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Vergessen gilt nicht

Die Kreativität beim Umgang mit Erdungsklemmen kennt nahezu keine Grenzen
Vergessen gilt nicht

In der täglichen Praxis kommt es immer wieder im Ex-Bereich zu Problemen mit der statischen Aufladung ortsveränderlicher Behälter. Die häufigste Ursache: Der meist laxe Umgang mit der notwendigen Erdung. Theorie und Praxis weichen hier klar voneinander ab. Das ergab ein Gespräch mit Rüdiger Schnick über Vorschriften und die tägliche Praxis bei der Erdung ortsveränderlicher Behälter.

cav: Herr Schnick, welche Vorschriften und technischen Regeln gibt es denn für die Erdung ortsveränderlicher Behälter im Ex-Bereich?

Schnick: Detaillierte Vorschriften hierzu hat die Berufsgenossenschaft herausgegeben. Aktuell gilt die BGR132. In näherer Zukunft soll zwar eine Aktualisierung erfolgen, die Kernaussagen werden jedoch sicherlich dieselben sein. Sie besagen, dass das Personal für die Gefahren sensibilisiert werden muss. Durch Folgeschulungen soll dieses Wissen aktuell gehalten und aufgefrischt werden. Besonders wichtig: Für Arbeiten zu Erdung und Potenzialausgleich in explosionsgefährdeten Bereichen muss eine eigene Betriebsanweisung vorliegen. Dies fordern die Unfallverhütungsvorschriften. Speziell in den Bereich Nachschulung und Wissensauffrischung fällt dann der Punkt, auf die betriebliche Praxis einzugehen und dabei auf typische Erdungsfehler, z. B. nachträgliches Erden bereits aufgeladener Gegenstände oder Einrichtungen, hinzuweisen.
cav: Welche technischen Möglichkeiten der Erdung gibt es und worin unterscheiden sich diese?
Schnick: Grundsätzlich unterscheidet man zwischen passiver Erdung und aktiver Erdung. Letztere wird auch als „Erdung mit Anlegekontrolle“ bezeichnet. Das passive Erdungssystem besteht aus einem Erdungskontakter (Zange, Erdungsbuchse, Dorn o.ä.), der durch ein stabiles, reißfestes Kabel mit dem Erdungspunkt der Anlage verbunden ist. Leider findet man in der Praxis gerade bei der passiven Erdung eine Vielzahl ungeeigneter Kontaktgeber. Das reicht von Batterieklemmen über Polklemmen bis zu Schweißzangen.
cav: Worin besteht der Unterschied dieser Klemmen zu einer guten Erdungszange?
Schnick: Eine gute Erdungszange zeichnet sich durch ein scharfes Gebiss, guten Anpressdruck und kleine Kontaktflächen aus. Denn sie soll auch bei Inkrustierungen auf der Oberfläche des Objektes guten Kontakt zum leitfähigen Kern z. B. eines Fasses oder der Erdungslasche am Tkw (Tankkesselwagen) sorgen.
cav: Welchen Vorteil haben Erdungssysteme mit Anlegekontrolle?
Schnick: Erdungssysteme mit Anlegekontrolle erkennen mittels eines Überwachungskreises, dass der Erdungskontakter elektrische Verbindung zum Objekt hat. Sie helfen dem Bediener also, Fehler zu vermeiden. Außerdem geben sie Alarm, wenn der Erdungskontakter beim Umfüllprozess den Kontakt zum Objekt verliert. Das kann z. B. durch unbeabsichtigtes Herunterfallen einer Erdungszange der Fall sein.
cav: Gibt es einen Trend in der Industrie, welches System bevorzugt wird?
