur in abgeschwächter Form auf. Da Fresh Q 5 frei von Lactobacillus rhamnosus ist, hat diese Kultur keinen Einfluss auf Textur und Geschmack des Joghurts.
Wie lässt sich der Einfluss auf die Textur und den Geschmack des Joghurts steuern?
Dr. Müller: Für die Herstellung von Joghurt ist eine Starterkultur notwendig, die immer verwendet wird. Hinzu kommt dann Fresh Q. Welche Kultur zum Einsatz kommt, hängt davon ab, ob lediglich eine Verlängerung des MHD gewünscht ist, oder ob daneben auch die cremige Textur oder der frische Geschmack zum Ende der Haltbarkeit erhalten bzw. verbessert werden soll. Das ist ein sehr komplexer Prozess.
Erkes: Fresh-Q-Kulturen sind lebende Organismen – also keine Produkte von der Stange. Bei der Applikation ist Fingerspitzengefühl und ein tiefes Einarbeiten in die Herstellungsprozesse des Anwenders gefragt. Nachdem man die Eignung der Kultur für das jeweilige Produkt festgestellt hat, folgen zuerst Versuche im Labor und Technikum, dann schließen sich mehrere Versuchsphasen in der Produktion an, die von unseren Spezialisten sowie mikrobiologischen und sensorischen Tests in unseren Laboratorien begleitet werden.
Dr. Müller: Noch ein kleiner Nachtrag zu den Einsatzmöglichkeiten von Fresh Q. Eine habe ich vergessen – und zwar den Einsatz in Skyr. Dieses traditionelle Milchprodukt aus Island hat einen Fettgehalt zwischen 0,2 und 0,5 %. Zudem ist es reich an Proteinen. Ihr Anteil liegt bei 11 %. Dieser hohe Proteingehalt und längere Produktionsprozesse, die sich aus der Fermentation und einem anschließenden Konzentrierungsschritt ergeben, machen Skyr im Vergleich zu anderen fermentierten Milchproduktenanfälliger für Hefen und Schimmel.
Welche Fresh-Q-Kulturen kommen in Skyr zum Einsatz?
Dr. Müller: In Abhängigkeit von den gewünschten Produkteigenschaften Fresh Q 2, 4 oder 5.
www.prozesstechnik-online.de Suchwort: dei0517chrhansen
Lukas Lehmann
Stellv. Chefredakteur dei
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