Herr Joyce, welche neuen Themen bewegen die Branche?
Richard Joyce: Hier müssen wir uns zunächst das Verbraucherverhalten anschauen: Es gab Zeiten, da lief die Ernährung quasi nebenbei. Gegessen wurde, was es gab – Punkt. Mit zunehmendem Wissen um die Bedeutung gesunder Ernährung, aber auch mit dem Überangebot an Nahrungsmitteln in den westlichen Ländern hat sich das grundlegend geändert. Die Menschen hinterfragen ihre Essgewohnheiten, werden kritischer und anspruchsvoller. In einer vernetzten Welt wie der unseren hat jeder immer und überall Zugriff auf einen unerschöpflichen Fundus aus Ernährungsweisen, Hintergrundinformationen und Gesundheitstipps. Wie ich mich ernähre, wird zum Statement. Deshalb sind Themen wie Natural Ingredients, Sustainability oder Clean Label weiterhin die Dauerbrenner der Branche, aber sie haben sich deutlich weiterentwickelt.
Welche Trends von gestern sind heute zum Standard geworden?
Joyce: Nehmen Sie das Beispiel natürliche Inhaltsstoffe. Hier lag der Schwerpunkt über viele Jahre hinweg darauf, künstliche Farb- und Aromastoffe durch natürliche Varianten zu ersetzen und den E-Nummern-Urwald für den Verbraucher zu lichten. Clean Label war erst Trend und wurde dann Standard. Inzwischen meiden Konsumenten nicht nur Produkte mit E-Nummern. Sie wollen schlicht eine kurze Zutatenliste ohne, ihrer Meinung nach, unnötige Inhaltsstoffe – das lean Label.
Was nicht immer so einfach zu realisieren ist.
Joyce: Richtig. Da sind Erfahrungen und Kreativität aufseiten der Lebensmittelproduzenten gefragt, da die Verbraucher gleichzeitig ein Produkt erwarten, das hervorragend schmeckt, lange haltbar ist – und im Idealfall auch gesünder ist.
Gesundheit ist nach wie vor ein wichtiges Thema. Welche Entwicklungen beobachten Sie auf diesem Gebiet?
Joyce: Die Industrie setzt sich inzwischen eingehend mit den negativen Folgen des Wohlstands auseinander, was sicherlich auch auf den Druck von Regierungen zurückzuführen ist. Stichwort ist hier die Reduktion von Zucker, Salz und Fett. Die Verringerung dieser für viele Erkrankungen ursächlichen Nahrungsbestandteile ist wichtiger denn je.
Ist das nicht ein Thema, das die Verbraucher längst abgehakt haben? Denn viele Menschen leben doch nach der Devise: Ich ernähre mich gesund, aber nur solange es mir schmeckt.
Joyce: Eine sehr gute Frage! Tatsächlich ist es so, dass Claims wie weniger Zucker oder weniger Fett auf der Verpackung für viele Verbraucher eher abschreckend wirken, denn allzu oft waren solche Produkte für sie sensorisch eine Enttäuschung. Der Wunsch, sich gesund zu ernähren, besteht natürlich weiterhin und hat sich sogar verstärkt, aber nicht auf Kosten des Genusses. Deshalb ist Stealth Reduction aktuell in aller Munde.
Was steckt hinter diesem neuen Begriff?
Joyce: Nun, das sind gesündere Produkte mit Tarnkappe. Der Verbraucher soll gar nicht bemerken, dass das Produkt weniger Zucker, Fett oder Salz enthält – er soll einfach weiter genießen. Durch eine geschickte Umformulierung können sensorische Einbußen zunehmend vermieden werden: Die Entwicklungen in diesem Bereich sind beachtlich!
Zurück zur Salzreduktion. Letztere scheint in Deutschland aber noch nicht angekommen zu sein?
Joyce: Das stimmt, aber viele europäische Länder sind hier schon einige Schritte weiter: Teilweise ist der Salzgehalt sogar deklarationspflichtig. Der Zusammenhang zwischen hohem Salzkonsum und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist eindeutig. Und die Hersteller reagieren: Inzwischen gibt es gute Ansätze, um den Salzgehalt deutlich zu senken und dennoch die geschmacklichen Vorlieben der Verbraucher zu treffen, beispielsweise durch Mikroverkapselung. Aber die Salzreduktion ist nach wie vor eine Herausforderung, denn es ist nicht der Geschmack allein: Von der Textur bis zu Haltbarkeit muss die Industrie viele Faktoren im Blick haben.
Ein anderer Trend ist die steigende Nachfrage nach Produkten mit hohem Proteingehalt.
Joyce: Genau. Und dieser Trend wird sich auch auf der Messe widerspiegeln. Ob Masterclass auf der Fi Conference oder Innovation Tour: Etliche Angebote der FiE stehen unter dem Motto „Everything Protein“. Dahinter stecken Produkte mit einem hohen Proteingehalt – natürlich oder angereichert. Denn sie scheinen die Lösung aller Probleme zu sein, um Gewicht zu verlieren, leistungsfähig zu sein und bis ins Alter aktiv zu bleiben. Gleichzeitig ist ein verantwortungsvoller Konsum von Fleisch und tierischen Produkten wichtig im Hinblick auf einen bewussten Umgang mit Ressourcen. Nun ist es an der Industrie, traditionelle Eiweißlieferanten durch neue und vor allem nachhaltige Proteinquellen zu ergänzen.
Was sind Ihre persönlichen Highlights auf der Fi Europe?
Joyce: Zum einen das umfassende Veranstaltungsprogramm, das die Messe begleitet. Mit unseren Veranstaltungen bieten wir messebegleitend hochaktuellen Content und konnten viele spannende Referenten gewinnen. Deshalb ist mein Tipp, sich im Vorfeld nicht nur die Ausstellerliste anzuschauen, sondern gut zu planen und so viele unserer Vorträge, Fortbildungsangebote oder Diskussionen wie möglich zu nutzen.
Und zum anderen?
Joyce: Ich freue mich in diesem Jahr besonders auf den neuen Expo Foodtec Content Hub. Hier werden wir spannende Technologien aus Verpackung und Prozesstechnik vorstellen. Natürlich ist die Fi Europe eine Ingredients-Messe. Allerdings lassen sich die Bereiche Ingredients, Verfahrenstechnik und Verpackung sowie Serviceleistungen nicht voneinander trennen. Deshalb ist uns wichtig, den Blick auch in diese Richtung zu erweitern.
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