Schnick: Mit der elektrostatischen Erdung ist es leider wie mit einer Unfallversicherung. Viele Betriebe werden erst durch Schaden klug und investieren das Geld für sichere Erdungssysteme erst nach einem Unfall. Dabei kann sich eine überwachende Erdungsanlage durchaus auch rechnen. Es empfiehlt sich in diesem Falle, mit seinem Unfallversicherer Kontakt aufzunehmen, um über Prämienvergünstigungen durch Investitionen in ein sinnvolles Erdungssystem zu verhandeln. Denn ein solches System minimiert schließlich Fehler bei der Handhabung. Ein anderer aktueller Trend ist Technik-verliebtheit. Sie resultiert vielleicht aus dem Satz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ und wird vermutlich durch die scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten der Computertechnik verstärkt. Ich vermute, man möchte auf diese Weise die Verantwortung vom Menschen auf die Maschine verlagern. Wie so oft gilt aber auch hier: Viel hilft nicht immer viel. Und manchmal ist allzu viel eben sogar ungesund.
cav: Wie soll man das verstehen?
Schnick: Automatismen haben immer dann einen Sinn, wenn ein Prozess automatisch abläuft. So kann eine automatische Fassabfülllinie durchaus sinnvoll mit einer automatischen Einheit zur Erdung des Fasses beim Befüllen kombiniert werden. Heikel werden Automatismen aber immer dann, wenn der Mensch eingreifen muss. Was dann ja im eigentlichen Sinne keine Automatik mehr wäre. In der Praxis mag es Fehler durch oder in Automaten geben. Das Eingreifen des Menschen ist aber mit Bestimmtheit die größte Gefahrenquelle. Um diese Fehler zu vermeiden, hilft es nur, geeignetes Personal einzustellen, es zu sensibilisieren, zu schulen und das Wissen durch Nachschulung wach zu halten. Gerade im Bereich der elektrostatischen Erdung sind der Technik aber Grenzen gesetzt und der Mensch als Mittler zwischen Erdungszange und Erdungsobjekt (Tkw, Container, Fass etc.) unvermeidlich.
cav: Herr Schnick, Sie beschäftigen sich seit nunmehr gut 25 Jahren mit dem Thema Erdung im Ex-Bereich. Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Zeit gemacht?
Schnick: In einem Seminar über elektrostatische Erdung im Ex-Bereich sagte der Vortragende: „Wenn im Chemiebetrieb Elektrostatik und Zündquelle jedes Mal zusammenträfen, wäre die Chemie nicht da, wo sie heute ist.“ Man kann das als Sarkasmus, Ironie oder schwarzen Humor betrachten, die Realität ist nicht weit davon entfernt. Das Bedauerliche ist, dass Fehler oftmals durch Unwissen oder gut gemeintes, aber leider falsches Agieren gerade hier schwerwiegende Folgen haben. Und das sowohl für das Personal als auch für die Betriebsanlagen. Denn leider steht immer der Mensch im Mittelpunkt. Sowohl als Gefahrenquelle als auch als Gefährdeter.
cav: Welche Fehler treten hier besonders häufig auf?
Schnick: Häufige Fehler sind Bedienungsfehler mangels besseren Wissens. Beispielsweise der Lkw-Fahrer, der die passive Erdungszange am Kunststoff-Schutzblech des Tkw anlegt. Aber auch Materialfehler durch Einsatz ungeeigneter Produkte treten häufig auf. Hier sei als erstes die Erdungszange selbst genannt, die für diesen Zweck völlig ungeeignet ist, weil aus Kostengründen eine Batteriezange verwendet wird. Aber es soll auch den bemühten Bediener gegeben haben, der das abgerissene Kabel durch ein Seil ersetzte. Oder nehmen Sie das abgerissene Erdungskabel, das nicht auffiel, weil es an einer nicht erkennbaren Stelle abgerissen war. Vergesslichkeit nach der Devise: „Oh, jetzt habe ich doch glatt die Erdungszange vergessen“ und das Anlegen der Zange während des bereits laufenden Umfüllvorganges geht in die gleiche Richtung. Unter den Punkt der bewussten, grob fahrlässigen Manipulation fällt dann das Anlegen einer überwachten Erdungszange ans falsche Objekt, nur um den Beladevorgang schnell und ohne zusätzliche Arbeit abzuwickeln.
cav: Das hört sich bedenklich an. Sie haben vorhin Erdungssysteme mit Anlegekontrolle erwähnt. Lassen sich diese auch überlisten?
