Wird ein Mensch krank, darf er künftig getrost auf den Herstellern seiner Medikamente bauen, denn gesetzliche Initiativen für einen elektronischen Herkunftsnachweis von pharmazeutischen Produkten sind bereits auf dem Weg. Was anderswo schon jahrelang Standard ist, entdeckt die Pharmabranche jetzt auch für ihre Belange: die Serialisierung von Medikamenten. Das Kennzeichnen von Arzneimitteln mit einer eindeutigen Nummer und deren Dokumentation sorgt für mehr Transparenz und schützt vor Fälschungen.
Autor Jürgen Manz, Director Tracking and Tracing, Siemens IT Solutions and Services
Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vergegenwärtigt den Ernst der Lage: Der zufolge sind rund zehn Prozent aller Medikamente weltweit gefälscht, in den Entwicklungsländern liegt die Zahl sogar bei 25 %. Bis 2010 soll der illegale Handel auf ein Volumen von 75 Mrd. US-Dollar anwachsen – eine Steigerung um 90 % gegenüber 2005.
Die billigen Kopien von Markenpräparaten enthalten dabei falsche oder gar keine Wirkstoffe oder sind bis zur Wirkungslosigkeit gestreckt. Das Tragische dabei: Arzneimittelfälschungen kosten jedes Jahr Hunderttausende Menschenleben rund um den Globus. Neben den Sicherheitsrisiken gibt es natürlich auch finanzielle Einbußen: So lagen die Ertragsverluste der Pharmaindustrie durch Fälschungen laut der FDA allein zwischen 2001 und 2004 bei 30 Mrd. Euro.
Die Globalisierung und der sich ausweitende Handel mit falschen Medikamenten erfordern sowohl von Unternehmen als auch von der Politik verstärkte Aktivitäten für die Produktsicherheit und den Markenschutz. Um Verbraucher vor Plagiaten zu schützen, müssen sich pharmazeutische Produkte künftig über Tracking & Tracing eindeutig identifizieren und rückverfolgen lassen. Darauf zielen gesetzliche Richtlinien wie Änderungen im Arzneimittelgesetz oder der neue „Compliance Policy Guide“ der FDA ab.
Zwar ist die Kennzeichnung von Pharmaprodukten nichts Neues, bisher geschah dies jedoch nur paletten- oder containerweise. Das war günstiger und weniger aufwendig als die Einzelkennzeichnung, doch weder die Herkunft jeder Packung noch ihre Echtheit lassen sich so nachweisen. Schon seit Jahren fordern daher staatliche und nichtstaatliche Institutionen wie zum Beispiel die FDA in den USA oder die EFPIA in Europa, dass jede einzelne Pharmaverpackung gekennzeichnet werden soll.
Die Pharmaunternehmen reagieren darauf eher verhalten und dies ist auch verständlich. Bedeutet diese Vorgabe doch, dass Milliarden eindeutiger Seriennummern generiert, auf Milliarden von Packungen gedruckt und die Historie von Milliarden Medikamenten gespeichert werden müssen. Und dies stellt in puncto Belastung und Sicherheit hohe Ansprüche an die IT-Landschaft, die mit den bisherigen Systemen in der Pharmaindustrie allein kaum erfüllt werden können.
Im Rahmen eines jüngst gestarteten Pilotprojekts der EFPIA in Schweden wird eine Kodierungs- und Identifikationslösung getestet, die Plagiate jederzeit erkennt und den Weg des Medikaments über alle Stationen der Lieferkette nachvollzieht. Damit soll jede Medikamentenpackung vor der Aushändigung an den Kunden anhand eines eindeutigen ID-Codes identifiziert werden. Dieser setzt sich aus einem serialisierten 2D-Datamatrix-Barcode und einer Seriennummer zusammen. Praktisch funktioniert die Lösung folgendermaßen: Der Code wird mithilfe von Scannern eingelesen, an ein System weitergeleitet und dort auf Echtheit überprüft. Erscheint eine Nummer doppelt, gibt es eine Warnmeldung und beispielsweise der Mitarbeiter in der Apotheke kann das Medikament sofort aus dem Verkehr ziehen.
Um Plagiate zu entlarven, reicht ein Code jedoch alleine nicht aus. Zur Überprüfung und Verfolgung der Medikamentenverpackung über die gesamte Produktion und Lieferkette hinweg ist ein effektives und transparentes Datenmanagement notwendig, beginnend beim Verpackungsprozess bis hin zu den eingesetzten ERP- und SCM- Systemen.
Komplizierter als Lotto
Am Anfang des Serialisierungsprozesses steht die Generierung der Seriennummer. Dafür herrschen in Europa strengere Vorschriften als in anderen Ländern. Statt fortlaufender Seriennummern setzt die Pharmaindustrie hierzulande auf Zufallsnummern. Schließlich könnten gewiefte Fälscher sequenzielle Nummern auf Grundlage der ermittelten Produktionsgeschwindigkeit der Werke hochrechnen. Zufallszahlen sind hingegen sicherer, aber dementsprechend schwerer zu erstellen, denn bei Milliarden Medikamenten darf jede Nummer nur ganz genau einmal vergeben werden. Für diese kniffelige Aufgabe greifen sowohl Dienstleister als auch Pharmakonzerne oftmals auf spezialisierte Unternehmen zurück, die solche Nummern in komplizierten mathematischen Prozessen generieren.
Sind die Seriennummern erstellt, müssen sie in codierter Form auf den Produkten angebracht werden. Das kann über verschiedene Identifizierungsverfahren erfolgen. Für Europa legte die EFPIA fest, dass die Kennzeichnung der Produkte durch einen Datamatrix-Code erfolgen soll. Größter Vorteil dieser Methode ist der vergleichsweise geringe Preis. Kostet der Datamatrix-Aufdruck mit normaler Tinte noch nicht einmal einen Cent, liegen die günstigsten RFID-Tags bereits bei 10 Cent. Im Gegensatz zu RFID arbeitet der Datamatrix-Code nicht mit Funk und ist daher auch bei biologischen Substanzen wie Bakterienstämmen unbedenklich. Dennoch lassen sich in dem Barcode viele Informationen speichern, die sich – selbst wenn ein Teil des Codes zerstört ist – noch auslesen lassen. Zu Kontrollzwecken können die Unternehmen zudem unsichtbare Tinte einsetzen, die nur unter UV-Licht sichtbar wird.
Online-Info www.pharmaproduktion.com/0110454
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