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Mobiles Testzentrum für neuartige Lebensmittel

New-Food-Anwendungen
Mobiles Testzentrum für neuartige Lebensmittel

Auf der Anuga Foodtech hat GEA zum ersten Mal sein neues mobiles Testzentrum MTC für New-Food-Anwendungen der Öffentlichkeit präsentiert. Die modulare Pilotlinie aus acht Komponenten dient der Zellkultivierung wie auch der Präzisionsfermentation. Wie die Anlage aufgebaut ist, welche Vorteile sie bietet und welche Strategie GEA damit verfolgt, erläutert Tatjana Krampitz, Director Technology R&D, im Interview.

Frau Krampitz, was genau verstehen Sie unter New Food?

Tatjana Krampitz: Für diesen Begriff gibt es viele Definitionen. Generell handelt es sich bei New Food um Alternativen zu herkömmlich hergestellten tierischen Lebensmitteln, basierend auf einer nachhaltigeren Produktion. Tierische Lebensmittel kann man einfach substituieren, zum Beispiel durch Produkte auf Pflanzenbasis. Aber man kann die tierischen Zellen auch selbst produzieren, zum Beispiel Schweinezellen für Hackfleisch. Auch die gesundheitlichen Vorteile sind bemerkenswert, weil die Produkte so hergestellt werden können, dass sie keine unerwünschten Stoffe wie Antibiotika oder Allergene enthalten. Eine wichtige Rolle spielt außerdem das Thema Tierwohl, in dem Sinne, dass keine Tierhaltung notwendig ist, um Produkte für den New Food Bereich herzustellen. Durch das super Feedback auf der Anuga Foodtec haben wir gesehen, dass New Food ein unglaublich großes Wachstumspotenzial am Markt hat. Immer mehr Firmen fassen in diesem Bereich Fuß.

Sie haben das mobile Testzentrum MTC speziell für die Präzisionsfermentation und die Zellkultivierung entwickelt. Könnten Sie diese Verfahren bitte kurz erläutern?

Krampitz: Im Gesamtzusammenhang sprechen wir von Cellular Agriculture. Dieser Begriff ist immer im Zusammenhang mit
New Food zu sehen. Der Bereich Zellkultivierung umfasst alles, was zellbasiert hergestellt werden kann. Das können zum Beispiel tierische Muskelzellen sein, die aus Stammzellen gewonnen werden. Von Präzisionsfermentation spricht man dagegen, wenn ein Mikroorganismus wie eine Hefezelle oder ein Escherichia Coli dazu verwendet wird, ein bestimmtes Zielprotein zu produzieren. Dies kann auf natürliche Weise oder durch genetische Modifikation des Mikroorganismus geschehen. Bei der Zellkultivierung ist die Zelle an sich das Produkt, bei der Präzisionsfermentation wird das Produkt durch das mikrobielle System hergestellt.

Welche Idee steckt hinter dem mobilen Testzentrum für New-Food-Anwendungen?

Krampitz: Wir haben gesehen, dass im Bereich New Food vieles im Labormaßstab entwickelt wird und dann meistens der Schritt zur industriellen Anlage folgt. Dieses Vorgehen birgt ein gewisses Risiko, beim Upscaling des Prozesses zu scheitern. Das MTC schließt die Lücke zwischen Labormaßstab und industrieller Produktion. Mit unserer Anlage kann der Kunde den ganzen Prozess betrachten. Es geht um die Frage: Was stelle ich im Upstream-Prozess her und wie erfolgt die Aufarbeitung im Downstream-Prozess?

Warum haben Sie ein mobiles Testzentrum entwickelt?

Krampitz: Der Kunde kann dieses Testzentrum einerseits natürlich kaufen, anderseits aber auch mieten. Wenn er die Prozessanlage mietet, hat er nur ein geringes Investment, weil er sich keine teure Anlage anschaffen muss, obwohl er vielleicht noch gar nicht weiß, ob er tatsächlich den Sprung vom Labor in die Pilotphase schafft. Falls dem Kunden das nicht gelingt, kann er die Anlage wieder zurückgeben. Eine dritte Möglichkeit ist, das MTC an einem unserer Standorte auszuprobieren.

Können Sie die einzelnen Komponenten des MTC und ihre Funktion bitte kurz erläutern?

Krampitz: Wir unterteilen die gesamte Prozesslinie in einen Upstream- und einen Downstream-Bereich. Das erste Equipment im Upstream-Bereich ist ein Batch-Formula-High-Shear-Mixer. Dieser dient in der Prozessanlage hauptsächlich dafür, Nährmedien anzusetzen, in denen später die Organismen wachsen. Außerdem gibt es eine UHT-Anlage zum Sterilisieren des Nährmediums. Das Herzstück der Anlage ist ein Two-in-one-Bioreaktor/Fermenter in den Größen 50 und 500 l. Wir können also in dem Behälter mit einer Zellkultur abeiten. Dann sprechen wir vom Bioreaktor. Oder es handelt sich um ein mikrobielles System, dann sprechen wir von einem Fermenter. Je nachdem für welche Anwendung man die Anlage benutzen möchte, wählt man mit der Software die entsprechenden Prozesse aus. Für ein mikrobielles System werden unter anderem andere Begasungsraten als für Zellkulturen benötigt. Auch das Rührwerk kann an die Anwendung angepasst werden. Für mikrobielle Systeme sind hingegen höhere Drehzahlen nötig als für scherempfindliche tierische Zellen.