Schnick: Alle Erdungssysteme haben technische Grenzen. Das von uns verwendete System beispielsweise arbeitet mit einem eigensicheren, also Ex-geschützten Überwachungsstromkreis, der durch den elektrischen Kontakt zum Fass, zur Erdungslasche oder zum Container eine Freigabe im Elektronikteil erzeugt und so signalisiert: „Ich habe elektrische Verbindung zu dem Objekt, das Du, lieber Bediener, erden willst.“ Bewusstes Anlegen am Geländer der Verladeanlage wird hier nicht erkannt. Das kommt aber einer grob fahrlässigen Manipulation gleich. Abhilfe könnten elektronische Hilfen schaffen, die Kapazitäten (Fahrzeug gegen Erde) oder Widerstandswerte (der Reifen eines Fahrzeuges) auswerten.
cav: Und tun sie das?
Schnick: Im Prinzip schon, allerdings grenzt diese Technik den Einsatz der Geräte auf Tkws ein, und auch sonst haben sie ihre Grenzen: So wird einerseits der Tkw auf vereistem Boden der Verladeanlage vom Gerät mit Widerstandsselektion nicht erkannt. Die Folge: Die Elektronik gibt keine Freigabe für die Beladung. Andererseits wird der Tkw mit winternassen, durch Streusalz gut leitfähigen Reifen vom System mit Kapazitätsüberwachung nicht akzeptiert. Auch hier gibt es keine Freigabe. An dieser Stelle beginnt das Dilemma des Betriebes: Wie bekomme ich mein Produkt verladen, ohne das der Betriebsablauf ins stocken gerät? An einigen stellen wird hier sogar bewusst manipuliert: Da die Elektronik ganz normale elektrische Werte (Kapazität oder Widerstand) auswertet, finden sich auch Objekte in der Umgebung der Verladeanlage, die zufällig eben diese Werte aufweisen. Sei es z. B. ein lackiertes Metallteil der Anlage, das durch Lackschichtdicke oder Korrosion genau den Auswertewert der Elektronik aufweist.
cav: Ist das nicht etwas überspitzt dargestellt?
Schnick: Ganz im Gegenteil. Das sind genau die Fälle, die ich in der Praxis vorfinde. Und – amüsanterweise – sind Kreativität und Arbeitsaufwand des Personals gerade beim Überlisten solcher Systeme beeindruckend. Am Ende findet sich dann jeder Betreiber, Betriebsleiter oder Betriebsingenieur vor der Frage: Wie weit kann ich diesem System denn nun wirklich vertrauen?
cav: Welches Fazit würden Sie aus Ihrer Erfahrung heraus ziehen?
Schnick: Für mich ist das Fazit: Weniger ist mehr! Ich habe in der Praxis genügend der skizzierten Fälle erlebt, in denen zu viel Technik den Betrieb mehr behinderte als befreite. Die passive Erdung wäre mir als Verantwortlichem etwas zu wenig. Mein Favorit ist das bewährte Erdungssystem mit Anlagekontrolle, aber ohne technische Spielereien wie kapazitive oder konduktive Auswertung. Der Vorteil: Das System kann ich bei Fässern einsetzen, es funktioniert auch bei Lkws, Containern und Absetzbehältern. Mein Laborant kann damit auch den Blecheimer für Kleinstmengen erden. (br)
Online-Info www.cav.de/1109466
„Eine gute Erdungszange verfügt über den notwendigen Biss, auch Inkrustierungen zu überwinden.“
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