Sie haben nun den Upstream-Prozess erläutert. Welche Komponenten gehören zum Downstream-Prozess?

Krampitz: Für mikrobielle Systeme bieten wir einen Homogenisierer an. Damit lassen sich Zellen aufbrechen, um intrazelluläres Protein aus der Zelle zu erhalten. Außerdem gibt es einen Separator, der zur Fest-Flüssig-Abtrennung genutzt wird. Damit werden die Zellbestandteile, die nach dem Homogenisieren in Lösung vorliegen, vom Zielprotein getrennt. Das ist die erste Reinigungsphase. Dann gibt es noch zwei Filtrationsanlagen, einmal eine Crossflow-Keramik-Mikrofiltrationsanlage, mit der die Fest- und die Flüssigphase getrennt werden, und zum anderen eine Crossflow-Ultrafiltrationsanlage, die die Flüssig-Flüssig-Phasen, je nach Zielprodukt, aufkonzentrieren oder separieren kann.

Welche Vorteile hat der modulare Aufbau der Anlage?

Krampitz: Durch den modularen Aufbau ermöglichen wir unseren Kunden eine flexible Prozessanpassung sowohl mechanisch als auch von Seiten der Automation. Bezüglich des Automationskonzepts haben wir die Anlage so gestaltet, dass die einzelnen Prozessschritte wiederholt werden können, wenn es notwendig ist. Außerdem lässt sich die Reihenfolge der Komponenten verändern. Wenn der Kunde zum Beispiel feststellt, dass es besser ist, an einer früheren Stelle zu filtrieren, können wir den Aufbau der Anlage entsprechend ändern. Der Automatisierungsaufwand dafür ist gering, denn das übergeordnete Automationskonzept ist sehr flexibel. Außerdem haben wir Schnittstellen integriert, damit auch fremdes Equipment integrieren werden kann.

Was lässt sich mit dem MTC testen?

Krampitz: Kunden wollen zum Beispiel wissen: Welche Produkteigenschaften hat das Produkt? Welche Ausbeute wird erreicht? Wie hoch ist die Reinheit? Und was muss noch verändert werden, damit der Verbraucher das Produkt kauft? Sie können etwa verschiedene Parameter variieren, zum Beispiel den pH-Wert, die Temperatur, den Druck, die Zelldichte oder die Begasungsrate. Ein Beispiel: Wie stellt man bei der Filtration die Durchflüsse so ein, dass am Ende eine gute Aufkonzentrierung und eine hohe Produktreinheit entsteht? Braucht man vielleicht einen Filter mit einer anderen Porengröße? Ziel ist es, dass der Kunde alle relevanten Informationen über die Produkteigenschaften erhält, die er braucht, um an den Markt zu gehen.

Sie sagten, dass es die Bioreaktor-/Fermenter-Anlage in den Größen 50 und 500 l gibt. Wie viel Biomasse oder Protein lässt sich damit herstellen?

Krampitz: Wir haben bei Projektstart verschiede Massenbilanzen aufgestellt, um feststellen zu können, ob eine ausreichend große Menge entsteht, mit der der Kunde etwas anfangen kann. Nach diesen Massenbilanzen wird er 5 bis 50 kg Protein bzw. Biomasse erhalten. Daraus kann er dann das Endprodukt entwickeln.

Welche Endprodukte könnten das zum Beispiel sein?

Krampitz: Zellkulturfleisch ist natürlich ein wichtiges Thema. Heute stehen aber nicht nur Fleisch-, sondern auch Fischalternativen hoch im Kurs oder Produkte wie ‚Ei ohne Huhn’ und ‚Milch ohne Kuh’. Es gibt zum Beispiel Firmen, die sich auf die Herstellung von Hühnereiweiß durch Präzisionsfermentation konzentriert haben. Daraus kann der Verbraucher zu Hause Rührei braten. Mittels Präzisionsfermentation werden vor allem Proteine hergestellt, zum Beispiel Kasein oder Hämoglobin. Diese stehen hoch im Kurs, weil man sie anderen Nahrungsmitteln als Zutaten beimischen kann.

Welche Unterstützung bieten Sie dem Anwender an, wenn er sich für den Kauf oder das Mieten der Pilotanlage entscheidet?

Krampitz: Zunächst besprechen wir mit ihm die Idee, seinen angestebten Prozess. Dann wird geprüft, was er für die Produktion braucht und bei welchen Punkten es eventuell Herausforderungen geben könnte. Hier unterstützen wir den Kunden prozesstechnisch. Es ist geplant, dass unsere Ingenieure und Service-Techniker den Kunden während der gesamten Testphase unterstützen.

Kommen wir zurück zur Zellkultivierung und Präzisionsfermentation. Wo sehen Sie den Schwerpunkt für den Einsatz des MTC?

Krampitz: Beide Prozesse sind für uns gleich wichtig, werden sich in ihren Fragestellungen aber grundsätzlich unterscheiden. Die Präzisionsfermentation gibt es schon lange. Sie wird jetzt nur auf ein neues Anwendungsgebiet übertragen. Ein Beispiel aus der Pharma-Industrie: Insulin stellt man seit Jahrzehnten auf diese Weise her. Doch nun hat man erkannt, dass es bestimmte wirtschaftliche und ökologische Vorteile hat, auch Proteine oder andere Produkte alternativ herzustellen. Deswegen sind die Firmen, die sich mit Präzisionsfermentation beschäftigen technologisch schon weiter als die Unternehmen, dich sich mit dem Ersatz von Fleischprodukten durch Zellkultivierung beschäftigen. Aber die Zellkultivierung hat großes Entwicklungspotenzial.

Ein Kritikpunkt an der Zellkultivierung und Präzisionsfermentation ist der hohe Energiebedarf der Verfahren. Wo sehen Sie hier anlagenseitig Verbesserungsmöglichkeiten?

Krampitz: Dieses Problem kann nur durch ein ganzheitliches Anlagenkonzept behoben werden. Mikroorganismen fühlen sich bei 37 ° C am wohlsten, diese Temperatur muss man ihnen also bieten. Aber mit 37 ° C lässt sich keine Temperaturdifferenz erzeugen, die man für andere Prozesse nutzen kann. Deswegen ist ein ganzheitliches Anlagenkonzept sehr spannend. Am wichtigsten ist es, den Prozess zur Energierückgewinnung in sich gut abzustimmen und Energierückgewinnung vielleicht auch an Stellen zu nutzen, an die man noch gar nicht gedacht hat, zum Beispiel für die Gebäudetechnik. Und natürlich verwenden wir immer State-of-the-art-Equipment, bei den Motoren sind wir jetzt bei Effizienzklasse IE4. Die Wärme- und Kälteversorgung wird oft erst zum Schluss behandelt. Aber dann ist es viel zu spät. Deshalb binden wir unsere Kälte- und Wärmeexperten bereits ein, wenn wir die Anlage designen. Die Energieexperten setzen sich mit den Prozessexperten an einen Tisch und hinterfragen, ob das, was in der Industrie gang und gäbe ist, wirklich so sein muss. Manchmal kann man zum Beispiel die Temperatur um ein paar Grad absenken oder die entstehende Wärme zur Vorerwärmung anderer Medien nutzen.

Angenommen die Tests mit dem MTC waren erfolgreich und das neuartige Lebensmittel wurde zugelassen. Kann der Anwender dann bei Ihnen auch die industrielle Anlage kaufen?

Krampitz: Ja, das ist unser Ziel. Wir wollen zusammen mit dem Kunden mit der Pilotanlage den Proof of Concept machen, sodass er sagen kann: Es funktioniert sowohl equipmentseitig als auch seitens der Prozessführung. Und beides kann er dann von uns für die industrielle Produktion beziehen. Das Projekt Novozymes zeigt, dass wir auch Industrielösungen anbieten. Bei der Einführung des mobilen Testzentrums sind wir also quasi in puncto Größe einen Schritt zurückgegangen. Wir verlinken uns mit dem Kunden, um ihm Sicherheit und Risikominimierung geben zu können.

Können Sie das Projekt Novozymes bitte kurz erläutern?

Krampitz: Von Novozymes, einem Anbieter von Enzym- und mikrobiellen Produkten, haben wir im letzten Jahr einen Auftrag für die Ausstattung einer Großanlage zur Herstellung eines speziellen Proteins in den USA bekommen. Dieses soll Blutgeschmack und Farbe in Fleischersatzprodukte bringen, um dem Konsumenten das typische Fleischgefühl zu vermitteln.

Blicken wir in die Zukunft. Welchen Stellenwert wird Ihrer Einschätzung nach der Bereich New Food bei GEA zum Beispiel in zehn Jahren einnehmen?

Krampitz: An dieser Stelle möchte ich unsere Wachstumsstrategie Mission 26 nennen. New Food ist neben Nachhaltigkeit und Digitalisierung einer unserer strategisch wichtigen Hebel. Ende letztes Jahres haben wir für New Food eine eigene Business Unit geschaffen. Wir rechnen bis zum Jahr 2026 mit einem jährlichen Auftragseingang von über 400 Mio. Euro in diesem Bereich. Digitalisierung, Nachhaltigkeit und New Food passen sehr gut zusammen. New Food ist ein Anwendungsbereich, der par excellence alles, was GEA vorhat, strategisch verbindet. Das wird auf allerhöchster Unternehmensebene vorangetrieben.

GEA Aktiengesellschaft, Düsseldorf


„New Food hat ein unglaublich großes Wachstumspotenzial am Markt. Immer mehr Firmen fassen in diesem Bereich Fuß.“


Das Interview führte für Sie: Claudia Bär

Redakteurin

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